Unter der Lupe | Kolumne Der Bund bestellt, die Länder zahlen?

14. Oktober 2022, 15:25 Uhr

Beim Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf, auch zwischen Bundesregierung und Ländern. Beim Gipfel diese Woche im Kanzleramt kam es beim Streit um die finanzielle Lastenverteilung beim dritten Entlastungspaket zum Eklat. Man ging ohne Ergebnis auseinander, obwohl die versprochenen Hilfen dringend bei Bürgern und Unternehmen erwartet werden. Zur falschen Zeit am falschen Ort eskaliert der föderale Dauerkonflikt, ob die Bundesregierung einfach über das Geld der Länder entscheiden darf.

Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen. Diesen Satz hörte man in Berlin oft bei Gesprächen mit Vertretern der Bundesländer. Denn die Bundesregierung hatte aus ihrer Sicht wiederholt gegen die Regel verstoßen. Eine "Beutegemeinschaft" seien die Länder, wird aus den Regierungsstuben rund ums Kanzleramt gekontert. Grund für die feindselige Stimmung zwischen Bund und Ländern ist das dritte Entlastungspaket. Nach dem Willen der Ampelkoalition sollen sich die Länder mit 19 Milliarden Euro an den Gesamtkosten von 65 Milliarden Euro beteiligen. Das ist den Ländern zu viel. Sie wollen für ihre Zustimmung finanzielle Gegenleistungen.

Die Mehrkosten für die Wohngeldreform von zehn Milliarden Euro soll der Bund selbst tragen. Außerdem möchten die Länder Geld für den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs, für ein Hilfsprogramm, das Krankenhäuser und Kliniken bei den Energiekosten entlastet, und für die Flüchtlingsbetreuung. Ihr vermeintliches Druckmittel: Lenkt die Bundesregierung nicht ein, dann könnte man das Paket im Bundesrat blockieren. Immerhin bei fast einem Drittel der geplanten Entlastungen braucht man die Zustimmung der Länder. Nur wem würde das nützen? Auf alle Fälle nicht den Menschen und den Unternehmen, die auf das Geld warten.

    

Direkte Steuern für die Länder, indirekte für den Bund?

Der Konflikt um das Entlastungspaket zeigt das grundsätzliche Problem der föderalen Ordnung in Deutschland: Wer bezahlt was? Wie weit darf der Bund über das Geld der Länder bestimmen? Die Ausgangslage: Die Finanzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen sind nicht klar getrennt. So werden die Einnahmen der Mehrwertsteuer zwischen drei Körperschaften geteilt: Der Bund erhält 45,1 Prozent, die Länder 51,2 Prozent und die Kommunen 3,1 Prozent. In den letzten Monaten sind die Einnahmen durch die Inflation und Preissteigerungen massiv gestiegen. Mit diesen eher ungeplanten Mehreinnahmen, so die Idee von Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner, sollte das dritte Entlastungspaket bezahlt werden. Nur wollten die Länder selbst entscheiden, was sie mit ihren Mehreinnahmen machen und nicht nur eine Rechnung über ihre Zuzahlung bei den Entlastungen zugestellt bekommen.

Besser wäre es natürlich, wenn man von vornherein die Steuereinnahmen und damit auch ihre Verwendung zwischen Bund und Ländern klar trennen könnte. So könnte der Bund alle indirekten Steuern bekommen, wie Mehrwertsteuer, Kaffeesteuer, Tabaksteuer oder Energiesteuer, die Länder und Kommunen dagegen das Geld aus direkten Steuern wie Einkommensteuer, Erbschaftsteuer und Grundsteuer. Dann wäre der Konflikt schnell gelöst. Der Bund würde aus den Mehrwertsteuereinnahmen einfach die Entlastungen finanzieren. Doch so einfach ist die deutsche Steuer- und Finanzwelt nicht gestrickt. Sie ist vielmehr ein kaum durchschaubares Knäuel.

