KommentarDie Selbstzerstörung der Linken
Nach Amira Mohammed Ali und Jan Korte kündigt nun auch Dietmar Bartsch an, in der Bundestagsfraktion der Linken keine Verantwortung mehr übernehmen zu wollen. Ihren parlamentarischen Wert stellt die Bundestagsfraktion trotz alledem auch heute noch unter Beweis. Schon sehr bald könnte es damit aber vorbei sein.
- Innerhalb der Linken geht man von einer baldigen Abspaltung Wagenknechts aus.
- Die zwei verschiedenen Lager der Linken werden wohl nicht mehr zueinanderfinden.
- Der Wegfall der Linke wäre ein Verlust für die deutsche Parteienlandschaft.
Waffenlieferungen und Aufrüstung, Pandemie-Nachwehen, Energieknappheit und weniger Netto vom Brutto. In welcher Verfassung muss eine europäische linke Partei sein, die diese Themen nicht mehr für sich zu nutzen weiß? Wohl in einer denkbar schlechten. Die Wahrheit ist: Die Linke, wie wir sie kennen, dürfte nicht mehr zu retten sein. Die inhaltliche Distanz zwischen den Lagern ist zu groß, die verbliebenen Führungspolitiker sind zu verfeindet, als dass der in der Partei klaffende Riss noch zu kitten wäre.
Dass Wagenknecht und ihre Getreuen gemeinsam nach monatelangen Andeutungen, Angriffen und Sehnsuchtsbekundungen gehen wollen, wird innerparteilich bereits als Gewissheit gesehen. Eine Frage der Zeit ist, wann sie ihre Sachen packen und gehen. In ihrem Gepäck wären nicht nur Redezeiten und finanzielle Mittel der Fraktion, sondern auch parlamentarische Rechte, die die Partei verlieren würde.
Einigung der Lager unwahrscheinlich
Die sich selbst als fortschrittlichen Teil der Partei sehenden Kräfte, von Wissler über Kipping bis Bünger, die für ein radikaleres Gegensteuern in der Klimakrise, Gleichberechtigung für alle Geschlechter und für ein Europa ohne Mauern eintreten, sind in den Augen des Wagenknecht-Lagers ein Ausdruck von Wohlstandsverwahrlosung in der Partei mit einer maximalen Distanz zur Basis. Linke, die grüner sein wollen als die Grünen – ohne Blick fürs Proletariat. Oder mit Wagenknechts Worten: "Lifestyle Linke".
Wagenknecht, Mohammed Ali, Ernst und andere Größen der konservativen Linken sind in den Augen des Parteivorstandes und aus Sicht der Großstadt-Kreisverbände unbegreiflich populistisch unterwegs und in Teilen rechter als die CDU. Außenpolitisch sieht man Wagenknecht im vergangenen Jahrhundert verhaftet, innenpolitisch biedere sich die Möchtegern-Ausgründerin an ein Wählermilieu an, von dem sie fälschlicherweise ausgehe, es sich mit der AfD teilen zu können, so die Kritik.
Zweifler und harmoniebedürftige Romantiker werden zwischen den Lagern aufgerieben oder bleiben traurig zurück. Neue Fraktionsvorsitzende, die der am Boden liegenden Linken wieder Leben einhauchen und die Lager vereinen könnten, tun sich derzeit nicht hervor. Das ist verständlich – erscheint die Aufgabe: zu einen, was nicht geeint werden will, doch auch geradezu unmöglich. Geht Wagenknecht, zerbricht die Fraktion – zerbricht die Fraktion, zerbricht auch die Linke.
Mehrwert in der Demokratie
Für die deutsche Parteienlandschaft wäre das ein Verlust. Manche Experten und Politiker argumentieren, eine Wagenknecht-Partei hätte das Potenzial die AfD zu dezimieren. Eine womöglich irreführende Hoffnung. So radikal wie sich Wagenknecht gerieren müsste, um der AfD-Wähler abzuwerben, wird sie nicht auftreten. Ein bisschen Russland-Nostalgie und Arbeiterlieder reichen da nicht aus – auch bei den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen nicht. Einen Thüringer Wahlkampf der Wagenknecht-Linken würden am ehesten der Partei des amtierenden Ministerpräsidenten schaden.
Würde die Linke ihre Selbstzerstörung auf die Spitze treiben, wäre es vorbei mit parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten von links. Gerade in Zeiten, in denen die AfD im Aufwind ist und vermehrt Flüchtlingsunterkünfte angegriffen werden, braucht es aber kleine Anfragen im Parlament, die sich nach dem Stand des Demonstrationsgeschehens extrem rechter Gruppen erkundigen oder die Unterbringung von Flüchtlingen hinterfragen. Das sind kleine Anfragen auf der größtmöglichen politischen Bühne, von deren Beantwortung auch wir Journalistinnen und Journalisten profitieren. Ich wünsche der Linken, dass sie ihren Mehrwert in der Demokratie erkennt und weitermacht. Ich glaube nur nicht mehr daran.
Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 18. August 2023 | 05:00 Uhr