Rechtsextremismus Nach Razzia in der Neonaziszene - Wer sind die "Turonen"?

06. März 2021, 05:00 Uhr

Bei einer großangelegten Razzia gegen Neonazis stellte die Polizei Ende Februar Waffen, Drogen und Bargeld sicher. Die Beschuldigten sollen den "Turonen" angehören, einer brutalen Bande mit Verbindungen zur organisierten Kriminalität.

Freitagmorgen, den 26. Februar 2021. Ein Großaufgebot der Polizei durchsucht das sogenannte "Gelbe Haus", eine Neonazi-Immobilie im thüringischen Ballstädt.

600 Beamte sind an dem Großeinsatz beteiligt. In drei Bundesländern finden zeitgleich Durchsuchungen statt – sie richten sich gegen 21 Beschuldigte aus der rechtsextremen Szene. Die Vorwürfe: Drogen- und Waffenhandel sowie Geldwäsche. Noch am selben Tag präsentieren die Ermittler des Thüringer Landeskriminalamts die Funde. Ein Kilo Heroin und Crystal, Waffen und 120.000 Euro wurden bei dem mutmaßlichen Neonazi-Drogenhändler-Ring gefunden. Zehn Tatverdächtige wurden vorübergehend festgenommen. Die beschuldigten Rechtsextremen gehören zur Neonazi-Rockergruppe "Turonen" – auch "Bruderschaft Thüringen" genannt.

Verbindungen in die organisierte Kriminalität

Seit 2015 gibt es die Neonazibande. Sie orientiert sich an den Rockerclubs: mit strenger Hierarchie und Abzeichen. Gern präsentieren sich die Mitglieder in Leder-Kutten, auf denen die "20" – für den Buchstaben "T" – prangt und das Pfeilkreuz der ungarischen Faschisten. Ihre Untergruppe "Garde 20" fungiert als Unterstützung.

Seit Jahren sind die "Turonen" im Neonazimusikgeschäft aktiv. Betreiben Szene-Labels, veranstalten rechtsextreme Großkonzerte in der Schweiz und Deutschland - wie etwa im thüringischen Themar. Die Gruppe ist international vernetzt, pflegt Verbindungen in die organisierte Kriminalität und in die verbotenen militanten Neonazi-Netzwerke "Combat 18" und "Blood & Honour". Die meisten "Turonen" sind nach "exakt"-Recherchen einschlägig polizeibekannt. Saßen seit ihrer Jugend immer wieder im Gefängnis.

Eine der gefährlichsten Neonazigruppen in Thüringen

Die Linken-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss beobachtet die "Turonen" seit Jahren. "Gewalt ist ein entscheidender Teil, der von allen "Turonen" mit vertreten wird, um ihre Politik in die Realität umzusetzen", sagt sie. "Dabei schrecken sie auch nicht davor zurück, beispielsweise über ihre Netzwerke, die sie in der Schweiz und Österreich haben, Waffen zu kaufen und auch entsprechende Schießtrainings durchzuführen. Die "Turonen" sind in Thüringen eine der gefährlichsten und am aktivsten agierenden Neonazistrukturen in den vergangenen fünf Jahren gewesen."

Immer wieder waren die Neonazis in schwere Gewalttaten verwickelt - im Februar 2014 waren einige spätere "Turonen"-Mitglieder am Angriff auf eine Feier der Ballstädter Kirmesgesellschaft beteiligt. Dabei prügelten sie mehrere Menschen krankenhausreif. Die Bilder des blutigen Überfalls sorgten bundesweit für Schlagzeilen.

Mildere Strafen für Nazi-Schläger?

2015 startete das Mammutverfahren gegen die Tatverdächtigen. Unter ihnen – "Turonen"-Chef Thomas W. Seit Jahrzehnten ist der gewalttätige Neonazi in der Thüringer Szene aktiv, spielt in mehreren rechtsextremen Bands. Auch bei den aktuellen Ermittlungen zu den mutmaßlichen Drogen- und Waffendeals gilt W. als Haupttatverdächtiger.

2017 wurden er und neun weitere Neonazis im Ballstädt-Prozess teils zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Doch im Mai 2020 kassierte der Bundesgerichtshof das Urteil – wegen Formfehlern des Landgerichts Erfurt. Nun soll das Verfahren abgekürzt werden. Bewährungs- statt Haftstrafen, wenn die Täter gestehen.

Waffen werden aktiv eingesetzt

Noch während der Prozess gegen sie lief, sollen die "Turonen" ein Bordell in Gotha übernommen und ihre Drogen- und Waffendeals weiterorganisiert haben. Beides Kerngeschäfte der organisierten Kriminalität.

"Das Gefährliche an dieser Verbindung der "Turonen" zur organisierten Kriminalität ist zum einen der Waffenbesitz und Waffenhandel", sagt Katharina König-Preuss.  "Weil Neonazis Waffen natürlich auch zur Umsetzung ihrer Ideologie einsetzen. Die Beispiele dafür sind sowohl die Morde des "NSU" als auch der Mord an Herrn Lübcke als auch das Attentat in Halle oder eben der Anschlag in Hanau. Das zweite sind die Mittel. Die Gelder dienen nicht nur zur Finanzierung des eigenen Lebensunterhalts, sondern fließen wieder zurück in die Neonaziszene."

Rechtsextremist in Anwaltsrobe

Auch Dirk Waldschmidt soll bei den schmutzigen Geschäften der Neonazi-Rocker eine Rolle spielen. Der Jurist gilt als Szeneanwalt, der auch im Ballstädt-Prozess einen Angeklagten verteidigte. Der Rechtsextremist in Anwaltsrobe trat bei Veranstaltungen der Neonazi-Kleinstpartei "Der Dritte Weg" auf.

Er verteidigte auch für kurze Zeit Stephan Ernst, den Mörder des Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Nun ist der Anwalt selbst Beschuldigter. Vorwurf: Geldwäsche. Am Freitag durchsuchte die Polizei Waldschmidts Kanzlei in Hessen. Nach "exakt"-Recherchen sitzen der Anwalt und sieben weitere Rechtsextreme mittlerweile in Untersuchungs-Haft.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Exakt | 03. März 2021 | 20:15 Uhr

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