Interview Gysi über Modrow: "Dass alles so friedlich blieb, ist sein Verdienst"

11. Februar 2023, 16:43 Uhr

Gregor Gysi saß gemeinsam mit Hans Modrow im Bundestag. Beide waren Parteifreunde – erst in der SED, später in PDS und Linkspartei. Laut Gysi hatte Modrow auch einen Anteil daran, dass die Wende friedlich blieb. Wenige Tage vor Modrows Tod hat er ihn noch besucht. Dabei war auch der Krieg Russlands in der Ukraine ein Thema.

MDR AKTUELL: Herr Gysi, was verliert die Partei mit Hans Modrows Tod?

Gregor Gysi: Eine ganz herausragende und wichtige Persönlichkeit unserer Partei. Aber auch für die Bevölkerung – insbesondere für die ostdeutsche Bevölkerung – ist es ein Verlust.

Was war er für ein Mensch? War er eigentlich immer politisch?

Ich glaube schon. Seine Kindheit fand im Krieg statt. Das hat ihn geprägt. Er ist in die SED eingetreten und hat es geschafft, erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden zu werden. Aber dann – als die ganzen Unruhen in der Bevölkerung begannen – hat er sehr schnell begriffen, dass die Partei reformiert werden muss. Nicht nur das: Er war wichtig für die Umwandlung der SED zur PDS.

Welche Rolle spielte Modrow zur Wende?

Als vorletzter Ministerpräsident, also vor Lothar de Maizière, hat er alles – vor allem ökonomisch – abgesichert. Niemand musste hungern, niemand hat gefroren. Das war ja alles sehr, sehr hektisch. Und was noch wichtiger war: Er hat die neuen Parteien und die neuen Bürgerinitiativen in seiner Regierung und damit auch in politische Entscheidungen einbezogen. Ich will es mal so sagen: Dass alles so friedlich blieb während der Wende – und auch später – ist in einem hohen Maße sein Verdienst.

Hans Modrow war erster Sekretär der Bezirksleitung in Dresden und gleichzeitig für viele DDR-Bürger ein Hoffnungsträger.

Er musste Auseinandersetzungen innerhalb der Partei führen, gleichzeitig mit der Bevölkerung sprechen – mit den Teilen, die sehr verärgert waren, aber auch mit jenen, die die DDR nicht verlieren wollten. Das war schon ein Mischmasch. Das hat er bravourös gemacht. Weil es ihn gab und er so eine Friedlichkeit ausstrahlte, hat er dazu beigetragen, dass niemand eine Grenze überschritten hat und ein Gewaltausbruch verhindert werden konnte.

Hatte er später noch Einfluss in der Linkspartei?

Ja, aber natürlich nahm der ein bisschen ab. Er war ja über Jahre Ehrenvorsitzender der PDS. Da hat er viel gemacht. Und natürlich hat er auch mal gemeckert mit mir, mit Dietmar Bartsch und anderen. Das hat uns aber auch nicht geschadet. Wir blieben immer eng verbunden. In der Linken war es dann schwieriger. Durch die Rolle, die Oskar Lafontaine und ich und dann andere spielten. Da trat seine Rolle etwas zurück. Aber da war er auch schon sehr viel älter.

Wann hatten Sie zuletzt Kontakt?

Ich bin richtig glücklich, dass ich ihn vor wenigen Tagen besucht habe. Wir haben miteinander gesprochen und uns beide über unsere enge Verbindung gefreut. Was natürlich nicht bedeutet, dass wir immer die gleiche Sicht hatten. Aber das war nicht gravierend.

Hat er noch die aktuellen Geschehnisse verfolgt? Wie hat er Russlands Krieg in der Ukraine und die international wachsenden Konflikte eingeschätzt?

Es hat ihn alles sehr besorgt. Er hat sich Gedanken gemacht, wie man schnell zu einem Waffenstillstand kommt, damit wenigstens das Töten, das Verletzen und das Zerstören aufhört. Außerdem hat er Sorge, dass das Ganze immer stärker eskaliert. Die Sorge haben ja viele Menschen. Ich auf jeden Fall auch. Man muss versuchen, das zu verhindern. Wir haben aber vor allen Dingen über seine Gesundheit gesprochen. Er war geistig absolut klar. Seine Stimme war natürlich nicht mehr sehr stark, aber er hat mir alles sagen können, was er mir sagen wollte.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 11. Februar 2023 | 12:03 Uhr

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