Ampel-StreitFinanzminister Lindner fordert Wende in Wirtschaftspolitik, die Union Neuwahlen
Bundesfinanzminister Christian Lindner sorgt mit einem neuen Grundsatzpapier für Zündstoff in der Ampel-Koalition. Medienberichten zufolge fordert der FDP-Minister darin ein Umsteuern in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Politische Leitentscheidungen müssten teilweise revidiert werden. Die SPD-Fraktion im Bundestag reagierte auf den Vorstoß mit Unmut.
- FDP-Programm umfasst 18 Seiten und ist mit "Wirtschaftswende Deutschland" überschrieben.
- Derzeit manifestieren sich die Unterschiede in der Regierung vor allem in Gipfeln und Gegengipfeln, zu denen die Ampel-Parteien unabhängig voneinander laden.
- Mit dem FDP-Papier steigt der Druck auf die Ampel weiter.
- Die SPD-Fraktion kritisiert Lindners Forderungspapier, man brauche keine Opposition in der Regierung.
- Die Union fordert Neuwahlen in Deutschland.
Ein neues Grundsatzpapier von Finanzminister Christian Lindner über eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik droht, den Streit in der Ampel weiter anzuheizen. Der FDP-Chef distanziert sich in dem Papier in Teilen von der gemeinsam vereinbarten Regierungspolitik der vergangenen drei Jahre mit SPD und Grünen.
In dem Papier wird etwa als Sofortmaßnahme die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Vielverdiener gefordert, ein sofortiger Stopp aller neuen Regulierungen sowie ein Kurswechsel in der Klimapolitik. Für Spannungen mit den Grünen dürfte seine Forderung sorgen, dass Deutschland erst 2050 und nicht 2045 klimaneutral werden soll.
18 Seiten für die "Wirtschaftswende Deutschland"
Das mehreren Nachrichtenagenturen vorliegende 18 Seiten umfassende Papier trägt den Titel "Wirtschaftswende Deutschland – Konzept für mehr Wachstum und Generationengerechtigkeit".
Darin fordert Lindner eine "Wirtschaftswende" mit einer "teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen", um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden.
Die deutsche Wirtschaft sei in einer Wachstumskrise. Eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik könne das Vertrauen von Unternehmen und privaten Haushalten stärken, heißt es darin. So solle beispielsweise "als Sofortmaßnahme der Solidaritätszuschlag, der überwiegend von Unternehmen, Selbständigen, Freiberuflern sowie Hochqualifizierten gezahlt wird", entfallen.
In einem ersten Schritt soll der Solidaritätszuschlag nach dem Willen der FDP 2025 um 2,5 Prozentpunkte auf drei Prozent gesenkt werden und 2027 ganz entfallen. Parallel sollte die Körperschaftssteuer 2025 um zwei Prozentpunkte reduziert und in weiteren Schritten 2027 und 2029 zusätzlich gesenkt werden. SPD und Grüne haben die völlige Abschaffung des Solis bisher abgelehnt.
Die Zeit der Gipfel und Gegengipfel
Erst vor anderthalb Wochen hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erneut einen milliardenschweren, schuldenfinanzierten Staatsfonds vorgeschlagen, um Investitionen von Firmen zu fördern. Die FDP lehnt dies unter Verweis auf die Schuldenbremse ab.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zu einem Industriegipfel eingeladen, zu dem aber weder Habeck noch Lindner eingeladen wurden. Die FDP-Fraktion hatte eine Art Gegengipfel mit Verbänden veranstaltet.
Ampel unter Spannung
Der Vorschlag dürfte die Spannungen in der Ampel-Koalition noch verstärken, die auch zu Spekulationen über ein vorzeitiges Ende und Neuwahlen geführt haben. Turnusmäßiger Wahltermin ist der 28. September kommenden Jahres. Dabei soll es Regierungssprecher Steffen Hebestreit zufolge bleiben. "Ich habe nicht den Eindruck, dass irgendwer dabei ist, sich in die Büsche zu schlagen", sagte Hebestreit am Freitag auf die Frage nach einem möglichen Koalitionsbruch.
SPD-Fraktion und Grüne kritisieren Lindners Forderungspapier
Die SPD-Bundestagsfraktion hat das Forderungspapier von Finanzminister Lindner an die Ampel-Partner indes kritisiert. "Wir brauchen jetzt keine Papiere, sondern gemeinsames Handeln, um der Industrie schnell zu helfen und Sicherheit zu geben", sagte der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Rosemann, dem "Tagesspiegel". Vor allem brauche man keine Opposition in der Regierung.
Wir brauchen jetzt keine Papiere, sondern gemeinsames Handeln.
Martin Rosemann | Sprecher der SPD-Fraktion
Als "neoliberale Phrasendrescherei" bezeichnete der SPD-Abgeordnete Nils Schmid das Papier. Lindner bleibe Antworten schuldig zu den drängenden Fragen, wie Industriearbeitsplätze über einen gesenkten Strompreis für energieintensive Branchen erhalten werden könnten, sagte Schmid dem "Tagesspiegel". Und dort, wo Lindner konkret werde, sei das Papier nicht vereinbar mit dem Koalitionsvertrag.
Schmids Parteikollege, der Haushaltspolitiker Andreas Schwarz sagte, einige Tage vor der Erstellung des Bundeshaushalts sollte der FDP-Finanzminister keinen unabgestimmten Überbietungswettbewerb an nicht finanzierten Wohltaten starten.
Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch nannte das Papier eine Nebelkerze. Wichtiger wäre es, dass sich der Finanzminister um den Haushalt kümmere.
Union fordert Neuwahlen
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Union im Bundestag, Thorsten Frei, sprach sich angesichts des Dauerstreits in der "Rheinischen Post" für Neuwahlen aus. Sie seien der letzte Dienst, den die Ampel dem Land erweisen könnte.
Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), der CSU-Politiker Manfred Weber, sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: "Wir brauchen so schnell wie möglich eine handlungsfähige Bundesregierung und Neuwahlen in Deutschland."
Reuters,dpa,AFP(isc,lmb)
Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 01. November 2024 | 18:00 Uhr