Analyse Ministerpräsidentenkonferenz: Keine Ausreden mehr

02. November 2022, 18:01 Uhr

Von Entlastungspaketen bis zur Gaspreisbremse: Bei der Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch liegen viele kontroverse Themen auf dem Tisch. Nicht nur zwischen Bund und Ländern, auch innerhalb der Bundesregierung herrscht alles andere als Eintracht. Klar ist aber auch: Bund und Länder müssen liefern. Wenn es jetzt keine Lösungen gibt, schlittert Deutschland unvorbereitet in einen Winter, der – glaubt man dem Bundespräsidenten – mit der größten Krise der Nachkriegsgeschichte aufwartet.

Torben Lehning
Bildrechte: MDR/Tanja Schnitzler

Das Feld ist bereitet

Gründe, die Konferenz zwischen den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder mit Kanzler Olaf Scholz zu vertagen, gab es viele. Zum einen war der Kanzler an Covid-19 erkrankt, zum anderen wollte der Bund die Herbst-Steuerschätzung abwarten. Erst wollte die Regierungskoalition wissen, wie viel sie voraussichtlich einnimmt, bevor sie verkündet, wie viel sie ausgeben will.

Mittlerweile liegt nicht nur ein erfreuliches Schätzergebnis mit prognostizierten Mehreinnahmen für die Staatskasse vor, sondern auch ein Abschlussbericht der ExpertInnenkommission Gas und Wärme, der den Konstruktionsplan für eine Gaspreisbremse vorzeichnet. Mehr Entscheidungshilfen können weder Bund noch Länder verlangen. Jetzt muss die Politik tun, was die Bevölkerung zurecht von ihr erwartet: Kompromisse schmieden und Gesetze auf den Weg bringen.

Was bislang liegen blieb

Zwischen Bund und Ländern wurden mittlerweile so viele Entscheidungen vertagt, dass es zeitlich eng werden dürfte, alle an einem Tage zu verhandeln. Bislang gab es keine Einigung bei der Geflüchteten-Hilfe, keine Beschlüsse bei den Regionalisierungsmitteln, keine Hilfsmittel für angeschlagene Sozialdienste und Krankenhäuser. Viele Länder wollen ihre 50-Prozent-Beteiligung beim neuen Wohngeldanteil nicht zahlen und die unionsgeführten Bundesländer zeigen sich dazu noch unzufrieden mit dem bislang geplanten späten Start der Gaspreisbremse im März 2023. Sie drohen, das neue Bürgergeld im Bundesrat zu blockieren. Der Entscheidungsstau ist immens und sollten die Parteien bis Einbruch des Winters keine Rettungsgassen gebildet haben, dürften bald vor allem private Haushalte mit geringem Einkommen auf der Strecke bleiben.

Der Haken daran

Bei bestimmten Themen könnten Bund und Länder schnell zu einer Einigung finden. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Bundesregierung konkrete Finanzhilfen für die Unterbringung von Geflüchteten zusichert. Zum einen sind die Kommunen allein nicht mehr handlungsfähig und zum anderen ist durch die jetzt vorhandene Steuerschätzung bereits ein Rahmen abgesteckt, in dem sich der Bund bewegen kann.

Gleiches dürfte auch für die Regionalisierungsmittel für die Erhaltung und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs gelten. Sicherlich wird der Bund den Ländern nicht die geforderten 1,5 Milliarden Euro geben, aber Zugeständnisse sind sehr wahrscheinlich.

Die (zu) späte Bremse

Fragt man die Staatkanzleien der Länderchefinnen und Chefs nach der Gaspreisbremse, bekommt man sehr unterschiedliche Problemanalysen zu hören. SPD und grünengeführte Bundesländer, weisen immer wieder auf den Beschluss der letzten Länderkonferenz in Hannover hin und fordern die Bundesregierung dazu auf, die Gaspreisbremse früher als März 2023 an den Start gehen zu lassen. Es gehe nicht darum, zu erklären, dass die fetten Jahre vorbei seien, erklärte jüngst Thüringens Ministerpräsident Ramelow, sondern den Leuten zu sagen, wie sie ihre Gasrechnungen bezahlen könnten. Auch die Union weist mit einer ordentlichen Portion Häme immer wieder darauf hin, dass man die jetzt anstehenden Beschlüsse schon im Sommer hätte fällen können, die Ampel aber noch damit beschäftigt gewesen sei, eine Gasumlage zu planen, die zum Scheitern verurteilt war. Hört man Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in diesen Tagen reden, klingt es ganz so, als wäre es für jedwede Rettungsaktion sowieso schon zu spät.

