Die Hände einer alten Frau umfassen den Griff eines Gehstocks.
Nach jetzigen Plänen würden 98 Prozent der betroffenen Ostrentner, die um Anerkennung von Rentenansprüchen aus DDR-Zeiten kämpfen, nichts vom Härtefallfonds haben. Bildrechte: colourbox

DDR-Zusatzrenten Kampf um Härtefallfonds: Betroffene fordern Gerechtigkeitsfonds

18. Juni 2022, 05:00 Uhr

Im Koalitionsvertrag ist ein Härtefallfonds für verschiedene Gruppen von Ostrentnern vereinbart worden. Bis heute wird um Gelder und Ansprüche gestritten. Betroffene fordern einen Gerechtigkeitsfonds, damit niemand leer ausgeht.

MDR-Wirtschaftsredakteur Frank Frenzel
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Herr Polster, seit Jahren kämpfen Sie mit Vertretern verschiedener Berufsgruppen der ehemaligen DDR um einen Härtefallfonds. Der sollte schon unter der letzten Regierung Merkel kommen – so stand es im Koalitionsvertrag. Der Härtefallfonds ist aber nach wie vor nicht da. Ist damit noch zu rechnen?

Dietmar Polster: Es sieht nicht gut aus. Zunächst schien es ja so, als sei der Härtefallfonds auf der Zielgeraden. Die letzte Bundesregierung hatte kurz vor den Wahlen noch eine Milliarde Euro als sogenannten Haushaltstitel für den Härtefallfonds in den neuen Haushalt eingestellt – aber nur unter der Bedingung, dass die Bundesländer ebenfalls eine Milliarde bereitstellen. Damit hätte man zwei Milliarden zur Verfügung. Die Bundesländer werden sich aber nicht einig bzw. sie sind nicht gewillt, diese Summe aufzubringen. Inzwischen gibt es eine neue Regierung und einen neuen Haushalt bzw. einen Nachtragshaushalt, und jetzt ist nur noch von insgesamt einer Milliarde Euro die Rede. Aber auch die nur, wenn die Bundesländer sich zu 50 Prozent beteiligen – das heißt 500 Millionen der Bund, und 500 Millionen die Länder. Aber auch das wollen die Länder nicht mittragen. Und jetzt höre ich – alles noch inoffiziell – dass die Bundesregierung den Härtefallfonds womöglich durchwinken will, indem sie nur ihren Anteil von 50 Prozent tragen will. Das hieße, der Härtefallfonds würde gerade einmal 500 Millionen Euro umfassen – für alle Betroffenen. Das ist ein Witz! Das werden wir nicht akzeptieren!

                                                              

Dietmar Polster
Dietmar Polster kämpft seit 2017 am Runden Tisch um das Recht für die betroffenen Rentner. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wo liegt genau das Problem? 

Dietmar Polster: Zunächst scheint es so, als ob das Problem bei den Ländern liegt, weil sie sich ja nicht am Fonds beteiligen wollen, zumindest nicht alle. Man muss dazu wissen, dass vom Härtefallfonds nicht nur Ostrentner profitieren sollen, sondern auch Spätaussiedler, in der Regel also Russlanddeutsche und sogenannte jüdische Kontingentflüchtlinge – das sind jüdische Menschen, die nach der Wende zumeist aus der Sowjetunion kamen und von Deutschland aufgenommen wurden. Hier haben einige Altbundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachen signalisiert, sich wegen dieser Personengruppen am Fonds zu beteiligen. Aber die meisten Fälle, insbesondere die, die Ostdeutsche betreffen, sind Sache des Bundes. Nehmen wir die vielen in der DDR-geschiedenen Frauen oder die Reichsbahner, hier liegt die Verantwortung allein beim Bund. Aber hier ist der politische Wille nicht vorhanden. Die Berufs-und Personengruppen unterliegen nicht der "Härte", sondern es geht um Gerechtigkeit in Bezug auf die immer noch bestehende Rentenlücke seit 1991.

Wie bewerten Sie es, dass dieser Fonds bisher nicht in trockenen Tüchern ist und die Betroffenen noch immer kein Geld erhalten? 

Dietmar Polster: Das ist ein Affront gegenüber den Betroffenen. Man ist nicht bereit, eine soziale Befriedung herzustellen nach drei Jahrzehnten Widervereinigung von Deutschland. 

Wer könnte denn aus diesem Härtefallfonds, so er noch kommt, Geld erwarten, und in welcher Höhe?

Dietmar Polster: Laut Koalitionsvertrag soll ja der Härtefallfonds Rentenprobleme für jene lindern, deren Renten nahe an der Grundsicherung sind. Bei den betroffenen Ostrentnern sind das gerade mal zwei Prozent. Denn bei den betroffenen Berufs- und Personengruppen geht es ja weniger darum, Minirenten aufzustocken, sondern es geht um in der DDR erworbene Rentenansprüche, meist Zusatz- oder Betriebsrenten, die im vereinten Deutschland nicht mehr gewährt werden. Die Leute haben ja meist lange gearbeitet und ihnen geht es um Gerechtigkeit. Aber: 98 Prozent gehen wieder einmal leer aus! 

