Notlage Drohende Insolvenzen: So krank sind Deutschlands Krankenhäuser

24. April 2023, 05:00 Uhr

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat vor einer Pleitewelle von Kliniken gewarnt. Bis zu einem Fünftel aller Kliniken könnten betroffen sein. Dadurch könne es zu Problemen bei der Versorgung der Patienten kommen. Doch Hilfen der Bundesregierung kommen bislang nur zögerlich an.

"Die höheren Preise für Energie, die sind jetzt zu bezahlen", sagt Christoph Essmann. Er ist Geschäftsführer der Moritz Klinik in Bad Klosterlausnitz in Thüringen. Pro Monat liefen Rechnungen ein, die teilweise das drei- bis vierfache der üblichen Summen betrügen. "Und wir bekommen dafür keine höhere Vergütung!"

Ein besonderes Problem der Kliniken: Im Gegensatz zu Wirtschaftsunternehmen können sie die Preise nicht einfach erhöhen. Diese beruhen auf Verhandlungen mit den Kostenträgern. Im Bereich des Akutkrankenhauses sind das vor allem die Krankenkassen und im Reha-Bereich die Rentenversicherung.

Krankenhäuser bleiben bislang vielfach auf Preissteigerungen sitzen

Für den Reha-Bereich sei etwa bei der Moritz Klinik noch gar keine Unterstützung angekommen und für den Krankenhaus-Bereich nur ein kleiner Betrag. "Nach jetzigem Stand erwarten wir im besten Fall für den Krankenhausbereich ungefähr 44 Prozent der Kostensteigerungen", sagt Essmann. "Das bedeutet, dass wir bislang auf einem Großteil der Preiserhöhungen sitzen bleiben und dies selber tragen müssen."

Das sei aber mit der derzeitigen Höhe der Vergütungen gar nicht möglich, so Essmann. Einziger Ausweg für viele Kliniken: Kredite aufnehmen. Der private Träger der Moritz Klinik ist dazu in der Lage, doch laut DKG droht vielen Kliniken, dass die Banken kein Geld mehr geben.

Auch viele Kliniken in kommunaler Trägerschaft haben gravierende Finanzprobleme. "Damit es nicht ungesteuert zu Krankenhausschließungen kommt, braucht es jetzt eine Atempause zur Stützung der insbesondere Großkrankenhäuser vor Ort, auch der kommunalen Großkrankenhäuser", sagte der Vizepräsident des Deutschen Städtetags, Burkhard Jung (SPD), Ende Januar. Der Oberbürgermeister von Leipzig forderte Hilfen für die kommunalen Kliniken – dringend.

Die Stadt Leipzig hat ihr Städtisches Klinikum St. Georg gerade mit einem großen Kredit über 100 Millionen Euro unterstützt – dabei gehört es eigentlich nicht zu den Aufgaben einer Kommune, die Betriebskosten der Klinik zu finanzieren.

Finanzhilfe vom Bund: "Schaufenster-Milliarden"

Eigentlich hatte die Bundesregierung – angesichts der steigenden Preise – über einen Härtefallfonds sechs Milliarden Euro als Hilfe in Aussicht gestellt. Davon sind 1,5 Milliarden pauschal an die Klinken ausgezahlt worden – orientiert an der Zahl der Betten. Doch bei der Auszahlung des größeren, restlichen Betrages stockt es.

"Die Energiehilfen, die vom Bund im Umfang von sechs Milliarden Euro in Rede gestellt wurden, sind für uns Schaufenster-Milliarden, weil wir sie in Wirklichkeit gar nicht abrufen können", kritisiert der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß. "Da ist jetzt ein Betrag von 1,5 Milliarden Euro geflossen. Der Rest steht hinter dickem Panzerglas im Schaufenster, kann aber von den Krankenhäusern nicht abgerufen werden. Das ist extrem unbefriedigend."

Die Energiehilfen, die vom Bund im Umfang von sechs Milliarden Euro in Rede gestellt wurden, sind für uns Schaufenster-Milliarden.

Gerald Gaß DKG-Vorstandsvorsitzender

Sachsen-Anhalt: Vier Fünftel der Kliniken bekommen nichts

Beispiel Sachsen-Anhalt: Dort hat ein Großteil der Kliniken von den 4,5 Milliarden Euro nichts bekommen. "Diese Ausgleichszahlungen des Bundes sind für die meisten Krankenhäuser eine Fata Morgana", sagt die Linken-Landtagsabgeordnete Nicole Anger. Dies habe die Antwort auf eine Abfrage von ihr bei der Landesregierung ergeben.

