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Ampel-AusPolitikprofessor: System "Vertrauensfrage" ist unwahrhaftig

Will der Bundestag den Kanzler abwählen, muss ein Gegenkandidat die Mehrheit im Parlament hinter sich vereinen. So funktioniert das konstruktive Misstrauensvotum. Doch auch der Kanzler kann die Vertrauensfrage stellen und so Neuwahlen einleiten. Ein Politikprofessor sieht das kritisch.

Dass ein Kanzler auch bei fehlender Mehrheit schwer zu stürzen ist, liegt an Erfahrungen der Weimarer Republik, sagt Hubertus Gersdorf, Staatsrechtler an der Universität Leipzig. "Nach der Weimarer Verfassung war es möglich, den Reichskanzler schlicht abzuwählen. Und das wurde auch von der Opposition so häufig gemacht, dass trotz ganz unterschiedlicher politischer Überzeugung die Opposition sich einig war bei der Abwahl."

Gleichzeitig aber konnte sich die Opposition nicht auf die Wahl eines neuen Reichskanzlers verständigen, sagt Gersdorf, etwa in der Septemberkrise 1932: In seiner ersten regulären Sitzung nach der Wahl sorgt der Reichtstag gleich für den Sturz der Regierung von Papen. Den Misstrauensantrag stellt die kommunistische KPD. Doch mit ihr geben auch die Nationalsozialisten ihre Stimmkarten ab. Hermann Göring von der NSDAP verkündet das Ergebnis im Deutschen Reichstag: "Abgegeben worden sind 550 Karten. Davon haben fünf sich der Stimme enthalten, 32 mit Nein und 513 mit Ja gestimmt."

Die Bilanz von nur 13 Jahren Weimar lautete am Ende dann: 21 Regierungen unter elf verschiedenen Kanzlern. Das Ansehen der Demokratie wird dadurch schwer beschädigt, die Machtergreifung Hitlers möglich.

Konstruktives Misstrauensvotum verbreitet

In unserem Grundgesetz, erklärt Politikprofessor Volker Best von der Universität Halle-Wittenberg, steht deshalb von Beginn an "eine echte verfassungspolitische Innovation, dass man eben nur den Kanzler stürzen kann, in dem man mit gleicher Abstimmung einen neuen Kanzler an seine Stelle setzt, das sogenannte konstruktive Misstrauensvotum". Das macht Schule – auch Spanien und Belgien übernahmen die Idee, so Best. Beide von MDR Aktuell befragte Experten, Best und Gersdorf, halten das konstruktive Misstrauensvotum weiterhin für zeitgemäß und stabilitätssichernd.

Kritik an der Vertrauensfrage: Unwahrhaftig

Ein wenig kritischer sieht Best die zweite Option, die Vertrauensfrage, mit der ein Bundeskanzler seine Abwahl selbst einleiten kann. Best kritisiert nicht die Vertrauensfrage an sich, sondern wie sie oft genutzt werde und wie auch Scholz es will. Die Regierungsparteien stimmen dann gegen den eigenen Kanzler, um Neuwahlen zu ermöglichen. "Es ist dann sehr umständlich und hat so was Unwahrhaftiges durch das Abstimmungsverhalten gegen die eigenen Überzeugungen", so Best.

Best hielte es für ein ehrlicheres und damit zustimmungsfähigeres Instrument, wenn das Parlament über seine eigene Existenzdauer entscheiden könne. Funktionieren könne das nur, wenn gleichzeitig Regierungsparteien den Bundestag nicht aus taktischen Gründen auflösen könnten – etwa, wenn gerade die Zustimmungswerte steigen.

Experte: Scholz taktiert beim Vertrauensvotum

Ein wenig Taktik unterstellt übrigens Staatsrechler Gersdorf auch Bundeskanzler Scholz beim geplanten Vertrauensvotum. Scholz' Argument, vorher noch wichtige Abstimmungen organisieren zu wollen, ziehe nicht. "Ob die Vertrauensfrage in der nächsten Woche oder erst im Januar gestellt wird: Der Bundeskanzler ist, um seine Projekte zu realisieren, in beiden Fällen auf die Opposition, das heißt auf die CDU/CSU-Fraktion angewiesen", argumentiert Gersdorf. Daher gäbe es keinen Sachgrund, das Votum hinauszuschieben.

Scholz bleibe ohnehin im Amt, bis das Parlament seine Nachfolgerin oder seinen Nachfolger wählt, sagt Gersdorf. Denn die große Lehre aus Weimar sei eben: keine Abwahl ohne Neuwahl.

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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 11. November 2024 | 06:37 Uhr

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