Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben

Finanzierung des Nahverkehrs9-Euro-Ticket stellt Verkehrsverbünde vor Herausforderungen

29. Juni 2022, 11:45 Uhr

Das 9-Euro-Ticket ist beliebt: Eine Mehrheit der Deutschen spricht sich dafür aus, es über den August hinaus zu verlängern. Auch die mitteldeutschen Verkehrsverbünde berichten von einer höheren Auslastung ihrer Busse und Bahnen. Doch es gibt auch Kritik: etwa an der Höhe der ÖPNV-Finanzierung durch den Bund oder daran, dass das Ticket Menschen in den Städten deutlich mehr nützt als der Landbevölkerung.

"Ein Geschenk für alle Pendler", "Nehm ich sofort", "Für die Fernbeziehung würde ich es nutzen": Auf der Facebook-Seite von MDR AKTUELL hat die Idee eines dauerhaft günstigen Nahverkehrs-Tickets viele Fans. Und nicht nur dort: 70 Prozent der Deutschen sprechen sich einer Umfrage des Instituts Insa zufolge für eine Verlängerung des auf drei Monate befristeten 9-Euro-Tickets aus. Das fordert auch Die Linke. Und der Bundesverband der Verbraucherzentralen will zumindest ein 29-Euro-Ticket ab September.

Christoph Heuing, Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Mittelthüringen (VMT), ist skeptischer. "Eine Fahrt vom Meer bis in die Alpen verursacht vielfache Kosten von neun Euro, eine Busfahrt zur Schule viel weniger. Will man auf Dauer, dass das gleich viel kostet?" Mit seiner Skepsis ist Heuing nicht allein: Auf Anfrage von MDR AKTUELL spricht sich von fünf mitteldeutschen Verkehrsverbünden keiner explizit für eine Verlängerung des 9-Euro-Tickets aus – trotz bislang überwiegend guter Erfahrungen.

9-Euro-Ticket "insgesamt sehr beliebt"

"Das 9-Ticket ist insgesamt sehr beliebt", schreibt etwa der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV). Besonders an den Wochenenden und zu den Stoßzeiten seien Bus und Bahn "deutlich stärker ausgelastet". Christoph Heuings Eindruck ist ähnlich: "Ich bin selber viel mit Bus und Bahn in Erfurt unterwegs. Es gibt insgesamt etwas vollere Fahrzeuge, vor allem aber heftige Spitzen im Ausflugsverkehr am Wochenende."

Für Heuing kann das zum Problem werden: Es sei unbekannt, ob dadurch überhaupt Autofahrten ersetzt würden. "Aus der Literatur wissen wir: Solche Preisimpulse sorgen eher nicht für ein Umsteigen, sondern für zusätzliche Fahrten." Zum Erreichen der Klimaschutzziele sei das 9-Euro-Ticket also nicht geeignet. Das sieht auch der MDV so: Für mehr Umstiege auf den klimafreundlichen ÖPNV brauche es stattdessen "mehr Taktungen, ein dichteres Netz, (…) mehr Barrierefreiheit, um nur einige zu nennen".

Städter profitieren mehr vom 9-Euro-Ticket als Land

Hinzu kommt ein Stadt-Land-Gefälle. Der Verkehrsverbund Vogtland (VVV) etwa schreibt auf Anfrage von MDR AKTUELL, das 9-Euro-Ticket werde "sehr gut angenommen": Bislang habe der VVV etwa 26.000 Tickets verkauft. Das entspricht jedoch nur knapp zwölf Prozent der Einwohner des ländlich geprägten VVV-Gebiets. Im Gebiet des MDV, zu dem Leipzig und Halle gehören, besitzt dagegen jeder Dritte ein 9-Euro-Ticket.