In der jüngsten Pressemeldung des Runden Tisches fordern Sie einen Gerechtigkeitsfonds, weil vom Härtefallfonds nur wenige Ostdeutsche profitieren würden – dafür umso mehr jüdische Kontingentflüchtlinge und russische Spätaussiedler. Das klingt nach dem Vorwurf, bestimmte Gruppen würden bevorzugt und andere, die Ostdeutschen, benachteiligt. Gibt es dafür Belege bzw. Zahlen? 

Dietmar Polster: Zunächst möchte ich festhalten, dass das kein Vorwurf ist. Einen Vorwurf muss man höchsten der Politik machen, die beim Härtefallfonds Fremdrentenrecht und Einigungsvertrag in einem Topf vermengt. Bei den Ostdeutschen haben wir größtenteils Menschen, denen nach einem langen Arbeitsleben Rentenansprüche vorenthalten werden, mir als ehemaligen Reichsbahner z.B. meine betriebliche Altersversorgung. Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass von den insgesamt etwa 500.000 Betroffenen nur zwei Prozent vom Härtefallfonds profitieren, dann reden wir von gerade einmal 10.000 Leuten. Denn 98 Prozent der betroffenen Ostdeutschen haben Renten ab 1.000 Euro brutto monatlich. Und nur bei einer geringeren Rente kann man vom Hörtefallfonds profitieren. Bei den jüdischen Kontingentflüchtlingen spricht der Zentralrat der Juden von etwa 70.000 Anspruchsberechtigten. Dass diese Zahl höher ist, hat nichts mit Bevorzugung zu tun, sondern liegt allein daran, dass hier völlig unterschiedliche Problemfelder vermischt werden.   

Warum ist die Zahl der Ostdeutschen, die vom Härtefallfonds profitieren würden, so gering, und warum die Gruppe der anderen vergleichsweise hoch? 

Dietmar Polster: Die Probleme der Ostdeutschen, also jener Berufs- und Personengruppen, die wir am Runden Tisch vertreten, sind dadurch entstanden, dass Regelungen des Einigungsvertrages später nicht im Rentenüberleitungsgesetz übernommen wurden. Es wurden ganze Berufsgruppen schlichtweg vergessen oder deren Rentenansprüche ignoriert.

Die Spätaussiedler haben hingegen das Problem, dass nach der Wende das Fremdrentenrecht geändert wurde. Das heißt, Russlanddeutsche bekommen zwar für ihre zum Beispiel in der ehemaligen Sowjetunion erbrachte Arbeit in Deutschland Rentenansprüche – aber in einem viel geringeren Umfang als Russlanddeutsche, die vor der Wende nach Deutschland übersiedelten. So fallen sehr viele Betroffene in die Grundsicherung, wie die Sozialhilfe für Rentner heißt.

Und bei den jüdischen Kontingentflüchtlingen ist es so, dass ihre zum Beispiel in der ehemaligen Sowjetunion geleistete Arbeit überhaupt nicht für die Rente berücksichtigt wird, so dass diese Menschen fast immer von der Grundsicherung leben müssen, auch wenn sie nach der Übersiedlung in Deutschland noch ein oder zwei Jahrzehnte berufstätig waren. 

Nun fordern Sie also einen Gerechtigkeitsfonds – worum geht es Ihnen? Und was ist der Unterschied zwischen dem Härtefallfonds und dem geforderten Gerechtigkeitsfonds? Was genau soll dieser Gerechtigkeitsfonds im Vergleich zum Härtefallfonds leisten?

Dietmar Polster: Wie schon gesagt: Wenn es bei den derzeitigen Plänen bleibt, dann ist das ein Witz und wir werden als Runder Tisch diesen Härtefallfonds nicht mittragen. Wir fordern deshalb einen Gerechtigkeitsfonds in Form einer Abfindung für "alle" Betroffenen. Das heißt, der Gerechtigkeitsfonds schafft dann die Anerkennung der Lebensleistung. Ein Härtefallfonds regelt das Problem in keiner Weise und schafft neue Ungerechtigkeiten in Bezug auf die Berufs-und Personengruppen der ehemaligen DDR. 

In einem Schreiben an den ostdeutschen Regierungschef appellieren Sie, eine biologische Lösung zu verhindern. Gibt es diese biologische Lösung aber nicht längst? Wir sind jetzt im 32. Jahr nach der Deutschen Wiedervereinigung. Das heißt, wer 1990 ins Berufsleben startete, hat es selbst nicht mehr weit bis zur Rente. Wie viel Geld würde denn für einen Gerechtigkeitsfonds benötigt?

Dietmar Polster: Die Pläne liegen schon lange auf dem Tisch und wurden auch schon mehrfach mit der Politik diskutiert. Wir fordern eine Abfindung von im Durchschnitt 10.000 Euro – dafür bräuchte man vier Milliarden Euro. Unsere Forderungen aus dem Jahr 2020 liegen bei acht Milliarden Euro, womit im Durchschnitt 20.000 Euro möglich wären.  

