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KlimawandelDas Problem mit grünem Wasserstoff aus Saudi-Arabien

06. Dezember 2022, 16:00 Uhr

Deutschland muss Grünen Wasserstoff importieren, wenn es die Energiewende schaffen will. Dazu sind zahlreiche Großprojekte in anderen Ländern geplant oder haben bereits begonnen. Doch darunter ist auch eine Kooperation mit einer Autokratie – Saudi-Arabien – für die Menschenrechte nicht zählt.

In den Wüsten der Erde entscheidet sich wohl das Schicksal der Energiewende – denn dort ist der Wind stürmisch und die Sonne brennt. Grüner Wasserstoff soll dann in Deutschland einmal Öl, Gas und Kohle ersetzen. So sollen nicht nur die Klimaziele eingehalten, sondern auch langfristig ausreichend bezahlbare Energie produziert werden. Deshalb ist Deutschland in vielen Großprojekten rund um den Globus beteiligt. Doch die Frage ist: Was muss Deutschland für grüne Energie in Kauf nehmen?

Afrika und Nahost erleben gerade ein Wettrennen – um die besten Bauplätze. Bereits jetzt wachsen gigantische Solarparks in den Wüsten: Bei Dubai, im Oman oder in Marokko. Manche sind sogar zehn Kilometer lang und sie erreichen die Kapazität von Kernreaktoren. "Grüne Energie zu erzeugen und in die Welt zu verkaufen, hat die Chance, wirklich ein neues Zeitalter zu beginnen für Afrika", sagt Professor Stefan Liebing vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft. "Es werden die Petro-Dollars, die früher in den Nahen Osten geflossen sind, als grüne Energie-Dollar nach Afrika fließen."

Es werden die Petro-Dollars, die früher in den Nahen Osten geflossen sind, als grüne Energie-Dollar nach Afrika fließen.

Stefan Liebing | Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft

Grüner Wasserstoff kann heizen und Stahl oder Glas schmelzen. Er treibt neben Autos auch Schwerlaster, Busse, Züge oder Flugzeuge an. In Wind- und Solarparks dient er als Speichermedium, und hält bei wenig Wind und Sonne die Versorgung stabil. In Deutschland will die Bundesregierung zehn Gigawatt Kapazität zur Erzeugung von Grünem Wasserstoff im eigenen Land aufbauen. Doch das reicht nicht, es wird künftig das Dreifache gebraucht. Nur mit Unmengen Importen kann Deutschland die Energiewende schaffen und das Pariser Klimaschutzabkommens noch einhalten.

Saudi-Arabien und das Megaprojekt Neom

Derzeit gibt es zehn geplante Großprojekte im Ausland mit deutscher Beteiligung. Eines davon ist in Saudi-Arabien. Es heißt "Helios" und ist Teil der ökologischen Mega-Modellstadt Neom. Das Königreich will weltgrößter Exporteur von Grünem Wasserstoff werden und investiert dafür Hunderte Milliarden Euro allein in Neom. "Das soll eine Stadt sein, die aus lauter Wolkenkratzern besteht, die sich 170 Kilometer lang von einem Land zum anderen erstreckt", sagt Dr. Franziska Müller, Juniorprofessorin für Klimapolitik an der Universität Hamburg. Die ganze Stadt soll durch erneuerbare Energien versorgt werden.

Deutschland fördert die Begleitforschung fürs Helios-Projekt. Denn: Gebaut wird die Mega-Anlage von der deutschen ThyssenKrupp-Tochter Nucera gemeinsam mit Air Products aus den USA. Nucera wirbt mit dem Prestige-Projekt um Investoren und plant den Börsengang. MDR Investigativ wollte sich vor Ort ein Bild vom Projekt machen, doch Saudi-Arabien lässt Journalisten nur auf Einladung von Firmen ins Land. Und: Die Firma, die einlädt, haftet auch für den Inhalt. Thyssen-Krupp Nucera müsste also geradestehen, wenn unser Bericht dem Königshaus nicht passt.

Abgerissene Dörfer für die Stadt der Zukunft?

Der Journalist Thomas Stölzel von der Wirtschaftswoche hat einen Weg gefunden, um trotzdem einen Blick ins Königreich und auf Neom zu werfen: Ein Startup, dass Himmelsdaten auswertet. "LiveEO wertet Satellitendaten aus, um kritische Infrastruktur zu monitoren, also vor allem Stromnetze, Schienen und Pipelines", erklärt LiveEO-Geschäftsführer Daniel Seidel. Wenn etwa durch einen Sturm ein Baum auf die Gleise der Deutschen Bahn gefallen sei, dann würde seine Firma "mittels Satelliten und Datenanalysen dem Betreiber helfen, ganz gezielt vorzugehen".

