Ein Richter im Verhandlungssaal.
In Mitteldeutschland werden in den kommenden Jahren zeitgleich viele Richter und Staatsanwälte in den Ruhestand gehen. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jens Wolf

Verbände schlagen Alarm Justiz in Mitteldeutschland droht massives Nachwuchsproblem

14. Mai 2021, 11:01 Uhr

In den kommenden zehn Jahren werden zeitgleich viele Richter und Staatsanwälte in den Ruhestand gehen. Richterverbände schlagen Alarm: Die Justiz stehe vor einem Nachwuchsproblem. Die Justizministerien dagegen sehen sich durch Vorkehrungen der vergangenen Jahre gewappnet.

Dass in vielen Branchen Pensionswellen anstehen, ist bekannt. In den meisten dieser Fälle wurde mit ausreichender Nachwuchsarbeit eine qualifizierte Reserve geschaffen, die solche Wellen abschwächen kann. Bei der Justiz in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist das nach Einschätzung von Interessensverbänden anders.

Dort ist die Lage besonders: Mit der deutschen Wiedervereinigung musste vor allem in den neuen Bundesländern die Justiz von Grund auf erneuert werden. Dafür wurden seinerzeit zeitgleich viele Richter und Staatsanwälte im selben Alter eingestellt. Die Folge: Ein großer Teil von ihnen geht bis 2030 in den Ruhestand.

Hinzu kommt: Anfang der 2000er Jahre wurde am Justizpersonal gespart, wodurch sich eine weitere Alterslücke bildete. Die Folgen seien verheerend, so die Interessensverbände. In den kommenden zehn Jahren werden nach Angaben der Justizministerien in Thüringen 46 Prozent, in Sachsen 41 Prozent und in Sachsen-Anhalt 39 Prozent der Richter und Staatsanwälte in Rente gehen.

Richterbund: Freie Wirtschaft zahlt besser

Der deutsche Richterbund (DRB) ist sich schon seit Jahren sicher: "An die Gehälter der freien Wirtschaft wird die Justiz nie herankommen." Schaue man in das Gebiet Frankfurt am Main, lockten Großkanzleien mit Einstiegsjahresgehältern von 100.000 Euro brutto und einem digitalisierten Arbeitsplatz. Dagegen stehe in der Justiz größtenteils ein Bruttogehalt von etwa 50.000 Euro im Jahr am Anfang zur Verfügung, bemängelt der DRB. Dies sei eines der Probleme im Kampf um den Nachwuchs.

In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gibt es zwar weniger Konkurrenz durch Großkanzleien, allerdings steht man mit anderen Bundesländern im Wettbewerb um den Nachwuchs. Betrachtet man die Einstiegsbesoldung für Richter, finden sich die mitteldeutschen Bundesländer im unteren Drittel wieder.

Verfahren werden immer länger

Neben dem fehlenden Personal nimmt die Komplexität der Aufgaben von Richtern und Staatsanwälten immer weiter zu. Allein im Jahr 2019 gab es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 4,9 Millionen staatsanwaltschaftliche Ermittlungen.

Betrachtet man die Anzahl der abgeschlossenen Verfahren an Landgerichten und Strafgerichten der vergangenen fünf Jahre, lassen sich keine großen Veränderungen erkennen. Vergleicht man die Verfahrensdauer, sieht man gerade an den Landgerichten einen kontinuierlichen Anstieg auf eine Durchschnittsverfahrensdauer von acht Monaten im Jahr 2019. Für den Vorsitzenden des Thüringer Richterbundes, Holger Pröbstel, sind immer längere Verfahren ein Grund, weshalb selbst neu geschaffene Richterstellen die Pensionswelle zurzeit nicht ausreichend abschwächen können.

Der DRB erklärt die längere Verfahrensdauer mit neuen und komplexeren Gesetzen. Unter anderem habe sich die Auswertung von Datenmengen in der digitalen Welt vervielfacht. Nach einer Rechnung des Nationalen Normenkontrollrats, der die Kostenfolgen von Bundesgesetzen prüft, braucht die Justiz bundesweit mindestens 500 weitere Richter und Staatsanwälte, um die neuen Gesetze gegen Hass und Hetze im Internet und Unternehmenskriminalität bearbeiten zu können.

Die Corona-Pandemie spielt auch hier eine neue Rolle. Verwaltungsgerichte haben zusätzlich mit tausenden Eilanträgen gegen Infektionsschutzmaßnahmen zu tun, gibt der DRB zu Bedenken.