Nun gibt es beim Thema Ostrenten immer viele Stimmen, gerade aus dem Westen, Ostrentner würden den Hals nicht voll genug kriegen, sie haben ja schon höhere Renten als Westrentner und außerdem hätten sie für ihre Renten nichts eingezahlt. Was sagen Sie zu solchen Argumenten?

Dietmar Polster: Zunächst: Die Angleichung des Rentenwert Ost an West wird bis 2025 erreicht. Ob das ein Erfolg ist, sollten andere bewerten. Aber in unseren Fällen geht es um Zusatz- oder Betriebsrenten, die bis heute nicht gewährt werden. Wir wollen nicht mehr – wir wollen das, was uns zusteht. 

Können Sie uns ein exemplarisches Beispiel von DDR-Berufsgruppen beschreiben, in denen die Benachteiligung bei den Zusatz- oder Betriebsrenten besonders exemplarisch wird, auch im Vergleich zu westdeutschen Berufskollegen?!

Dietmar Polster: Nehmen wir nur mal die ehemaligen Reichsbahner. Bei dieser Gruppe, zu der auch ich gehöre, geht es um ca. 200 bis 400 Euro mehr im Monat. Das ist unsere betriebliche Zusatzversorgung. Diese wird uns nicht gewährt. Ein Westbahner bekommt eine solche Zusatzversicherung selbstverständlich. Er bzw. das Unternehmen Deutsche Bundesbahn haben dafür auch in einen Rententopf eingezahlt. Das haben wir bzw. die Deutsche Reichsbahn aber auch! Und der Witz: Vor dem Mauerfall wurde der Bahnbetrieb im Westteil Berlins von der Deutschen Reichsbahn betrieben. Das heißt, es gab Bahnmittarbeiter aus dem Westen, die für den DDR-Betrieb Reichsbahn arbeiteten und – weil sie ja in Westberlin lebten – in D-Mark bezahlt wurden. Und diese Mitarbeiter bekommen heute ihre Betriebsrente nach Fremdrechtenrecht. Und wir aus der ehemaligen DDR nur 75 Euro monatlich.  

Der Staat gibt aktuell an vielen Baustellen Milliarden für die aktuellen Probleme aus: Corona, Energiewende, der Ukraine-Krieg. Für wie realistisch halten Sie es, dass der Staat da auch noch Geld für ostdeutsche Rentner locker macht?

Dietmar Polster: Ich habe am 6. Mai 2022 zum Ost Forum "Rentengerechtigkeit" in Leipzig im Beisein von Staatssekretär Schmachtenberg gesagt: "Wenn der Bund ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr beschließt, dann sollte er auch Sondervermögen in Höhe von mindestens vier Milliarden Euro für einen Gerechtigkeitsfonds beschließen."  

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD) hat jüngst in einem Interview gesagt, Ostrentner würden im Großen und Ganzen gerecht behandelt. Was haben Sie ihm geantwortet?

Dietmar Polster: Ja, wir haben ihm schriftlich geantwortet, die Aussage ist unter der Gürtellinie. Er spricht von höchstrichterlichen Entscheidungen und vergisst die Fakten.

Kein Gericht der Bundesrepublik kann oder konnte doch ein Urteil über das Recht der ehemaligen DDR sprechen. Die Gerichte urteilen danach, was im Gesetz steht, was also die Politik vorgibt. Auch wenn die Politik Gesetze macht, die dem Einigungsvertrag widersprechen. Und wenn die Politik einen Härtefallfonds plant, dann sieht sie doch selbst Handlungsbedarf zur Beseitigung der Fehler bei der Rentenüberleitung. Wir wollen nur das, was uns zusteht. Wir wollen die Anerkennung unserer Lebensleistung.

Wir wollen nur das, was uns zusteht. Wir wollen die Anerkennung unserer Lebensleistung.

Dietmar Polster

Herr Polster, Sie sind selbst Eisenbahner, haben früher bei der Deutschen Reichsbahn gearbeitet. Seit Jahren kämpfen Sie und Ihre Kollegen um die Anerkennung der betrieblichen Altersvorsorge der Deutschen Reichsbahn, was quasi wie eine Betriebsrente anzusehen ist. Wenn Sie zurückblicken auf diesen langen Kampf – was ärgert Sie am meisten?

Dietmar Polster: Mich ärgert die widersprüchliche Praxis vieler demokratischen Parteien. Wenn sie in der Opposition sind, geben sie uns Recht und stellen im Bundestag Anträge zur Anerkennung unserer Forderungen. Und kommen sie dann in Regierungsverantwortung, wollen sie von alldem nichts mehr wissen und zeigen keine Bereitschaft, das Problem der Rentenungerechtigkeit, die seit 1991 besteht, zu schließen. 

MDR-Wirtschaftsredaktion

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 06. April 2021 | 20:15 Uhr

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