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Klausur in WeimarGrüne beschwören Gemeinsamkeit

23. März 2023, 21:50 Uhr

Die Grünen haben das Gefühl, in der Ampelkoalition nur noch alleine für den Fortschritt zuständig zu sein. Dem lähmenden Streit mit SPD und FDP begegnen sie auf ihrer Klausurtagung in Weimar mit einem neuen Gemeinschaftsgefühl. Doch der damit verbundene Optimismus in die Handlungsfähigkeit der Ampel kann die Probleme wohl nur kurzzeitig überblenden.

Am letzten Tag der Klausur der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen nieselt es in Weimar. Der Himmel ist grau bedeckt und der Wind pfeift kalt um die Ecke der Weimarhalle. Doch pünktlich zur abschließenden Fotoaktion lässt sich noch einmal die Sonne blicken. Die 118 Bundestagsabgeordneten stellen sich auf der Grünfläche vor der Halle auf, in der ersten Reihe halten sie Schilder mit Buchstaben nach oben. Die ergeben das Motto: "Gemeinsam stärker".

Dabei braucht es ein solches Mantra für den Zusammenhalt innerhalb der Fraktion eigentlich nicht. Denn das haben die drei Tage während der Klausur in Weimar gezeigt: Die Stimmung bei den Grünen ist mehr als gut – vergessen scheinen die Verletzungen und Enttäuschungen vom Anfang der Legislaturperiode, als arrivierte Kräfte wie Katrin Göring-Eckardt oder Anton Hofreiter bei der Verteilung der Ministerposten leer ausgingen.

Klausurmotto als Selbstvergewisserung

Dennoch ist das Motto "Gemeinsam stärker" auch ein Stück weit eine Selbstvergewisserung. Die Grünen wissen, der Handlungsdruck ist in vielen Bereichen angesichts der Klimakrise und der durch die Vorgängerregierungen verlorenen Zeit zu groß, um weiterhin einfach nichts zu tun. Sie müssen deshalb – so ihre feste Überzeugung – die Probleme angehen, denn ein anderer wird es nicht tun. 

"Gemeinsam stärker" ist zugleich an die Menschen im Land gerichtet, denen die Grünen viel Veränderung zu muten – insbesondere im Osten. Dessen ist sich jeder Bundestagsabgeordnete bewusst, den man in Weimar danach fragt. Aber sie sind davon überzeugt, dass ihr Weg der richtige ist. Auf diesen wollen sie möglichst viele Menschen mitnehmen und setzen auf eine starke soziale Abfederung. Wer etwa ein Haus hat und sich die Umrüstung von einer Gas- oder Ölheizung auf eine Wärmepumpe nicht leisten kann, dem wollen sie unter die Arme greifen, selbst, wenn die- oder derjenige gar kein Geld hat. Die Grünen wollen manchen auch tragen, um gemeinsam das Ziel zu erreichen. Dass sie damit die finanziellen Spielräume des Staatshaushaltes wohl überfordern – zweitrangig.

Botschaft an die Koalitionspartner

"Gemeinsam stärker" ist aber auch eine Botschaft an die Koalitionspartner in der Ampel, SPD und FDP. Weniger Streit, mehr Zusammenhalt, am Ende stärkt das alle. Die Grünen glauben trotz all des Zwistes mit den Liberalen, trotz verbaler Entgleisungen wie dem Putin-Habeck-Vergleich durch FDP-Vize Wolfgang Kubicki, dass sie in der richtigen Konstellation mitregieren. So wird in Weimar von nahezu jedem Abgeordneten betont, wie gut doch die Zusammenarbeit mit SPD und FDP auf der Arbeitsebene in den Ausschüssen funktioniere. Auf die Frage, warum dennoch zuletzt bei wichtigen Vorhaben nur noch Stillstand herrscht, gibt es allerdings keine Antwort, außer vielleicht: An uns liegt es nicht.

Grüne Selbstgewissheit kommt bei FDP und Grüne nicht gut an

Dabei ist es gerade diese Selbstgewissheit, die die Liberalen derzeit abschreckt und die von den Sozialdemokraten als grüne Arroganz wahrgenommen wird. Nach der Bundestagswahl strahlten Grünen und FDP noch vor Zuversicht um die Wette: Eine neue Bundesregierung? Nicht ohne sie! Fast eineinhalb Jahre und mehrere desaströse Landtagswahlen später ist davon bei der FDP nichts mehr zu spüren. Doch statt auf den angeschlagenen Koalitionspartner zu reagieren, gemeinsame Themen zu identifizieren und den Liberalen dabei vielleicht auch mal einen Stich mehr zu gönnen, setzen die Grünen auf ihre moralische Überlegenheit.

Das führt zunehmend auch zu Spannungen mit dem Sozialdemokraten. Die Grünen empfinden es als Fehler, dass sich Olaf Scholz die Liberalen nicht nur im Streit um das Verbrenneraus gewähren lässt. Die öffentliche Kritik kommt dabei weder im Kanzleramt noch im Willy-Brandt-Haus gut an. 

"Gemeinsam stärker" – dieses Motto kann in viele Richtungen den Zusammenhalt stärken. Die Grünen müssen aber noch zeigen, dass es Ihnen dabei nicht nur um sich selbst geht. Die nächste Chance dazu bietet ihnen bereits der Koalitionsausschuss am Sonntagabend. Dann wird es auch auf die Grünen und ihre Kompromissfähigkeit ankommen, um Lösungen für den Stillstand bei der Planungsbeschleunigung oder im Heizungsstreit zu finden.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL FERNSEHEN | 23. März 2023 | 19:30 Uhr