Fest steht: Die für Dezember anberaumte Abschlagszahlung für Gaskunden reicht vielen Bundesländern nicht aus, sie fordern weitere Ausgleichsmechanismen für Januar und Februar. Erst am Montag hatte die Bundesregierung ihre Position bekräftigt, dass eine Umsetzung der Gaspreisbremse aus technischen Gründen für die Versorgerseite nicht früher umsetzbar sei. Am Dienstag sickerte der Vorschlag durch, die Bremse zwar ab März einzuführen, aber rückwirkend zum 1. Februar. Mitglieder der Expertenkommission erklärten darüber hinaus, dass die Abschlagszahlung im Dezember durchaus als Ausgleichsmechanismus bis März gewertet werden könne.

Der Härtefall-Kompromiss

Ein weiterer Kompromiss zeichnete sich im finalen Abschlussbericht der Gas-Kommission ab. Die Expertinnen und Experten schlagen hier Hilfsfonds für Privatpersonen und kleinere und mittlere Unternehmen vor, die ihre Energiekosten nicht alleine stemmen können. Diese Härtefallfonds würden auch Haushalten zugutekommen, die mit Öl oder Holzpellets heizen – keine pauschale Hilfe, aber Unterstützung nach Beantragung. Solche Instrumente haben sich bereits in der Corona-Pandemie als hilfreich erwiesen. Sollte das Kabinett am Mittag Eckpunkte für Hilfsfonds auf den Tisch legen, wäre das eine Verhandlungsbasis, auf die sich die Läderchefinnen und -chefs einlassen können. Vor allem dann, wenn auch soziale Dienstleister und Krankenhäuser von der Regelung profitieren würden.

Sollbruchstelle Bürgergeld

Das Bürgergeld könnte ein großer Streitpunkt der aktuellen Verhandlungen werden, obwohl es direkt nichts mit der Energiekrise zu tun hat. Die Ampel hat sich vorgenommen, die meisten Sanktionsmechanismen für Leistungsempfänger zu streichen. Gerade für die Sozialdemokraten ist das Bürgergeld neben der Erhöhung des Mindestlohns eines der großen Wahlversprechen und Prestigeprojekte. Im Januar soll es kommen, doch ähnlich wie bei der Gaspreisbremse rennt auch hier der Bundesregierung die Zeit davon. Noch in diesem Monat soll das Gesetz Bundestag und Bundesrat passieren, die Union möchte aber nachverhandeln und droht mit einer Blockade im Bundesrat. Zu viel fördern, zu wenig fordern – das passt nicht in das Weltbild der Union. Während für die SPD-geführten Länder das Bürgergeld bei den Verhandlungen gar keine Rolle spielen soll, hört man aus den unionsgeführten Ländern, dass man nicht vorhabe, von der Blockadehaltung abzuweichen. Es dürfte jedoch Bürgerinnen und Bürgern schwer zu vermitteln sein, wenn CDU und CSU auf ihrer Position beim Bürgergeld verharren und dafür ein Scheitern der überlebenswichtigen Gaspreisbremse oder des dritten Entlastungspaketes riskieren.

Ohne Eckpunkte keine Lösung

Die Kompromisse-Schmiede im Kanzleramt hielt sich vor Beginn der Verhandlungen mit den Ländern bislang sehr bedeckt. Das Ziel der Bundesregierung ist dennoch absehbar. Genau zu dem Zeitpunkt, zu dem sich Länderchefinnen und -chefs treffen, will die Ampelkoalition ihre Eckpunkte für eine Gaspreisbremse vorlegen. All die Kritik aus den Ländern, dass nicht klar sei, wann welche Preisbremse wie wirkt, dürfte damit vom Tisch gewischt sein. Konkreten Vorschlägen könnte dann schnell eine Einigung zwischen Bund und Ländern folgen, wenn letztere denn mitspielen. Sollte die Ampel jedoch auf dem Weg zu konkreten Eckpunkten mal wieder an sich selbst scheitern, wäre das sowohl für die Wirtschaft als auch viele private Haushalte ein Fiasko. Spätestens dann gäbe es auch auf Seiten der Bundesregierung keine Ausreden mehr.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 02. November 2022 | 06:00 Uhr

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