Das sei nicht verwunderlich, meint Christoph Heuing vom VMT: "Wenn man den Menschen auf dem Land sagt: Ihr könnt jetzt für neun Euro Bus fahren, dann sagen die: Nee, können wir nicht. Das bringt uns gar nichts." Im Wesentlichen sei der ÖPNV im ländlichen Raum für den Schulverkehr konzipiert. Nur rund zehn Prozent aller Fahrten in Deutschland würden derzeit mit Bus und Bahn zurückgelegt: "Und die sind natürlich weit überdurchschnittlich in den Städten."

Wenn man den Menschen auf dem Land sagt: Ihr könnt jetzt für neun Euro Bus fahren, dann sagen die: Nee, können wir nicht.

Christoph Heuing | Verkehrsverbund Mittelthüringen (VMT)

Verkehrsunternehmen vor finanziellen Schwierigkeiten

Das größte Problem vieler Verkehrsverbünde mit dem 9-Euro-Ticket ist jedoch dessen Finanzierung. Im Mai hatte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) gewarnt, kleineren Unternehmen drohe durch das 9-Euro-Ticket die Insolvenz – die 2,5 Milliarden Euro Ausgleichzahlungen des Bundes müssten daher schon in der ersten Junihälfte fließen.

Das sei geschehen, bestätigt der stellvertretende VDV-Sprecher Eike Arnold im Gespräch mit MDR AKTUELL. Dennoch sei die Lage weiterhin angespannt, denn die Zahlungen des Bundes orientierten sich an den Einnahmen von 2019. Pandemiebedingt habe es keine andere Vergleichsgröße gegeben. "Doch mittlerweile haben wir neue Tarifabschlüsse, die Kraftstoff- und Energiepreise sind gestiegen, eben auch für die Verkehrsunternehmen. Ohne zusätzliche Mittel muss man dann etwa irgendwann aus einem 20-Minuten-Takt einen 40-Minuten-Takt machen oder im Extremfall muss die Linie eingestellt werden", so Arnold.

Wer finanziert den Nahverkehr?Im Schnitt etwa 50 Prozent der Kosten im ÖPNV werden durch Ticketkäufe von den Nutzerinnen und Nutzern gedeckt. Dieser Wert kann je nach Region stark schwanken.

Die andere Hälfte wird durch die öffentliche Hand getragen. Dabei sind Busse und Straßenbahnen grundsätzlich Sache der Kommunen. Eine Besonderheit ist der Schienenpersonennahverkehr (SPNV), also etwa Regionalbahnen: Dieser wird durch sogenannte Regionalisierungsmittel finanziert, die vom Bund an die Länder fließen.

Um die Einnahmeausfälle durch die Corona-Pandemie aufzufangen, hat der Bund seit 2020 die Regionalisierungsmittel deutlich aufgestockt, auch die Gelder für das 9-Euro-Ticket fallen darunter.

Dass es weit mehr Geld brauche, meint auch Christoph Heuing vom VMT: "Da ist ganz wesentlich der Bund gefragt: Wir sprechen über Dimensionen, die die Möglichkeiten von Kommunen und Land übersteigen." Konkret müssten die Regionalisierungsmittel deutlich erhöht werden, also die Gelder, die der Bund den Ländern für den Schienennahverkehr zuschießt. Mehr Regionalisierungsmittel fordern auch die Länder, Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) lehnt das bislang aber ab.

Druck auf Bundesregierung dürfte steigen

Eine zentrale Frage für die Verkehrsunternehmen ist also: Gibt es trotz Flatrate-Ticket ausreichend Geld, um den ÖPNV weiter auszubauen? Ein Beispiel für einen solchen Ausbau seien etwa kleinere Rufbusse, die man per App bestellen kann, sagt Eike Arnold vom VDV: "Die können bei der Mobilitätswende im ländlichen Raum helfen. Aber sie kosten auch eine Menge Geld." Der Druck auf die Bundesregierung, dieses Geld bereitzustellen, dürfte steigen – unabhängig davon, ob das 9-Euro-Ticket einen Nachfolger bekommt.

Mehr zum 9-Euro-Ticket

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 23. Juni 2022 | 08:09 Uhr