Verband in Sachsen-Anhalt fürchtet kollabierende Justiz

Die Justizministerien sehen sich durch den "Pakt für den Rechtsstaat" aus dem Jahr 2019 auf dem richtigen Weg. Durch den Pakt wurden bundesweit 2.000 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte geschaffen. Zum Teil wird in den Bundesländern zusätzlich über Bedarf eingestellt, um eine Art Reserve zu schaffen. Das Thüringer Justizministerium erklärt: "Der Pakt für den Rechtsstaat hat sich bewährt, stärkt damit nicht nur den Rechtsstaat, sondern sorgt zudem für eine weitere frühzeitige Verjüngung des bestehenden Personalkörpers, nicht nur im höheren Justizdienst."

Eine goldfarbene Justitia-Figur vor Aktenbergen
In Sachsen-Anhalt warnt ein Interessensverband vor einem Kollaps der Justiz. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Britta Pedersen

Den Richterverbänden reichen die aktuellen Vorkehrungen dagegen nicht. Der Bund von Richtern und Staatsanwälten in Sachsen-Anhalt äußert sich bedenklich: "Wir befürchten, dass die Justiz des Landes bis 2030 kollabieren könnte, wenn die Anzahl der Neueinstellungen nicht spürbar zunimmt." Für den Thüringer Richterbund spielen neben den Neueinstellungen die Bewerberinnen und Bewerber eine wichtige Rolle. Man befinde sich schon jetzt im Nachwuchswettbewerb mit anderen Bundesländern, hieß es. Die Anforderungen an den Nachwuchs wurden in den vergangenen Jahren schon heruntergefahren, dennoch habe man Angst, in Zukunft offene Stellen nicht mehr besetzen zu können.

Man könne immer viele Stellen schaffen, wenn der Haushalt das zulasse. Qualifizierte Richter und Staatsanwälte müsse man aber mit zusätzlichen Argumenten überzeugen, unterstreicht der Thüringer Richterbund.

Quelle: MDR/Martin Czura, Luca Deutschländer

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 21. März 2021 | 19:30 Uhr

49 Kommentare

Bernd1951 am 16.05.2021

Hallo Wessi,
habe ich bisher leider überlesen und es ist mir erst jetzt aufgefallen.
Sie schreiben von Hilde Benjamin als "fachfremde" Justizministerin und kennen angeblich das Leben dieser Frau.
Warum finde ich dann in Wikipedia unter ihrem Eintrag folgende Sätze ?
"Sie studierte nach dem Abitur als eine der ersten Frauen von 1921 bis 1924 Rechtswissenschaften an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin sowie in Heidelberg und Hamburg. Eine Dissertation bei Moritz Liepmann über Strafvollzugsfragen beendete sie nicht."
"Nach Referendars- und Assessorexamen ließ sie sich 1928 als Rechtsanwältin im Berliner Arbeiterbezirk Wedding nieder" (beides Quelle Wikipedia, Eintrag Hilde Benjamin)
Das mit der Kenntnis vom Leben Hilde Benjamins wage ich zu bezweifeln.
Meine Bitte an das MDR-Team ist es, auch wenn es nicht zum Thema gehört, diesen Fakt als Beitrag doch zu veröffentlichen, weil der Beitrag auf den er sich bezieht m. E. eine unkorrekte Information enthält.

Bernd1951 am 16.05.2021

Ich will einmal wieder von der "Roten Hilde" zum eigentlichen Inhalt des Beitrags zurückkehren und eine mich interessierende Frage zu stellen:
Es kann ja notwendig sein, dass jemand vor der Gerichtsverhandlung in Untersuchungshaft genommen wird. Das kann ja zum Beispiel mit Verdunklungsgefahr oder Fluchtgefahr begründet werden. Nun kann ich mir vorstellen, dass er nicht "ewig und 3 Tage" in U-Haft gehalten werden kann, weil die Kapazitäten des Gerichts nicht ausreichen, ein entsprechendes Verfahren zu eröffnen. Muss er dann nach rechtsstaatlichen Grundsätzen vorläufig in die Freiheit entlassen werden mit allen Konsequenzen ?

martin am 15.05.2021

@frau sauer: Kenntnisse des Bereichs sind sicher nicht schädlich. Allerdings unterstelle ich, dass bei der Althaus'schen Behördendeform äh -reform mit mehr Fachkenntnis (fast) genauso entschieden worden wäre. Nach meiner Einschätzung (die durchaus falsch sein mag, da ich Herrn Althaus nicht persönlich kenne) wurde hier eine politische Entscheidung über die Sachebene (die er vermutlich von seinen Beamten durchaus mitgeteilt bekommen hat) gestellt. Da helfen dann eigene Fachkenntnisse möglicherweise auch nicht weiter.

Bei den Amtsleitern erwarte ich einschlägige Fachkenntnisse. Sicher nicht in allen Details aller hinteren Winkel. Bei Landräten und Ministern sehe ich das anders. Die müssen sich bzgl. der Fachlichkeit auf ihre Mitarbeiter verlassen können. Ob sie deren Vorschläge dann übernehmen .....

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