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Der "Runde Tisch Rentengerechtigkeit" kämpft seit Jahren für die Betroffenen. Beim Härtefallfonds gehe es um die "Gerechtigkeit und eine Anerkennung unserer Lebensleistung". Bildrechte: imago images/imagebroker

Kampf um HärtefallfondsOstrentnern 40 Milliarden Euro seit 1991 vorenthalten

17. November 2022, 15:50 Uhr

Im Koalitionsvertrag wurde auch ein Härtefallfonds für einige Gruppen von Ostrentnern vereinbart. 490.000 von 500.000 betroffenen Ostrentnern gehen nach Angaben des Runden Tisches Rentengerechtigkeit jedoch nach aktuellen Planungen leer aus. An gewährten Rentenansprüchen seien zudem bislang 40 Milliarden Euro vorenthalten worden.

von Frank Frenzel, MDR Wirtschaftsredaktion

Runder Tisch: Aktueller Beschluss zum Härtefallfonds Affront gegenüber Betroffenen

Seit 1991 wurden Ostrentnern ca. 40 Milliarden Euro an nicht gewährten Rentenansprüchen vorenthalten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Hochrechnung* des "Runden Tisches Rentengerechtigkeit", der seit Jahren im Rahmen des sogenannten Härtefallfonds um die Regelung der letzten noch offenen Fragen der Rentenüberleitung kämpft.

Der "Runde Tisch Rentengerechtigkeit" hat jahrelang für die Ansprüche der DDR-Berufsgruppen gekämpft. Er bezeichnet die Einigung der Ampel-Koalition vom 11. November 2022 zum “Härtefallfonds“ als Affront gegenüber den Betroffenen der 17 DDR-Berufs- und Personengruppen.

In einer aktuellen Erklärung heißt es: "Mit der Einrichtung des Härtefallfonds gesteht man seitens des Bundes zwar grundsätzlich die Berechtigung der Ansprüche der Gruppen ein, weigert sich aber erneut, allen Betroffenen wenigstens eine angemessene Entschädigung zu gewähren." Damit schaffe man "wieder neues gravierendes Unrecht und trägt in keiner Weise zur sozialen Befriedung bei."

Kampf seit mehr als 30 Jahren

Seit mehr als 30 Jahren kämpfen Betroffene um Ansprüche, die zwar im Einigungsvertrag festgeschrieben waren, später jedoch nicht oder nur zum Teil anerkannt wurden. Jetzt stellt der Bund 500 Millionen Euro zur Verfügung. Geplant sind pro betroffener Person eine Einmalzahlung von ca. 2.500 Euro.   

Nur wenige Ostdeutsche profitieren

Der Runde Tisch hat hochgerechnet, dass ausgerechnet die Ostrentner am wenigsten vom neuen Fonds profitieren werden. Obwohl 500.000 Menschen aus der ehemaligen DDR von einer vereinigungsbedingten Rentenungerechtigkeit betroffen sind, stellen sie mit ca. 10.000 Betroffenen die kleinste Gruppe, während bei den Spätaussiedlern bis zu 40.000 Anspruchsberechtigte zu erwarten sind, sowie bei jüdischen Zuwanderern ca. 70.000. Bei ca. 10.000 anspruchsberechtigten Ostrentnern und 2.500 Euro Einmalzahlung ergebe sich ein Gesamtvolumen für diese Gruppe von gerade 25 Millionen Euro.

Milliardenverlust für Ostrentner

Demgegenüber stehen nach Schätzungen des "Runden Tisches Rentengerechtigkeit" ca. 40 Milliarden Euro, die seit Beginn der Rentenüberleitung aufgrund nicht gewährter Rentenansprüche den Ostrentnern vorenthalten worden seien.

Die größte Gruppe seien dabei die ehemaligen Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post der DDR mit je 100.000 Betroffenen und einem Rentenverlust von je neun Milliarden Euro.

