Selbstbestimmungsgesetz Erleichterungen für Transsexuelle geplant

30. Juni 2022, 15:14 Uhr

Die Bundesregierung will Transsexuellen die Änderung des amtlichen Geschlechtseintrags und des Vornamens erleichtern. Dazu soll bald eine einfache Erklärung beim Standesamt genügen. Die geplanten Neuerungen und offene Fragen im Überblick.

Die Bundesregierung hat Eckpunkte für ein neues Selbstbestimmungsgesetz vorgelegt. Danach soll künftig jeder Mensch sein Geschlecht und seinen Vornamen selbst festlegen können. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) stellten ihren Gesetzentwurf vor, der das gut 40 Jahre alte sogenannte Transsexuellengesetz ersetzen soll.

Die bislang nötigen Gutachten zur sexuellen Identität oder ärztliche Atteste und gerichtliche Verfahren sollen demnach wegfallen. Der Gesetzentwurf soll noch vor Jahresende im Bundeskabinett verabschiedet werden. Danach befasst sich der Bundestag damit. Im Bundesrat ist das Gesetz Paus zufolge nicht zustimmungspflichtig.

Welche Regelung gilt bisher für Transsexuelle?

Das Transsexuellengesetz von 1980 sieht vor, dass Betroffene für eine Änderung des Geschlechts- oder Vornamenseintrags zwei psychologische Gutachten einreichen müssen. Am Ende entscheidet dann das zuständige Amtsgericht. Das Gesetz ist seit Langem umstritten; Teile der Vorschriften wurden vom Bundesverfassungsgericht verworfen. Betroffene kritisieren das Verfahren als langwierig, teuer und entwürdigend.

Was soll nach der Reform gelten? 

Volljährige Transsexuelle sollen mit einer einfachen Erklärung beim Standesamt die gewünschten Änderungen erreichen können. Dazu soll es ein standardisiertes Formular geben. Nach der Änderung werden auch amtliche Dokumente wie der Reisepass entsprechend umgeschrieben. Die Erklärung beim Standesamt muss nicht mit Gutachten oder ausführlichen Erläuterungen belegt werden und ist unabhängig davon, inwieweit sich der oder die Betroffene zu geschlechtsangleichenden Eingriffen entscheidet. 

Was ist mit Minderjährigen?

Bei Kindern unter 14 sollen die Eltern die nötige Erklärung beim Standesamt einreichen können. Jugendliche ab 14 können dies selbst tun, allerdings nur mit Einverständnis der Eltern. Gibt es hier innerfamiliäre Konflikte, kann das Familiengericht eingeschaltet werden. Die Beratungsangebote für betroffene Familien sollen verbessert werden.

Was ist mit Intersexuellen?

Menschen, deren Geschlechtsmerkmale keine eindeutige Zuordnung zu den Kategorien Mann oder Frau zulässt, können bereits heute ihre Einträge beim Standesamt leichter ändern lassen als Transsexuelle, die sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlen, als in ihrer Geburtsurkunde steht. Bei Intersexuellen reicht ein ärztliches Attest oder eine eidesstattliche Versicherung, die beim Standesamt vorgelegt werden müssen. Künftig sollen für sie die gleichen Regeln gelten wie für Transsexuelle.

Wie oft kann der Geschlechtseintrag oder der Vorname geändert werden?

Eine zahlenmäßige Begrenzung ist nicht vorgesehen. Allerdings soll es eine Sperrfrist von einem Jahr geben – erst danach ist eine erneute Änderung möglich. Das soll die Ernsthaftigkeit des Änderungswunsches sicherstellen, heißt es in dem Eckpunktepapier.

"Offenbarungsverbot" soll Betroffene schützen

Geplant ist auch ein "bußgeldbewehrtes Offenbarungsverbot". Damit soll es untersagt werden, gegen den Willen eines transsexuellen Menschen dessen früheres Geschlecht oder den früheren Vornamen offenzulegen. Wer dies dennoch tut, muss mit einem Bußgeld rechnen. Es gehe darum, ein "Zwangs-Coming-out" zu verhindern, erläuterte Familienministerin Paus.

Welche Fragen sind noch offen?

Für Opfer der früheren gesetzlichen Regelungen soll es Entschädigung geben, die Details sind aber noch unklar. Dabei geht es um Körperverletzungen oder Zwangsscheidungen. Vorgesehen ist auch eine "Interimslösung" für transgeschlechtliche Elternteile. Hier geht es um die Frage, inwiefern die Geburtsurkunde eines Kindes geändert wird, wenn ein Elternteil Geschlechtseintrag oder Namen ändern lässt. Endgültig klären will die Ampel-Koalition das mit der geplanten Reform des Abstammungsrechts. Die Änderung eines geschlechtsspezifischen Familiennamens wiederum soll mit der ebenfalls im Koalitionsvertrag vereinbarten Namensrechtsreform geregelt werden.

AFP(ans)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 30. Juni 2022 | 12:00 Uhr

24 Kommentare

Poser am 01.07.2022

Die Vorteile einer frühen Transition liegen dagegen auf der Hand: Man hat die Chance auf eine Sozialisation in derjenigen Rolle, die der eigenen Geschlechtsidentität entspricht und hat es ser viel einfacher, sich selbst als das zu akzeptieren, was man ist, und auch von anderen so akzeptiert und wahrgenommen zu werden.

Poser am 01.07.2022

Wieso? Man offenbart doch noch niemanden damit, dass man die Person mit ihrem Namen anspricht, auch oder erst recht nicht, wenn es ein genderneutraler Name ist. Das Argument verstehe ich nicht.

MDR-Team am 01.07.2022

Hallo Kleingartenzwerg, es gibt viele Namen, bei denen nicht automatisch das soziale Geschlecht annehmbar ist: Pascale, Michelle, Robin oder Andrea sind hier nur ein paar Beispiele. Zudem bedeutet die Identifikation als divers nicht automatisch, dass die Menschen auch ihre Namen ändern. Einige behalten ihre Namen auch bei und ändern zum Beispiel lediglich ihre Pronomen. Wenn Sie mehr zu dem Thema erfahren möchten, empfehlen wir Ihnen diesen Artikel: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/sprache-non-binaere-personalpronomen-mitkommunizieren Viele Grüße die MDR.de-Redaktion

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