Kommentar zum Grünen-Parteitag Grün und glatt: Statt Streit viele Kompromisse bei den Grünen

16. Oktober 2022, 14:10 Uhr

Drei Tage debattierten die Grünen in Bonn über Krieg, Krise und am Ende auch Klimaschutz. Die großen Redeschlachten blieben aus. Stattdessen zeigte die Partei große Geschlossenheit, besonders bei der Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen die russische Aggression. Bei anderen Themen wie Streckbetrieb der AKW und Klimaschutz findet man Kompromisse ohne großen Streit. Ein Kommentar von MDR-Hauptstadtkorrespondent Tim Herden.

Früher gab es nicht nur mehr Lametta. Früher gab es auch mehr Streit bei den Grünen. Jedenfalls war der Parteitag in Bonn eher eine Art Klassentreffen mit viel Wiedersehensfreude nach zwei Homeoffice-Delegiertenkonferenzen und vor allem Geschlossenheit.

Schon am Freitag winkten die 800 Delegierten einen Beschluss durch, der im Notfall den Weiterbetrieb der AKW Neckarwestheim und Isar 2 erlauben soll und Wirtschaftsminister Habeck den Rücken stärkt in der Auseinandersetzung mit der FDP über die Verlängerung der Laufzeiten. Annalena Baerbock bekam für ihre konsequente Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland inklusive Waffenlieferungen stehende Ovationen. Einzig die Debatte um das Abbaggern des Dorfes Lützerath zugunsten der Braunkohle und damit Energiesicherheit brachte den Saal in Wallung. 

Geschlossenheit als Stärkungsmittel für die grünen Bundesminister

Die Grünen zeigen sich als folgsame Regierungspartei. Das kann man gerade in diesen Zeiten des Kriegs und der Krise nicht unbedingt kritisieren. Angesichts der ansonsten ausgeprägten Streitkultur innerhalb der Ampelkoalition. Schon genervt von den permanenten Konflikten zwischen den drei Koalitionären, würden innere Zerreißproben die Bürger noch mehr ermüden.

Die Geschlossenheit der Partei macht gerade die Stärke der Grünen aus und hat sie nicht nur zahlreichen Wahlerfolgen geführt, sondern auch in die Bundesregierung und zu Regierungsbeteiligungen in demnächst zwölf der sechzehn Landesregierungen. Die Grünen sind damit von ihrem Machtpotential die drittstärkste Partei in diesem Land. 

Bruch mit früheren Prinzipien durch den Krieg wird akzeptiert

Dabei haben die Grünen durch die Ereignisse in den letzten Monaten eine eigene Zeitenwende hinter sich. Wie tief der Bruch ist, zeigt ein Blick zurück auf die Plakate zur letzten Bundestagswahl vor einem Jahr. Annalena Baerbock warb da mit dem Slogan "Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete". Jetzt sind es gerade grüne Politiker, wie die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour, die immer mehr Waffen für die Ukraine im Kampf gegen Russland fordern.

Verhandlungen für eine friedliche Lösung oder wenigstens einen Waffenstillstand scheinen keine Option zu sein, obwohl man sich selbst als Friedenspartei bezeichnet. Die Grünen setzen dabei nur einen Weg fort, der bereits 1999 mit der damals noch heftig umstrittenen Zustimmung zum Einsatz der Bundeswehr im Jugoslawienkrieg begonnen hat. In Abwägung zwischen den Werten Frieden auf der einen und Menschenrechten und Freiheit auf der anderen Seite, ist für sie der Einsatz von militärischen Mitteln zur Durchsetzung letzterer Ziele durchaus richtig.

Dass es unter diesen vermeintlich guten Absichten beim Nato-Einsatz unter Beteiligung der Bundeswehr in Afghanistan zu einem Desaster kam, wurde auf dem Parteitag schlichtweg ausgeblendet. Immerhin hatten die Grünen diesen Einsatz 2001 erst ermöglicht. 

Momentan keine Alternativen zu Waffenlieferungen

Im Ukraine-Krieg setzt man trotzdem weiter allein auf den militärischen Erfolg des angegriffenen Landes mittels weiterer Waffenlieferungen und schließt Verhandlungen so lange aus, bis die Ukraine selbst dazu bereit ist.