Mehrheit keine Härtefälle  

Die geringe Zahl ostdeutscher Anspruchsberechtigter ergibt sich allein aus der Rentensystematik. So soll der Härtefallfonds nur Menschen "in der Grundsicherung" begünstigen. Das heißt, nur jene Rentner sollen eine Einmalzahlung bekommen, deren Rente nah am Hartz-IV-Satz liegt und die so niedrig ist, dass ein Zuschuss vom Sozialamt nötig ist. 

Die Renten der 17 betroffenen Berufs-und Personengruppen, wie ehemalige Mitarbeiter von Post oder Reichsbahn, Krankenschwestern, Bergleute aus der Braunkohleveredelung oder Balletttänzerinnen liegen allerdings in den meisten Fällen über der Grundsicherung, weil deren Problem eben nicht Minirenten und Altersarmut sind, sondern das Vorenthalten von Zusatzrentenansprüchen.

Kritik von Betroffenen-Verband: "Der Härtefallfonds schließt so viele aus"

Dadurch dürften ganze Berufsgruppen beim Härtefallfonds völlig leer ausgehen, wie z.B. ehemalige Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn oder die Bergleute aus der Braunkohleveredelung, denen ihre in der DDR erworbenen Ansprüche auf eine Bergmannsrente vorenthalten werden.

Völlig ausgeschlossen vom Härtefallfonds wurden vorab bereits die Berufsgruppen Bildendende Künstler, Naturwissenschaftler sowie Leistungssportler.

Lediglich aus der Gruppe der in der DDR geschiedenen Frauen sei eine größere Zahl Anspruchsberechtigter zu erwarten. Dennoch ist für Beate Beyer vom Verein der Geschiedenen das Ergebnis, insbesondere die Höhe der Einmalzahlung von gerade 2.500 Euro, enttäuschend: "Ich bin stocksauer und entsetzt, wie die Frauen im Alter behandelt werden. Der Härtefallfonds schließt so viele aus. Der Härtefallfonds ist keine gerechte Lösung."    

490.000 von 500.000 Ostrentnern gehen leer aus

Von den 500.000 Ostrentnern, die der Runde Tisch nach eigenen Angaben vertritt, dürften nach den jetzigen Plänen gerade zwei Prozent mit einer Abfindungszahlung rechnen, so Sprecher Dietmar Polster. Diese Zahl scheint plausibel, denn deutschlandweit liegt die Zahl der Grundsicherungsempfänger bei 2,4 Prozent aller Rentner. Sollten also nur zwei Prozent der betroffenen 500.000 Ostrentner Geld aus dem Härtefallfonds bekommen, dann handelt es sich um 10.000 Menschen. Ca. 490.000 Menschen würden leer ausgehen.

Jüdische Zuwanderer fast immer bedürftig

In einem viel größeren Umfang dürften jüdische Zuwanderer vom Härtefallfonds profitieren. Der Zentralrat der Juden rechnet mit etwa 70.000 Anspruchsberechtigten. Bei den jüdischen Zuwanderern handelt es sich um sogenannte Kontingentflüchtlinge, die von 1991 bis 2005 nach Deutschland einwanderten. Insgesamt 220.000 Flüchtlinge kamen damals zumeist aus den Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion, vor allem aus der Ukraine, Weißrussland und der Russischen Föderation.

Viele von ihnen sind gut ausgebildet und haben zuvor in akademischen Berufen gearbeitet, z.B. als Ärzte oder Ingenieure. Ihre in den jeweiligen Herkunftsländern erworbenen Rentenansprüche werden ihnen in Deutschland jedoch nicht anerkannt – mit der Folge, dass diese Menschen im Rentenalter fast immer von der Grundsicherung leben. Denn wer zum Zeitpunkt der Übersiedelung nach Deutschland schön älter war, hatte de facto keine Chance, bis zum Rentenbeginn eine auskömmliche Rente zu erarbeiten. 

Auch Spätaussiedler profitieren stark

Ähnlich ist die Lage bei den sogenannten Spätaussiedlern, die ebenfalls vom Härtefallfonds profitieren sollen. Hier lässt sich die Zahl der Betroffenen nur schätzen. Bekannt ist lediglich, dass seit der Wiedervereinigung etwa zwei Millionen. sogenannte Spätaussiedler, d.h. deutschstämmige Menschen, nach Deutschland kamen, zumeist aus der früheren Sowjetunion.

