Politischer Kuhhandel Tempolimit gegen längere AKW-Laufzeiten?

19. Juli 2022, 22:15 Uhr

Die CDU bietet der Ampel-Koalition ein politisches Tauschgeschäft an: Längere Laufzeiten der Kernkraftwerke gegen ein temporäres Tempolimit. Was als neuer Pragmatismus der Union daherkommt, verschärft die inneren Konflikte der Bundesregierung. Während die Grünen zuletzt bei Gas und Kohle über ihren Schatten gesprungen sind, bleibt die FDP beim dogmatischen Nein zum Tempolimit.

Den Vorschlag für ein temporäres Tempolimit platzierte Unions-Fraktionsvize Jens Spahn zur besten Talkshowzeit am Sonntagabend bei "Anne Will". Wahrscheinlich weitgehend überrascht lauschten über 2,5 Millionen Zuschauer, wie der Ex-Gesundheitsminister mit dem Angebot zum Tempolimit auf Autobahnen ein Dogma seiner Partei abräumte.

Vergiftetes Angebot als Kompromiss getarnt

Zwar hatte es schon aus der zweiten Reihe der Union ähnliche Töne gegeben. Aber bei Spahn kann man sicher sein, der Vorstoß war mit Parteichef Friedrich Merz abgesprochen. Zuvor hatte schon die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang in der Talkshow die Tür für eine Laufzeitverlängerung der noch aktiven Atomkraftwerke ein Stück weit geöffnet, falls der erneute Stresstest für den Energiebereich im Winter das notwendig mache.

Nun ist der Vorschlag für einen politischen Deal, längere AKW-Laufzeit gegen Tempolimit in der Welt und bringt besonders die Ampel in Schwierigkeiten. Sie hat Mühe, diesen politischen Schwelbrand auszutreten. Was Spahn als neuen Pragmatismus verkaufen möchte, heizt vor allem den Streit in der Koalition an, mit welchen Maßnahmen man einer Energie- und vor allem Gaskrise entgegenwirken will, ohne dabei die Klimaziele nicht noch weiter aus den Augen zu verlieren.

Tempolimit wäre Trostpflaster für die Grünen

Die Grünen mussten dabei in den letzten Monaten schon einige Kröten schlucken. Wirtschaftsminister Robert Habeck war gezwungen, mit autoritären Regierungen wie Katar über Flüssiggaslieferungen als Ersatz für russisches Gas zu verhandeln. Stillgelegte Kohlekraftwerke werden reaktiviert, um die Stromversorgung im Winter zu sichern, belasten jedoch die Klimabilanz.

Nun noch die drei restlichen Kernkraftwerke über den 31. Dezember 2022 laufen zu lassen, könnte für die grüne Basis ein Schritt zu viel sein. Das ginge nur zu einem hohen Preis, zum Beispiel der Einführung eines Tempolimits von 130 Stundenkilometern auf deutschen Autobahnen.

Die Liberalen mauern

Doch beim Tempolimit mauert die FDP. Sie drängt zwar den grünen Koalitionspartner permanent, längeren Laufzeiten der AKW zuzustimmen wenn es nach Parteivize Wolfgang Kubicki ginge, gleich für fünf Jahre. Sie selbst möchte aber ihre heilige Kuh "Kein Tempolimit" nicht schlachten.

Kanzler Olaf Scholz hatte im Sommerinterview mit Verweis auf den Koalitionsvertrag schon versucht, diesen Konflikt in der Koalition auszutreten mit einem doppelten Nein zu Tempolimit und Laufzeitverlängerung. Es half aber nicht, wie schon so oft bei den Streitereien in der Ampel. Und die Union gießt genüsslich weiter Öl ins Feuer, verfolgt aber auch noch ein anderes Ziel.     

Union setzt künftig auf Grün statt Gelb

Mit ihrem Vorschlag eines Tempolimits setzt die CDU-Spitze ihre Nadelstiche gegen den einstigen Lieblingspartner FDP fort. Noch immer nimmt man den Liberalen übel, im letzten Herbst zu SPD und Grünen übergelaufen zu sein, statt mit einer Jamaika-Koalition der Union die Macht zu erhalten. Dagegen werden die Grünen hofiert etwa in den neuen schwarz-grünen Landesregierungen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Dort war in den Koalitionsverhandlungen kaum noch etwas von früheren Berührungsängsten zu spüren, besonders nicht im Kohleland NRW.

Allerdings teilen nicht alle in der Union diese neue Offenheit zu den Grünen. So kam aus Mitteldeutschland sowohl vom Thüringer Fraktionsvorsitzenden Mario Voigt wie auch vom sächsischen Generalsekretär Alexander Dierks Widerspruch zu einem Tempolimit. Auch CSU-Chef Markus Söder opponierte, aber er spielt momentan nicht mehr die Rolle wie noch vor einem Jahr bei der Kür des Unions-Kanzlerkandidaten.