Bund macht Gesetze, die in die Hoheit und Finanzen der Länder eingreifen

Der Bund trägt daran eine besondere Schuld. Die Bundesregierung macht immer mehr Gesetze, die in die Zuständigkeit der Länder eingreifen. Zum Beispiel im Bereich der Bildung. Die untersteht der Länderhoheit. Aber die Bundesregierung möchte einen Kita-Platz für jedes Kind, Ganztagsbetreuung in den unteren Klassenstufen und so weiter. Da sagen die Länder, wenn der Bund das möchte und uns per Bundesgesetz dazu zwingt, soll er sich auch an den Kosten beteiligen. Und schon ist der Basar eröffnet. Am Ende ist oft die Mehrwertsteuer das Ventil für den Ausgleich der Interessen zwischen Bund und Ländern in dem die jeweiligen Anteile beider Körperschaften an der Mehrwertsteuer verschoben werden. Schon zwei Föderalismuskommissionen sollten dieses finanzielle Knäuel auftrennen und scheiterten kläglich.

Von der reinen Papierform der letzten Steuerschätzung aus dem Mai 2022 hätten die Länder das Geld für ihren Anteil am Entlastungspaket in der Kasse. So wurden ihnen für 2022 knapp 20 Milliarden Euro Mehreinnahmen gegenüber dem Vorjahr prognostiziert. Gern verweist darauf die Regierung im Hintergrund und es fällt auf medial fruchtbaren Boden. Aber den Ländern geht es wie uns Kunden im Supermarkt. Denn auch sie müssen für Leistungen durch die Inflation mehr ausgeben und so schmelzen die Mehreinnahmen bei der Mehrwertsteuer wie Schnee in der Sonne. Früher hätten die Länder einfach neue Schulden gemacht. Aber da ist die Schuldenbremse vor, die nun in jeder Landesverfassung steht.

Mitteldeutsche Länder: Schulden oder Kürzungen

Abgesehen davon stehen die Länder schon jetzt ganz schön in der Kreide der Verschuldung. Sachsen-Anhalt mit 22,3 Milliarden Euro, Thüringen mit 15,9 Milliarden Euro, Sachsen mit nur 5,5 Milliarden Euro. Thüringens Minderheitsregierung wäre zudem auf die Schützenhilfe der CDU angewiesen, wenn sie einen Haushalt mit Schulden durchbringen möchte. In Sachsen braucht man eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag, um Schulden machen zu dürfen. Die Linke würde da wohl mitstimmen. Aber Ministerpräsident Michael Kretschmer kann sich nicht aller notwendigen Stimmen aus der eigenen Koalition, vielleicht nicht mal aus der CDU sicher sein. Selbst wenn ihm das gelänge, müssten innerhalb von acht Jahren die Schulden wieder getilgt sein. Bei der instabilen Lage ein Wagnis, in die roten Zahlen zu gehen. Also bleibt nur der Rotstift bei anderen Projekten im Haushalt. Sachsen-Anhalt wird seinen Anteil wohl oder übel nur leisten können, wenn der Landtag eine Notlage feststellt. Nur dann kann die Regierung neue Schulden machen. 

Kanzler treibt die Länder in die Enge

Kanzler Scholz scheinen diese Probleme der Länder egal zu sein. Er spielt auf Zeit. So verschiebt er die Abstimmungstermine für die Gesetze über das Entlastungspaket im Bundesrat immer weiter ans Jahresende auf die letzte Sitzung des Bundesrats am 16. Dezember. Damit drückt er die Länder an die Wand. Dann noch zu blockieren und den Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat anzurufen, um vielleicht Weihnachten in den Plenarsälen des Parlaments und der Länderkammer zuzubringen – keine guten Aussichten.

Außerdem kann sich Scholz sicher sein, dass die Länder den öffentlichen Druck bei einer Blockade des Entlastungspakets nicht durchhalten. So bleibt den Ländern nur die Hoffnung auf ein paar Brosamen. Vielleicht bei den Regionalisierungsmitteln für den öffentlichen Nahverkehr und eine Nachfolgeregelung des 9-Euro-Tickets, weil das bei der Klientel der Wählerschaft der Ampel, jedenfalls bei Grünen und SPD, hoch im Kurs steht. Vielleicht bei den Krankenhäusern, weil niemand Patienten frieren lassen möchte. Auch bei der Flüchtlingshilfe, weil man da auch gegenüber der Ukraine im Wort steht. Aber sonst werden die Länder zähneknirschend zustimmen und sich die Rechnung für die bestellte Musik mit dem Bund teilen müssen.  

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 08. Oktober 2022 | 21:55 Uhr

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