Anders als bei jüdischen Flüchtlingen werden deutschstämmigen Zuwanderern Rentenansprüche nach dem Fremdrentengesetz gewährt. Dabei werden diese Menschen so gestellt, als hätten sie ihren Beruf nicht in ihrem Herkunftsland, sondern in Deutschland ausgeübt. Allerdings wurden nach einer Gesetzesänderung 1996 die Rentenansprüche auf 25 Jahre eines Durchschnittsverdienstes, also 25 Entgeltpunkte, begrenzt. Das führt im Ergebnis dazu, dass viele Menschen, die bei der Übersiedelung nach Deutschland schon älter waren, ebenfalls nur sehr geringe Renten bekommen. Ilja Fedoseev, Bundesgeschäftsführer der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e. V., rechnet mit etwa 30.000 bis 40.000 Anspruchsberechtigten.     

Unwürdiges Geschacher um Entschädigungssumme

Die Enttäuschung bei den Betroffenen ist groß. Immerhin wurde jahrelang um eine Lösung gerungen. So sprachen viele anfangs von einem Gerechtigkeitsfonds und viele Politiker unterstützten dieses Anliegen. Vor zwei Jahren noch keimte die Hoffnung, dass alle der 500.000 Betroffenen mit einer Einmalzahlung rechnen könnten. Von 15.000 bis 20.000 Euro war die Rede.

Zuletzt waren die Gruppen bereit, eine Einmalzahlung von 10.000 Euro zu akzeptieren, eine Summe, die auch der Zentralrat der Juden für die sogenannten Kontingentflüchtlinge als Mindestsumme forderte. Doch auch dafür gab es keinen politischen Willen. Noch im Juni 2021 hatte die damals unionsgeführte Bundesregierung eine Milliarde Euro für den Härtefallfonds in den Haushaltsplan 2022 gestellt, eine Summe, die von der neuen Ampelregierung nun um die Hälfte reduziert wurde – auf 500 Millionen Euro. 

Keine Almosen, sondern Gerechtigkeit und Anerkennung der Lebensleistung

"Der Runde Tisch Rentengerechtigkeit" fordert in seiner Erklärung, die Betroffenen nicht mit Almosen abzuspeisen. Es gehe um "Gerechtigkeit und eine Anerkennung unserer Lebensleistung". Für alle 500.000 Betroffenen müsse es eine politische Lösung in Form eines Gerechtigkeitsfonds geben, der nicht mit Grundrente oder Grundsicherung verrechnet wird und in die alle 17 betroffenen Berufs- und Personengruppen einbezogen werden.  

"Unsere Forderungen sind seit 2020 klar definiert, eine durchschnittliche Abfindungszahlung zwischen 10.000 und 20.000 Euro/Betroffenen. Diese Summe beträgt damit nur etwa ein Zehntel dessen, was der Bund allein durch Nichtgewährung der gesetzlichen Ansprüche der Berufs- und Personengruppen an den Angehörigen dieser Gruppen in den vergangenen 30 Jahren 'gespart' hat."

Wie weiter?

Bis Jahresende soll der Härtefallfonds als Stiftung beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingerichtet werden. Die Einmalzahlungen gibt es nur auf Antrag, die ab Januar 2023 möglich sein sollen. Ab 2024 sollen dann die ersten Zahlungen erfolgen – fast 34 Jahre nach der Wiedervereinigung.  

* Erläuterung zur Hochrechnung (bitte aufklappen)

Die Hochrechnung stammt von Dr. Klaus-Dieter Weißenborn, Chemiker, ehemaliger Forschungsleiter bei den Chemischen Werken Buna, Vorsitzender der AG Renten beim Seniorenrat der Stadt Halle (Saale) sowie Sprecher des Runden Tisches Rentengerechtigkeit.

MDR Wirtschaftsredaktion

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 16. November 2022 | 15:00 Uhr