Bei seinen Recherchen mit Hilfe von LiveEO machte Thomas Stölzel eine furchtbare Entdeckung: Auf einer Aufnahme von Anfang 2021 war das Dorf Scharma zu sehen – mit Häusern auf Grundstücken mit Mauern umschlossen. "So ganz typisch arabisch. Und wenn man dann in der Zeit vorwärts springt um ein Jahr, sieht man, dass sie verschwunden sind", sagt der Journalist. Ganz ähnlich sei es mit dem Dorf Alkuraybah am Roten Meer gewesen. Die Erklärung für das Verschwinden: "Die wurden einfach weggerissen, um Platz zu schaffen für Neom. Da ist auch einer der Protestierenden dort erschossen worden."

Todesstrafe und ein erschossener Blogger

Der Erschossene hatte als Blogger seine Spuren im Internet hinterlassen: "Die Methoden, die die Regierung anwendet, kann man – traurig wie es ist – Staatsterrorismus nennen", sagte Abdul-Rahim Al-Howaiti in einem Video. Der 32-Jährige hatte sich geweigert sein Haus zu räumen und wurde im April 2020 von Sicherheitskräften erschossen.

Vor Kurzem kam es offenbar zu einem weiteren dramatischen Vorfall: "Man konnte lesen, das drei Personen – Chadly, Atallah und Ibrahim Al Huwaiti – zum Tode verurteilt worden sind", sagt Professorin Franziska Müller, die zum Thema Energiegerechtigkeit forscht. "Und das, obwohl sie einfach nur gegen die Vertreibung von ihrem Land protestiert haben." Sie gehörten zum Nomadenvolk der Huweitat, die seit einigen Jahren gegen die Vertreibung von ihrem Weideland protestieren. "Da kann man eben sehen, wie das autokratische Regime mit voller Härte zuschlägt", so Franziska Müller.

Ist Grüner Wasserstoff aus Saudi-Arabien unverzichtbar?

Die Ampelkoalition in der Bundesregierung hält Grünen Wasserstoff aus Saudi-Arabien offenbar für unverzichtbar und intensiviert die Wasserstoffdiplomatie mit Riad. "Die Wasserstoff-Kooperation, die dort stattfindet, ist ökologisch wie menschenrechtlich verheerend", sagt Professorin Franziska Müller. "Der Grüne Wasserstoff wird, um es plakativ auszudrücken, mit Blut bespritzt." Aus ihrer Sicht sollte sich die Bundesregierung aus der Kooperation zurückziehen oder dem massiv entgegenwirken.

Die Wasserstoff-Kooperation, die dort stattfindet, ist ökologisch wie menschenrechtlich verheerend.

Franziska Müller | Juniorprofessorin für Klimapolitik

Doch muss Deutschland auf dem Weg in die Klimaneutralität mit Autokraten zusammenarbeiten? "Wir müssen auch mit denjenigen, die auf den großen Kohle-, Öl- und Gasvorkommen sitzen, einen Weg in die Zukunft finden", sagt der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Patrick Graichen (Bündnis90/Die Grünen). "Die Energiewende wird nicht alle anderen Probleme gleich mit lösen können." Deutschland habe Handelsbeziehungen mit autokratischen Staaten, in denen es keine Pressefreiheit gibt. "Damit müssen wir umgehen. Und wir werden trotzdem natürlich gleichzeitig die Energiewende und die Klimakrise lösen müssen. Und in so einem Kontext muss man immer auch Kompromisse eingehen."

Es scheint die Frage zu sein, welchen Kompromisse und mit wem am Ende eingegangen werden. Fest steht offenbar, es sollen Abhängigkeiten, wie zuvor beim Gas aus Russland, vermieden werden. "Ich habe die große Hoffnung, dass es eine zweistellige Anzahl von Ländern sein wird, die bis 2030 dann auch nach Deutschland grünen Wasserstoff oder Grünen Ammoniak exportieren", so Staatssekretär Patrick Graichen. Derzeit plant Deutschland mit zehn Länder Projekte für Grünen Wasserstoff: Mit Australien und Chile, Südafrika und Namibia, Angola, Ägypten, Marokko, Mauretanien, Niger und auch Saudi-Arabien.

Quelle: MDR Investigativ/ mpö

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Dieses Thema im Programm:Das Erste | FAKT | 06. Dezember 2022 | 23:35 Uhr

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