Stimmungswandel in der Bevölkerung beim Thema Tempolimit

Möglicherweise nehmen aber diese Unions-Politiker wie auch die FDP nicht den Stimmungswandel im Autoland Deutschland beim Tempolimit wahr. Selbst beim Meinungsbarometer "MDR fragt" vom 13. Juli sprechen sich 60 Prozent für ein Tempolimit aus. Auch in einer Umfrage des ADAC zeigt sich überraschenderweise anders als in der Vergangenheit eine Mehrheit von 52 Prozent offen für Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Autobahnen. Nur 44 Prozent sind noch dafür.

Zudem könnte die FDP in Zugzwang geraten, weil gerade im von ihr verantworteten Verkehrsbereich die Klimaziele nicht eingehalten wurden. Die Vorschläge von Minister Volker Wissing, mit mehr Fahrradverkehr und Radwegen die Vorgaben einzuhalten, wird kaum so schnell Wirkung zeigen, wie es die deutschen Klimaziele erfordern. Da könnte ein Tempolimit durchaus helfen. Denn mit einer Beschränkung auf Tempo 130 auf Autobahnen würden nach Berechnungen des Bundesumweltamtes rund 1,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart werden. Das sind fünf Prozent der gesamten Emissionen von 30,5 Millionen Tonnen pro Jahr durch Pkw und leichte Nutzfahrzeuge und wenigstens ein Anfang. Es würden außerdem 600 Millionen Liter Sprit weniger verbraucht.

Die Maßnahme wäre eine mögliche Kompensation für die zusätzlichen Umweltbelastungen durch die mögliche zusätzliche Kohleverstromung und damit ein Trostpflaster für die Grünen.  

Wiederholt die FDP ihren Fehler bei der "Mövenpick-Steuer"?

Die FDP scheint trotzdem nicht über ihren Schatten zu springen und einem Tempolimit zustimmen zu wollen. Sie droht damit einen ähnlichen Fehler zu machen wie bereits in ihrer Regierungszeit von 2013 bis 2017 mit der Absenkung der Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen, bekannt auch als Mövenpick-Steuer. Dabei gab es bei den letzten Wahlen deutliche Alarmzeichen, dass die Wähler die Rolle der Liberalen als trotziges Kind in der Ampelkoalition nicht gutheißen, während sie den Pragmatismus der Grünen honorieren. In NRW und Schleswig-Holstein wurden die Stimmenanteile der Liberalen halbiert, im Saarland flogen sie aus dem Landtag. In bundesweiten Umfragen geht es weiter bergab.

Folge dieser kompromisslosen Klientelpolitik war, dass die FDP 2017 aus dem Bundestag flog. So könnte es wieder kommen. Wenn die Liberalen jetzt einlenken beim Tauschgeschäft Tempolimit gegen Laufzeitverlängerung für die AKW, könnten sie mehr gewinnen, als sich die CDU-Spitze mit ihrem Angebot an Schwächung der Koalition erhofft.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 19. Juli 2022 | 19:30 Uhr

131 Kommentare

.Alex am 21.07.2022

Ich könnte jetzt sagen "Sagen Sie mir/uns warum Sie glauben,daß Deutschland in absehbarer Zeit vollständig mit Strom aus 'Erneuerbaren' versorgt wird!",sag ich aber nicht!! Nee,ich glaub einfach nicht dran! Die bürokr. Hürden,Gesetze,Wille der Bevölkerung,Speicher,Leitungen und die Tatsache,daß in Deutschland schon viel versprochen wurde,ohne zu prüfen ob es überhaupt machbar ist!! Wie gesagt,Ich glaub nicht dran!!

Wessi am 21.07.2022

Noch einmal NEIN @ hfl ... hier streitet man nicht um eine Sache die bereits beschlossen wurde.Man wird sie einfach machen.Bitte nennen Sie die Quelle in der Sie gelesen haben, daß die Münchner Grünen+SPD Isar 2 weiterlaufen lassen wollen?Wer hat dezidiert was gesagt?Steinkohle und Braunkohle SIND, qua legem, die Reserveenergien in unserem Lande, Atomkraft nicht.Zwei der 3 Betreiber schließen einen Weiterlauf der AKWs aus. (Sie meinten doch AKW?) . Wer oder was sind "die Leute"?Man o Man...nichts belegen aber dann sowas!

hansfriederleistner am 21.07.2022

Hier streitet man um die Abschaltung von drei KKW, die die Umwelt nicht mit CO² belasten. Herr Habeck will neben Steinkohle jetzt auch wieder auf Braunkohle zurückkommen. Derweil wollen die Münchner Grünen und SPD, daß Isar 2 weiterlaufen soll. Was wollen denn die Leute noch? Wasch mich,mach mich aber nicht nass?

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