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Kommentar zum Kanzler-MachtwortDie längere AKW-Laufzeit verlagert das Problem nur in den April

18. Oktober 2022, 17:35 Uhr

Olaf Scholz zieht im Streit um den Weiterbetrieb der restlichen Atomkraftwerke das Schwert der Richtlinienkompetenz. Nach dem Machtwort des Kanzlers laufen alle verbliebenen AKWs weiter bis 15. April 2023. Vorerst. Mit Blick auf die Energiesicherheit und die Versorgungssicherheit im nächsten Jahr wäre eine längerfristige Entscheidung notwendig gewesen. So wird der Streit nur erneut vertagt.

Der Kanzler hat endlich ein Machtwort gesprochen im Streit um den Weiterbetrieb der noch laufenden Atomkraftwerke. Bis Mitte April 2023 sollen nun alle drei Meiler weiterlaufen, auch das Kernkraftwerk Emsland. Diese Entscheidung war längst überfällig – und kommt schon jetzt fast zu spät. Vor allem war sie überflüssig, angesichts der aktuellen Situation auf dem Strom-Markt.

Entscheidung war längst überfällig

Wenn schon jetzt klar ist, dass wir und auch unsere europäischen Nachbarn auf jede Kilowattstunde Strom angewiesen sind, wie kann man dann Kraftwerke abschalten? Selbst wenn ihr Anteil nur sechs Prozent an der Energieproduktion ausmacht. Es sind immerhin sechs Prozent. Vor allem die Grünen ließen da ihren, meist von sich selbst so hochgelobten Pragmatismus vermissen. Von ihrem Ziel Klimaschutz ganz zu schweigen.

Auch das Kernkraftwerk Emsland wird bis Mitte April 2023 weiterbetrieben. Bildrechte: IMAGO / Rupert Oberhäuser

Denn eher emissionsreiche Kohlekraftwerke hochzufahren statt emissionsarme Kernkraftwerke am Netz zu halten, war unverständlich. Die FDP dagegen hat hier mal Vernunft walten lassen, mit ihrer Forderung, die AKW am Netz zu lassen, auch wenn sie sich mit ihrer Forderung eines Weiterbetriebs bis 2024 nicht durchsetzen konnte. Vorerst.  

Schon Ende des Winters wird der Streit erneut beginnen

Denn man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass der Beschluss nur eine Halbwertzeit bis Ende Februar 2023 hat. Olaf Scholz und die Ampel-Koalition stehen dann wieder vor demselben Dilemma wie in der aktuellen Debatte um die Laufzeit der AKW. Die Prognosen für die Energieversorgung 2023 sehen viele Experten deutlich schlechter als für 2022. Dann werden die Gasspeicher langsam leerlaufen und nicht wieder so schnell gefüllt werden können wie dieses Jahr.

Der Großteil der Befüllung erfolgte noch über russisches Gas. Doch das gibt es nun nicht mehr durch die Schäden an Nord Stream 1 und 2. Als Alternative steht wahrscheinlich bis dahin nur ein LNG-Terminal für die Anlandung von Flüssiggas zur Verfügung. Abgesehen von Lieferengpässen durch den insgesamt in Europa wachsenden Bedarf. Ob Norwegen und die Niederlande weiter so liefern wie jetzt, ist auch offen.

Es wird also noch weniger Gas für die Verstromung zur Verfügung stehen als jetzt. Bleibt zudem die Wetterlage so wie in diesem Jahr mit wenigen Niederschlägen, werden wohl kaum die AKW in Frankreich wieder anlaufen. Außerdem geht es beim Ausbau der erneuerbaren Energien immer noch so schleppend voran, dass sie die notwendigen zusätzlichen Mengen Strom aus Wind und Sonne als Ausgleich nicht liefern können.

Grüne müssen Kröte mangels Koalitionsalternative schlucken

Unter diesen Voraussetzungen könnte die Koalition dann vor der Frage stehen, nicht nur die drei Kernkraftwerke noch einmal weiterlaufen zu lassen, sondern auch stillgelegte Meiler wieder anzufahren. Wieder werden wir dann den gleichen Streit mit den gleichen Argumenten erleben und lange auf ein Machtwort des Kanzlers hoffen. Dabei hätte er schon jetzt diese langfristige Entscheidung zum Weiterbetrieb der AKW treffen können mit der Option, alte Meiler wieder in Betrieb zu nehmen.

Der ehemalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin kritisiert die Entscheidung von Scholz zur Laufzeitverlängerung der deutschen AKW. Bildrechte: IMAGO / Political-Moments

Auch wenn jetzt Jürgen Trittin über eine schwere Erschütterung der Koalition philosophiert, ist das nicht mehr als ein Sturm im Wasserglas. Welche Alternativen hätten denn die Grünen? Scheiden sie aus der Ampel aus, verlieren sie jede Machtoption im Bund bis zu den Wahlen 2025. Für eine Zweierkoalition Union/Grüne reicht es nicht. Jamaika in einer neuen Dreierauflage mit Grünen und FDP unter der Führung der Union, möglicherweise noch unter einem Kanzler Friedrich Merz? Die Grünen kämen so bei der Atomkraft nur vom Regen in die Traufe.

Der Bundespräsident wird in Krisenzeiten kaum Neuwahlen zulassen, sondern wie 2017 die SPD dann die Union an ihre staatspolitische Verantwortung erinnern. Hinzu kommt die Gefahr, jetzt im Winter zu Wahlen zu kommen, besonders die politischen Ränder, wenn nicht vor allem die AfD zu stärken.

Stromversorgung braucht längerfristige Entscheidungen

Deshalb sollte im Sinne der Energiesicherheit die Vernunft über das ideologische kleine Karo siegen. Das Atomgesetz muss gleich so geändert werden, dass über den 15. April 2023 die unbürokratische Möglichkeit eingeräumt wird, einen Weiterbetrieb zu ermöglichen.

Neue Brennstäbe sollte man sicherheitshalber schon mal optionieren. Scholz hat mit seinem Machtwort einen ersten wichtigen Schritt für die Energiesicherheit getan. Nur wäre es gut, mal von der Fahrt auf Sicht in diesem Bereich und einen sicheren langfristigen Kurs einzuschwenken.

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 17. Oktober 2022 | 19:30 Uhr

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