Kampf um DDR-Zusatzrenten Ostrentner fordern weiterhin Rentengerechtigkeit

28. Juni 2023, 05:00 Uhr

Rund 33 Jahre nach der Wiedervereinigung nimmt eine Gruppe von Ostrentnern erneut Anlauf im Kampf um nicht gewährte DDR-Rentenansprüche.
Am Freitag konstituiert sich in Leipzig der Verein "Runder Tisch Rentengerechtigkeit e.V.". Er will die Arbeit des Runden Tisches der Berufs- und Personengruppen der ehemaligen DDR für den sogenannten Härtefallfonds fortsetzen. Ziel sei die Schaffung eines Gerechtigkeitsfonds.

MDR-Wirtschaftsredakteur Frank Frenzel
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Verein "Runder Tisch Rentengerechtigkeit e.V." setzt Kampf um Ostrentenansprüche fort

Am Freitag will sich in Leipzig der Verein "Runder Tisch Rentengerechtigkeit e.V." gründen. Zweck des Vereins sei die Durchsetzung der Forderung, "bestehende Gerechtigkeitslücken bei den Rentenansprüchen von Berufs- und Personengruppen aus der DDR zu schließen", wie Organisator Dietmar Polster dem MDR mitteilte. Polster war zuvor auch Sprecher des Runden Tisches der Berufs- und Personengruppen der ehemaligen DDR, die mit der Politik, insbesondere mit dem Bundesarbeitsministerium, jahrelang um den sogenannten Härtefallfonds gerungen hatten.  

Wie auch schon beim Runden Tisch zum Härtefallfonds will der Verein laut Statut Ostdeutsche vertreten, "deren erworbene Rentenansprüche in Zusatz- und Sonderversorgungssystemen bisher nicht beziehungsweise nur unvollständig in bundesdeutsches Recht überführt wurden". Dazu zählen auch in der DDR geschiedene Frauen, "deren Zurückstellung der eigenen beruflichen Möglichkeiten im Interesse der Versorgung ihrer Familie nicht nach bundesdeutschem Recht adäquat ausgeglichen wurde."

Ziel sei die "Anerkennung der Lebensleistung ohne Ausschlusskriterien" in Form eines  Gerechtigkeitsfonds für alle Betroffenen. Dies könne mit einer Einmalzahlung erfolgen. Der neue Verein knüpft damit weitgehend an die Forderungen der Betroffenen an, die schon bei den Verhandlungen zum Härtefallfonds im Raum standen – nämlich Einmalzahlungen von mindestens 10.000 Euro pro Person. 

Welche Berufs- und Personengruppen der Verein vertreten will, sehen Sie hier (bitte aufklappen)

1. Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR, wie Krankenschwestern, Hebammen oder Laboranten, deren geringen Löhne bei der späteren Rente nach DDR-Recht höherbewertet werden sollten (Steigerungsfaktor).

2. Rentenrechtliche Anerkennung von zweiten und vereinbart verlängerten Bildungswegen sowie Forschungsstudien und Aspiranturen.

3. Wie 2. – nur für Leistungssportler/innen – ihre Studienzeiten dauerten länger, dafür sollten sie nach DDR-Recht bei der Rente nicht benachteiligt werden.

4. Beschäftigte in der Braunkohleveredelung (Carbochemie), die aufgrund ihrer extrem belastenden Tätigkeiten unter-Tage-arbeitendem Bergleuten gleichgestellt waren und damit einen höheren Rentenanspruch zugesichert bekamen. 

5. Fehlender Versorgungsausgleich für in der DDR geschiedene Frauen bei gleichzeitigem Wegfall eines DDR-Rentensystems, das Frauen strukturell bevorzugte.

6. Professorinnen und Professoren neuen Rechts, Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Dienst, Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer, Beschäftigte universitärer und anderer wissenschaftlicher außeruniversitärer Einrichtungen in den neuen Bundesländern, die ein gewisses Lebensalter überschritten hatten und beispielsweise nicht mehr verbeamtet werden konnten.

7. Anwendung des AAÜG (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes) für Personen ohne Versorgungszusage nach DDR-Recht (Intelligenzrente, z.B. für Diplom-Chemiker oder Diplom-Physiker).

8. Anerkennung der besonderen Altersversorgung für Beschäftige der Deutschen Reichsbahn (AVDR).

9. Anerkennung der besonderen Altersversorgung für Beschäftigte der Deutschen Post.

10. Rentenrechtliche Bewertung von in der DDR geleisteten freiwilligen Beiträgen – das waren "Gutverdiener", die sehr hohe Beiträge gezahlt haben, die aber nicht anerkannt werden, weil sie über der (nachträglich) festgelegten Beitragsbemessungsgrenze liegen.

11. Anerkennung der Pflegezeiten in der DDR.

12. Bewertung der Zeiten von Land- und Forstwirten, Handwerkern, anderer Selbständiger sowie deren mithelfenden Familienangehörigen in der DDR.

