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KommentarLindners Steuerpläne reichen nicht aus

11. August 2022, 10:50 Uhr

Steuererleichterungen für rund 48 Millionen Menschen, rund zehn Milliarden Euro schwer – so die Eckdaten des "Inflationsausgleichgesetzes" aus dem Hause Lindner. Entlastungen für die "breite Mitte", aber kaum für den schmalen Geldbeutel, und am meisten dürften sich Superreiche freuen, denn für sie ändert sich gar nichts. Das ist schlichtweg zu wenig: Steuerpolitik in der Krise müsste anders aussehen.

Wenn der Staat an der Krise verdient, "dann ist das unfair", sagt Christian Lindner. Da hat der Bundesfinanzminister recht. Wenn Lohnsteigerungen der Inflation nicht hinterherkommen, die Steuersätze aber gleichbleiben, landet überproportional viel Geld beim Staat. Es fallen höhere Steuern an, obwohl die reale Kaufkraft gleichbleibt oder sinkt. Die sogenannte kalte Progression ist nicht nur angesichts der Rekordinflation, der steigenden Energie- und Lebensmittelpreise nicht hinnehmbar, sie ist für viele Menschen mit kleinen Einkommen existenzgefährdend.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) Bildrechte: IMAGO / IPON

Lindner nennt das "heimliche Steuererhöhung durch die Hintertür", und man möchte den FDP-Politiker fragen, wer denn bitte diese ominöse Hintertür-Taktik verfolgt, die er da zu verhindern gedenkt? In der Ampel-Koalition dürfte er niemanden finden, der etwas dagegen hat, die kalte Progression zu bekämpfen.

Schließlich ist ein Ausgleich der Inflation vor allem eines: gesetzlich vorgeschrieben, zumindest beim Grundfreibetrag – schon seit Mitte der 1990er-Jahre. Auch ein gewisser Ex-Finanzminister, jetzt Bundeskanzler, Olaf Scholz musste diesen Ausgleich vornehmen – nur fiel er da nicht so üppig aus, wie es Lindner jetzt plant.

Wer mehr behalten darf

192 Euro sollen Bürgerinnen und Bürger im Durchschnitt sparen, wenn das Inflationsausgleichsgesetz kommt. Neben einer Anpassung der Eckwerte für den Einkommenssteuertarif, sollen das Kindergeld und der Kinderfreibetrag erhöht werden. Für "sozialen Ausgleich" sei dabei gesorgt, erklärt Lindner. Schließlich würden niedrigere Einkommen prozentual mehr entlastet. Das stimmt. Schaut man jedoch auf die absoluten Zahlen, wird klar: Wer mehr hat, soll mehr einsparen dürfen. Wer 20.000 Euro im Jahr versteuert, soll Lindner zufolge um 119 Euro entlastet werden, bei 60.000 wären es 471 Euro.

Das klingt absurd angesichts der Tatsache, dass Menschen mit geringem Einkommen am stärksten unter der Krise leiden. Die ersten Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) machen es noch deutlicher: Von Linders Steuerplänen würden 54 Prozent der Entlastung an die oberen 20 Prozent der Einkommensverteilung gehen, nur zwölf Prozent an die unteren fünfzig Prozent in der Einkommensverteilung. Die Hälfte guckt also mehr oder weniger in die Röhre. Der Spitzensteuersatz soll aber laut aktuellem Gesetzentwurf nicht angefasst werden. Das ist unfair.

Ampel-Arithmetik

Nun gut, es wäre auch unfair, der von Umfrage-Ergebnissen geplagten FDP nicht einzugestehen, etwas für ihr Wählerklientel tun zu wollen. Außerdem haben SPD und Grüne schließlich ebenfalls Projekte umgesetzt, die ihren Stammwählerinnen und -wählern gefallen dürften. Vom 9-Euro-Ticket bis zum Bürgergeld konnten Grüne und Sozialdemokraten den bisherigen Entlastungspaketen ihren Stempel aufdrücken. Jeder Partei ihr Profil, sonst geht der Ampel das Licht aus.

Es ist aber auch nicht so, als sei die FDP – siehe Pendlerpauschale und Tankrabatt – bislang nicht zum Zuge gekommen. Angesichts der zu großen Nachzahlungen für Energiekosten, die Geringverdienende im Herbst und Winter erwarten müssen, wäre ein weiterer Ausgleich mehr als ratsam.

Wo soll das Geld herkommen?

Dass die Mitte der Gesellschaft steuerliche Erleichterungen erhalten soll, ist eine gute Idee. Es ist jedoch kaum vermittelbar, dass der Spitzensteuersatz nach Linders Vorschlag nicht angetastet werden soll. Gewerkschaften und Sozialverbände weisen seit Wochen darauf hin, dass es noch weitere große Entlastungspakete brauche, die auf untere Einkommensstufen zielen. Damit sind jene gemeint, die sich nicht über den teuren Restaurantbesuch ärgern, sondern schon lange nicht mehr hingehen, weil das Geld fehlt.

Was könnte die Regierung tun?

Im Gespräch sind hier unter anderem Preisdeckel und Einmalzahlungen. Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler geben zu erkennen, dass – egal für welche Entlastung sich die Ampel entscheidet – es auch neue Geldquellen braucht. Entweder muss der Staat weitere Schulden aufnehmen oder er belastet all jene überdurchschnittlich stark, die deutlich mehr als der Durchschnitt haben. Dafür aber müsste der Finanzminister entgegen seiner jetzigen Pläne den Spitzensteuersatz, Erbschafts- und Vermögenssteuer und die Immobilienbesteuerung anfassen. Fraglich ist, wie groß der Leidensdruck noch werden muss, bis die Ampel den einen oder anderen Weg einschlägt.

Abwarten

Noch ist nichts beschlossen. Lindner ist sich bewusst, dass seine Pläne auf wenig Gegenliebe bei SPD und Grünen treffen. Bislang wurde der Vorschlag nicht einmal im Kabinett besprochen. Also trommelt der Liberale für Aufmerksamkeit und Mehrheiten. Nicht umsonst hat Lindner die trockenen, kargen Sommerloch-Wochen gewählt, um seine Vision eines fairen steuerlichen Ausgleichs zu präsentieren. Bis das Inflationsausgleichsgesetz verabschiedet wird, muss es aber noch durch viele Hände; und am Ende wird ein Kompromiss stehen. Sprich: Jeder Koalitionär muss Abstriche machen. Oder um es mit den Worten des Finanzministers zu sagen – SPD und Grüne wären von einer Gratismentalität nicht überzeugt.

Quelle: MDR AKTUELL

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL FERNSEHEN | 10. August 2022 | 19:30 Uhr