"In Sachsen-Anhalt bekommen 37 der 45 Einrichtungen kein Geld für die gestiegenen Energiekosten", sagt die Politikerin. "Das deutet darauf hin, dass das ein absoluter Konstruktionsfehler des Gesetzgebers an der Stelle ist. Also wenn mehr als 80 Prozent davon nicht profitieren, ist das in der Tat schockierend."

Das Problem: Um einen Anspruch auf Geld aus dem 4,5-Milliarden-Euro-Topf zu begründen, werden die gestiegenen Energiekosten der Kliniken jeweils verglichen mit den Energiekosten vom März 2022. Nur: Da waren die Energiekosten vielerorts schon stark gestiegen.

Für die Kliniken ist das ein Problem. Dies bestätigt auch das Sozialministerium in Magdeburg MDR Investigativ und teilt mit: "[…] dadurch kann in vielen Fällen kein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung bestehen, da zu diesem Zeitpunkt bereits höhere Preise bestanden. Sachsen-Anhalt setzt sich deshalb beim Bund dafür ein, dass diese Energiehilfen bei den Krankenhäusern ankommen und ist bereits in Gesprächen mit dem Bund."

Kommt die Krankenhaus-Reform zu spät?

Auch bei der DKG hält man durchgreifende Soforthilfen für die Kliniken für unverzichtbar. "Trotzdem wartet die Politik mit konkreten Maßnahmen ab. Sie vertröstet uns auf die große Reform", sagt Vorstandsvorsitzender Gaß. "Die große Reform kommt möglicherweise, aber sie wird diese Standorte, die heute bedroht sind, nicht mehr retten können. Das ist unsere feste Überzeugung. Dafür ist die Lage zu brisant."

Doch warum ist trotz gravierender Probleme bei den Kliniken bislang nur ein relativ kleiner Teil des Geldes abgerufen worden? Das Bundesgesundheitsministerium antwortet auf die Anfrage von MDR Investigativ schriftlich, dass das Gesetz lediglich von "bis zu" sechs Milliarden Euro spreche.

Weiter heißt es vom Bundesgesundheitsministerium: "Daraus ergibt sich, dass für Krankenhäuser grundsätzlich kein unbedingter Anspruch auf sechs Milliarden Euro Energiehilfen besteht, sondern diese maximal zur Verfügung stehende Summe nur abhängig und im Umfang der Erfüllung der entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen ausgezahlt werden kann."

Allerdings hat die Bundesregierung das Problem durchaus erkannt. So wurde im Kabinett inzwischen ein Gesetzentwurf beschlossen, der vorsieht, von den 4,5 Milliarden Euro, die zur Hilfe für die Kliniken zur Verfügung stehen, den Kliniken weitere 2,5 Milliarden direkt auszuzahlen – ähnlich der Marge von 1,5 Milliarden, die ebenfalls pauschal ausgezahlt wurde. Der Entwurf sieht vor, dass das Geld in drei gleichen Teilbeträgen Ende September, Ende November sowie Ende Januar des nächsten Jahres an die Bundesländer überwiesen werden soll, zur Weiterleitung an die Krankenhäuser.

Großer Personalmangel an Kliniken

Die Kliniken befinden sich in schwierigen Zeiten. Während politisch noch um die Zukunft der Krankenhäuser gerungen wird, sehen viele die aktuelle Lage als sehr kompliziert an. Laut einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) erwartet mehr als die Hälfte der Kliniken bundesweit eine Verschlechterung ihrer Lage – nur 17 Prozent gehen davon aus, dass es besser wird.

Das liegt auch daran, dass neben der Kostenexplosionen das Personalproblem immer drängender wird. Manche Kliniken können ihre Kapazitäten schon nicht mehr auslasten, weil die Leute fehlen. "Die Personallage ist sehr angespannt. Insbesondere bei den Pflegekräften enorm schwierig", sagt der Geschäftsführer der Moritz Klinik, Essmann.

Dabei versuche das Krankenhaus in Bad Klosterlausnitz,   mit diversen extra Angeboten  neue Mitarbeiter zu gewinnen: "Wir bieten zum Beispiel an: ein Jahr umsonst wohnen. Wir haben voll ausgestattete Klinikappartements, möbliert, mit allem Drum und Dran, Fernsehen, Internet – und die Nachfrage ist gleich Null."

Anmerkung der Redaktion: Nach einem Hinweis haben wir den Absatz zum Gesetzentwurf nachträglich eingefügt.

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Quelle: MDR Investigativ/ mpö

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 19. April 2023 | 20:15 Uhr

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