Wirtschaftliche Kollateralschäden mit unabsehbaren sozialen und auch politischen Folgen, weltweit, aber auch im eigenen Land, werden dabei in Kauf genommen. Von den vielen Toten auf beiden Seiten mal ganz zu schweigen. Dabei heißt es im Parteitagsbeschluss unter dem Stichwort "feministische Außenpolitik": "Unser Handeln darf Konflikte nicht befördern oder anderen Staaten in ihrer nachhaltigen Entwicklung schaden."

Wertorientierte Außenpolitik scheitert an der globalen Realität  

Gleichzeitig baut die Partei eine Drohkulisse gegenüber Ländern wie China auf, die den Werten der Grünen nicht entsprechen. Doch so funktioniert die globale Welt mit ihren gegenseitigen Abhängigkeiten nicht. Gerade für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland ist das eine riskante politische Strategie.

Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck hat das auch schon erfahren müssen, als er nach Saudi-Arabien oder Katar fahren musste, um dort um Ersatz für russisches Gas zu bitten. Ihm wurde die kalte Schulter gezeigt. Erst der Kanzler und die Zusage von Waffenlieferungen innerhalb eines europäischen Rüstungsprojektes erweichte das Herz der Saudis. Und zur Fußball-WM in Katar wird nun auch ein Regierungsmitglied fahren, damit das Land LNG-Gas liefert.

Innenpolitisch überwiegt Pragmatismus statt Ideologie

Selbst im eigenen Land werden die Grünen von der Realität eingeholt. Atomkraftwerke möglicherweise kurze Zeit länger betreiben, Braunkohlekraftwerke wieder anfahren, um die Energiepreise als Treiber von Inflation und Rezession zu drücken, läuft ihren eigenen klimapolitischen Zielen entgegen. Da zeigt sich dann bei den Grünen aber ein erstaunlicher Pragmatismus, geprägt von den Regierungserfahrungen in Ländern und Kommunen. Da hat man über Jahre gelernt, Kompromisse zu schließen, statt am Parteiprogramm festzuhalten.

Als Ventil für die Unzufriedenen gab es am Ende eine heftige Debatte über das Abbaggern des Dorfes Lützerath in Nordrhein-Westfalen. Das Dorf muss fallen, damit mehr Kohle gefördert werden kann. Das trieb viele Delegierte auf die Palme, wird aber in der Realpolitik nichts ändern.

Am Ende war dieser Parteitag der Grünen in seinem ruhigen Ablauf ohne große Konflikte der aktuellen Situation mit Krise und Krieg geschuldet. Streit um die Klima- und Friedenspolitik hätten die Position der grünen Bundesminister in der Ampel geschwächt.

Die Grünen präsentieren sich auch immer mehr als Partei, die sich ihrer staatspolitischen Verantwortung in der Bundes- und zahlreichen Landesregierungen stellt. Dazu gehört offenbar auf Parteitagen – anders als früher – weniger Streit. Mit der Zeit ändern sich auch Parteien. Es gibt ja auch immer weniger Lametta. 

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 15. Oktober 2022 | 11:00 Uhr

109 Kommentare

Anni22 am 18.10.2022

@ Wessi Erstens sagen Umfragen was anderes aus und zweitens, die Leute und Firmen wollen Strom und dann muss der auch irgendwo herkommen und da hilft es nicht wenn irgendwann irgendwo irgendwas gebaut wird. Wenn Sie fertig sind mit der Energiewende kann man die Fosiilen ja abschalten, aber eben erst dann. Und deshalb ist auch die Abschaltung zum 15. April wieder einfach nur unsinnig! Sie können sich doch nicht darauf verlassen, das die Nachbarn uns schon irgendwie beliefern werden, die machen das überwiegend auch nur mit Kohle oder AKW.

emlo am 18.10.2022

@Mischka: Was nichts anderes als "Streckbetrieb" heißt. Oder glauben Sie ernsthaft, dass der Betreiber für die paar Monate über den Dezember hinaus noch in neue Brennelemente investiert?

wo geht es hin am 18.10.2022

"Das "Problem" für mich sind die Grünen überhaupt, aber wenn man mit ihnen Realpolitik machen kann, so ist das okay!"
Die Grünen und Realpolitik? Eher lernt ein Esel Schlittschuhlaufen. Die Grünen SIND das Problem!

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