PersonalmangelMediziner befürchten dramatische Engpässe in deutschen Kinderkliniken
In den Kinderkliniken in Deutschland drohen nach Angaben von Ärzteverbänden massive Engpässe. Personalmangel führe dazu, dass viele Betten nicht genutzt werden könnten. Bei den üblichen Infektionswellen im Herbst bestehe die Gefahr, dass nicht mehr alle Kinder versorgt werden können.
- Durch Personalmangel drohen an deutschen Kinderkliniken laut Medizinern dramatische Engpässe.
- Die Bettenzahl ist innerhalb von 26 Jahren um ein Drittel gesunken, die Fallzahl aber gestiegen.
- Weil im Zweifel auf Kliniken mit weniger Pädiatrie-Erfahrung ausgewichen werde, befürchten Ärzte, dass Kinder zu Schaden kommen könnten.
Ärzteverbände prangern Versorgungsengpässe in den deutschen Kinderkliniken an und warnen vor einer dramatischen Zuspitzung der Lage. Der Präsident der Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Jörg Dötsch, sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, durch Personalmangel könnten viele Krankenhausbetten nicht belegt werden. "Im Herbst waren nahezu alle Kinderkliniken komplett überlastet. Das kann im kommenden Herbst wieder drohen, wenn sich die Lage bis dahin nicht ändert."
Dötsch sagte, rein wirtschaftlich rechneten sich Kinderkliniken oft nicht, da die Versorgung von Kindern in Kliniken schwerer zu kalkulieren sei als die von Erwachsenen. Hinzu kämen verbindliche Personalgrenzen: So dürfe sich eine Pflegekraft nachts maximal um zehn Kinder kümmern. Bei jedem weiteren Kind müsse eine zusätzliche Kraft eingeplant werden, die dann oft fehle. Das führe dazu, dass viele Betten mangels Personals nicht zu betreiben seien.
Kinder wegen Überlastungen ins Ausland verlegt
Auch zu normalen Zeiten kommt es nach Angaben von Dötsch vor, dass sechs oder sieben Kliniken durchtelefoniert werden, bis ein passendes Bett gefunden ist. "Es ist auch schon vorgekommen, dass wir Kinder über die Grenze nach Luxemburg, Belgien oder in die Niederlande verlegt haben." Für die Kinder und Familien sei das eine Riesenbelastung.
Nach Angaben der Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin ist zwischen 1991 und 2017 die Bettenzahl in der Pädiatrie um ein Drittel gesunken. Im gleichen Zeitraum stiegen die jährlichen Fallzahlen allerdings: von durchschnittlich 900.000 behandelten Kindern und Jugendlichen auf mittlerweile mehr als eine Million.
Bei Infektionswellen "keine Chance, alle Kinder zu versorgen"
Zustimmung kommt von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Generalsekretär Florian Hoffmann, erklärte, man werde in den Kinderkliniken durch den Mangel an Pflegekräften immer weniger Betten betreiben können. "Wenn es Infektionswellen gibt, wie sie im Herbst in der Regel vorkommen, haben wir keine Chance, alle Kinder zu versorgen."
Das bedeute, dass die Kinder nicht mehr in einer Klinik mit medizinischer Maximalversorgung behandelt würden, sondern unter Umständen in einem Krankenhaus, das viel weniger Erfahrung habe, warnte Hoffmann. Kinder könnten auf diese Weise zu Schaden kommen.
Gegensteuern der Politik würde erst mit Verzögerung greifen
Der Mangel habe schlimme Folgen, so Hoffmann. "In vielen deutschen Kinderkliniken können auf den Kinderintensivstationen im Schnitt ein Drittel der Betten wegen Personalmangels nicht genutzt werden." In manchen Kliniken sei sogar die Hälfte nicht mehr belegbar.
Das System sei über Jahre nach unten gefahren worden, Arbeitsbedingungen machten es immer schwieriger, Pflegekräfte langfristig im Beruf zu halten. "Selbst wenn die Politik jetzt gegensteuert, werden Veränderungen frühestens in einigen Jahren greifen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte vor kurzem eine Reform der Finanzierung der Kinderheilkunde in Aussicht gestellt.
Böckler-Stiftung: Auf Intensivstationen fehlen bis zu 50.000 Pflegekräfte
Derweil ist die Lage im Gesundheitsweisen auch abseits der Pädiatrie angespannt. Bundesweit fehlen laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung bis zu 50.000 Vollzeitkräfte in der Intensivpflege der Krankenhäuser.
Die Politik in Bund und Ländern müsse deshalb endlich handeln, heißt es in einer Mitteilung der Stiftung. Unterbesetzung und Arbeitsüberlastung seien "eine Gefahr für die Gesundheit der Patienten und auch für die Gesundheit des Pflegepersonals auf Intensivstationen", so Gesundheitssystemforscher Michael Simon.
MDR (fef), dpa, epd, kna
Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 01. Juni 2022 | 09:14 Uhr
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