KommentarLambrecht scheitert an sich und Scholz
Christine Lambrechts Rücktritt als Verteidigungsministerin ist der Schlusspunkt einer Serie an Fehltritten. Doch auch der Bundeskanzler trägt eine Mitschuld – die Entscheidung für einen Nachfolger oder Nachfolgerin sollte Olaf Scholz nicht vorschnell treffen, kommentiert MDR AKTUELL-Hauptstadtkorrespondent Alexander Budweg.
- Als Justizministerin in der Großen Koalition wirkte Christine Lambrecht noch souverän.
- Seit ihrem Amtsantritt leistete sich Lambrecht jedoch immer wieder Patzer – inhaltlich und kommunikativ.
- Olaf Scholz sollte sich bei der Suche nach einem Nachfolger oder Nachfolgerin nun Zeit nehmen.
Wieder einmal ist der Chefsessel im Verteidigungsministerium zum Schleudersitz geworden. Diese Erfahrung haben auch schon einige der 20 Vorgängerinnen und Vorgänger von Christine Lambrecht gemacht. Allerdings verliefen ihre 13 Monate auf diesem Platz so chaotisch wie kaum eine Amtszeit zuvor. Zurück bleibt eine Bundeswehr, die noch immer erst ganz am Anfang eines wichtigen Modernisierungsprozesses steht und ein Kanzler, der sich fragen lassen muss, welchen Anteil er am Scheitern seiner nun ehemaligen Ministerin hat.
Lambrecht kam als Verteidigungsministerin nie richtig an
Dabei erscheint die Wahl von Lambrecht zunächst nachvollziehbar. Als Justizministerin kämpft sie im letzten Kabinett von Angela Merkel gegen Hass und Hetze im Netz und engagiert sich für Frauenrechte. Selbst von Platzhirschen wie Horst Seehofer lässt sie sich nicht die Butter vom Brot nehmen. An Courage und Durchsetzungsvermögen mangelt es Lambrecht also ebenso wenig wie an Erfahrung in der Leitung eines Ministeriums – zumal sie mehrere Monate lang neben dem Justizressort parallel das Familienministerium leitet. Umso verwunderlicher wirkt das, was danach folgt.
Eigentlich will sich Lambrecht aus der Politik zurückziehen, doch nach dem Wahlsieg der SPD bei der Bundestagswahl schielt sie aufs Innenministerium. In ihrer neuen Rolle als Verteidigungsministerin kommt sie dann nie so richtig an. Stattdessen leistet sie sich einen Ausrutscher nach dem anderen. Spätestens nach ihrem Silvestervideo ist klar, dass sie sich auf diesem Posten nicht halten kann. Nur Lambrecht und der Kanzler brauchen offensichtlich länger, um das zu realisieren.
Auch beim Thema Waffenlieferungen wirkt Lambrecht unsouverän
Vor allem Lambrechts Kommunikation ist von Anfang an mehr als ungeschickt. So gibt sie schon bei Amtsantritt und dann erneut nach mehreren Monaten im Amt öffentlich zu, die Dienstgrade in der Bundeswehr nicht zu kennen. Für öffentliche Kritik sorgt neben ihrem Silvestergruß auch ein Mitflug ihres Sohnes in einem Regierungshelikopter. Den richtigen Umgang mit diesen medialen Aussetzern findet Lambrecht nicht – auch, weil sie in diesen Fragen offensichtlich schlecht beraten wird oder sich nicht beraten lassen will.
Zudem kommt sie auch bei ihrer eigentlichen Arbeit nur schleppend voran. Der Angriff Russlands auf die Ukraine verschafft ihr zwar ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen, doch die Modernisierung der Truppe lässt weiter auf sich warten. Auch, weil Lambrecht die Reform des Beschaffungswesens der Bundeswehr nicht konsequent genug angeht.
Und dann wirkt Lambrecht auch beim Thema Waffenlieferungen an die Ukraine nie souverän. Das wiederum liegt auch an Olaf Scholz. Seine zögerliche Haltung färbt auf die Verteidigungsministerin ab. Zuletzt ist sie offenbar nicht in die Entscheidung über die Lieferung von Schützenpanzern eingebunden. Zumindest lassen die hektisch wirkenden Reaktionen im Verteidigungsministerium, die es nach der Bekanntgabe gibt, eher darauf schließen, dass Lambrecht und ihr Haus davon weitestgehend überrascht worden sind.
Gut, dass Scholz sich bei Nachfolgersuche Zeit lässt
Das Ende ihrer Amtszeit wirkt dann noch einmal wie ein Brennglas auf die 13 Monate davor. Am Freitag berichten erste Medien über ihren Rücktritt. Lambrecht taucht aber bis Montagvormittag ab und erklärt sich dann nur schriftlich. Der Kanzler wird am Wochenende zwar darauf angesprochen, lächelt das Thema aber weg. Die Nachfolgefrage ist bis dato ungeklärt – wohl auch, weil Scholz die Parität im Kabinett wichtiger ist als eine schnelle Nachbesetzung.
Doch in diesem Fall ist es sogar ganz gut, dass sich der Kanzler etwas mehr Zeit für seine Entscheidung lässt. Schließlich soll die Nachfolgerin oder der Nachfolger von Christine Lambrecht länger auf dem Schleudersitz im Verteidigungsministerium durchhalten.
Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 16. Januar 2023 | 11:00 Uhr