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Gefangenenaustausch mit RusslandWurde mit dem Austausch des Tiergartenmörders die Gewaltenteilung untergraben?

10. September 2024, 12:21 Uhr

Der sogenannte Tiergartenmörder ist in Deutschland eigentlich zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, aber Anfang August trotzdem im Rahmen eines Gefangenenaustausch nach Russland überführt worden. MDR AKTUELL-Hörer Uwe Scharf ist unklar, wie das rechtlich möglich ist. Aus seiner Sicht hat sich bei diesem Vorgang Bundesjustizminister Marco Buschmann als Teil der Exekutive über die Judikative gestellt. Uwe Scharf fragt sich, ob damit nicht die Gewaltenteilung unterlaufen worden ist.

Mindestens 30 Jahre Haft hätte der Mann, der im Berliner Tiergarten einen Mann im Auftrag Russlands ermordete, absitzen müssen. Dass es am Ende nur fünf Jahre gewesen sind und er im Rahmen eines Gefangenenaustauschs ausgehändigt wurde, sieht Franz Mayer kritisch. Er ist Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bielefeld.

"Rechtlich gesehen, insbesondere verfassungsrechtlich gesehen, ist das hochproblematisch, weil damit die Durchbrechung des Gewaltenteilungsgrundsatzes einhergeht. Und weil natürlich irgendwo auch ein Stück weit das Gerechtigkeitsempfinden verletzt wird. Das wird jeder juristische Laie auch so empfinden."

Gefangenenaustausch im deutschen Recht nicht normiert

Ein Gefangenenaustausch ist in der deutschen Rechtsordnung nicht direkt geregelt. Beim Tiergartenmörder ist deshalb der Paragraf 456a der Strafprozessordnung zur Anwendung gekommen. Der besagt, dass von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe abgesehen werden kann, wenn der Verurteilte etwa ausgewiesen wird – also zum Beispiel abgeschoben.

Die Entscheidung darüber lag eigentlich im Ermessen des Generalbundesanwalts. Doch der war dagegen, den Russen aus der Haft zu entlassen. Der Bundesjustizminister hat deshalb von seinem Weisungsrecht Gebrauch gemacht. Zur Begründung heißt es vom Ministerium:

"Im Rahmen einer Gesamtabwägung aller für und gegen eine weitere Vollstreckung sprechenden Gesichtspunkte kam das Bundesjustizministerium zu der Bewertung, dass (…) die für ein Absehen sprechenden Gesichtspunkte das Interesse an einer nachhaltigen Vollstreckung überwiegen. Denn die weitere Vollstreckung hätte die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland und deren außen- und sicherheitspolitische Interessen herbeiführt. Zudem standen ihr überwiegende öffentliche und humanitäre Interessen entgegen."

Kontroverse Debatte über Gefangenenaustausch

Aber warum hat die Regierung als Exekutive Zugriff auf die Judikative? Das sei eine Art Unregelmäßigkeit im deutschen Rechtssystem im Vergleich zu denen anderer demokratischer Rechtsstaaten, erläutert Verfassungsrechtler Mayer. Die Staatsanwaltschaften sind per Gesetz weisungsgebunden und nicht völlig eigenständig.

"Darüber kann man diskutieren. Es hat Vor- und Nachteile, wenn Staatsanwaltschaften unabhängig organisiert sind. Der Nachteil liegt auf der Hand: Dann sind Staatsanwaltschaften möglicherweise eben auch sehr mächtig und ihrerseits keiner Kontrolle ausgesetzt. Die Weisungsgebundenheit ist auf der anderen Seite genau das, was wir im vorliegenden Fall des Tiergartenmörders besichtigen können, dann das Problem politischer Einflussnahme, wenn es eigentlich nur um Recht gehen soll."

Der Fall des Tiergartenmörders werde in der Fachwelt kontrovers diskutiert, erklärt Mayer. Er habe Kollegen aus dem Strafrecht, die überlegt hätten, ob nicht eine Strafbarkeit wegen Vollstreckungsvereitelung durch die Bundesregierung geprüft werden müsste.

Gefangenenaustausch rechtlich eigentlich nicht vorgesehen

In jedem Fall sei diese Art Freilassung eigentlich nicht im Rechtssystem vorgesehen. Was hätte man also besser machen können?

"Es ist natürlich ein Vorgang, der auch unter dem Aspekt der Gewaltenteilung besser demokratisch abgesichert gehört", führt Franz Mayer von der Uni Bielefeld aus. "Und wenn der demokratisch unmittelbar legitimierte Akteur, also das Parlament, einem solchen Vorgang zustimmt, dann wird man wenig Einwände haben können."

Zusätzlich regt Mayer an, den betreffenden Paragrafen in der Strafprozessordnung zu präzisieren, sodass er nicht mehr für derart schwere Straftaten angewendet werden könne. Der Vorgang gebe jedenfalls Anlass dazu, sich grundsätzlich darüber auszutauschen, ob es so, wie es gelaufen ist, wirklich möglich sein sollte, bilanziert Mayer. Denn nicht zuletzt mache Deutschland sich dadurch auch erpressbar.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 10. September 2024 | 06:18 Uhr

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