13. Rentenrechtliche Anerkennung von Zeiten des Auslandsaufenthalts von mitgereisten Ehepartnern.

14. Besondere Zuwendung für Ballettmitglieder in der DDR.

15. Einbeziehung der Beschäftigungszeiten von ehemals Zusatz- und Sonderversorgten der DDR, die nach der Wende originäre Dienstzeiten in der Bundesrepublik zurückgelegt haben, in die Beamtenversorgung bzw. VBL.

Härtefallfonds nicht ausreichend

Der noch unter der Vorgängerregierung geschaffene Härtefallfonds sollte die letzten einheitsbedingten Rentenungerechtigkeiten lösen, sowie auch Renten-Härtefälle für jüdische Zuwanderer und Spätaussiedler mildern. Der Bund stellte dafür 500 Millionen Euro bereit, die Bundesländer konnten bis Ende März 2023 beitreten, sofern sie weitere Gelder in den Fonds einzahlen. Dazu hat der Bund eine Stiftung gegründet. Betroffene können bis zum 30. September 2023 einen Antrag stellen.

Wer profitiert vom Härtefallfonds? (bitte aufklappen)

Bezogen auf Personen aus der Ost-West-Rentenüberleitung erklärt das Bundesminsterium für Arbeit und Soziales die Voraussetzungen für Empfängerinnen und Empfänger aus dem Härtefallfonds wie folgt:

  • "Sie haben am 1. Januar 2021 eine oder mehrere Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung von insgesamt weniger als 830 Euro netto (nach Abzug von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung) bezogen. Auch ausländische Renten zählen dazu.
  • Sie sind vor dem 2. Januar 1952 geboren.
  • Ihre Rente (Altersrente, Erwerbsminderungsrente oder Erziehungsrente) hat nach dem 31. Dezember 1996 begonnen und Sie haben in der ehemaligen DDR (längstens bis zum 31. Dezember 1991):

1) mindestens zehn Jahre ununterbrochen bei der Deutschen Reichsbahn, der Deutschen Post oder im Gesundheits- und Sozialwesen gearbeitet oder
2) mindestens vier Jahre lang Familienangehörige gepflegt und deshalb Ihre Beschäftigung aufgegeben
3) oder mindestens fünf Jahre lang in einer "bergmännischen Tätigkeit" im Sinne des DDR-Rechts in der Carbochemie/Braunkohleveredlung gearbeitet oder
4) Ihre Beschäftigung aufgegeben, weil Sie aufgrund eines dienstlichen Aufenthalts Ihres Ehegatten im Ausland für insgesamt mindestens zehn Jahre mit ihm mitgereist sind oder
5) nach Beendigung Ihrer aktiven Laufbahn als Balletttänzerin oder Balletttänzer am 31. Dezember 1991 eine berufsbezogene Zuwendung bezogen
6) oder Sie wurden nach mindestens zehnjähriger Ehe nach DDR-Recht geschieden und haben in der Ehe mindestens ein Kind erzogen."

Welche Leistungen sind vorgesehen? (bitte aufklappen)

Das Bundesminsterium für Arbeit und Soziales erklärt zu den Leistungen des Härtefallfonds: "Berechtigte erhalten eine pauschale Einmalzahlung von 2.500 Euro. Für Antragsteller, die zum Zeitpunkt der Stiftungsgründung am 7. März 2023 einen Wohnsitz in einem Bundesland hatten, das der Stiftung beigetreten ist, ist eine Leistung von 5.000 Euro möglich." Der Stiftung beigetreten seien Mecklenburg-Vorpommern, die Freie Hansestadt Bremen, die Freie und Hansestadt Hamburg und der Freistaat Thüringen. Berlin habe seine Absicht zum Beitritt zur Stiftung erklärt.

Viele der betroffenen Berufs- und Personengruppen der ehemaligen DDR gehen aber leer aus, weil sie eine höhere Rente ausgezahlt bekommen als die für den Stichtag 1. Januar 2021 festgelegte Höchstsumme von 830 Euro netto – nach Abzug der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Gleichwohl fühlen sie sich aber um in der DDR erworbene Rentenansprüche betrogen. Dietmar Polster schätzt, dass nur etwa zwei Prozent der ca. 500.000 Betroffenen, also ca. 10.000 Rentner, überhaupt eine Einmalzahlung aus dem Härtefallfonds erwarten können. "Der Härtefallfonds ist für uns enttäuschend und völlig inakzeptabel, weshalb wir jetzt einen neuen Anlauf nehmen, um unsere Rechte durchzusetzen", so Dietmar Polster.

Der Härtefallfonds ist für uns enttäuschend und völlig inakzeptabel, weshalb wir jetzt einen neuen Anlauf nehmen, um unsere Rechte durchzusetzen.

Dietmar Polster, Sprecher

Warum wird "Runder Tisch" ein Verein?

Mit der Vereinsgründung des "Runder Tisch Rentengerechtigkeit e.V.", so Polster, würde sich jetzt die Rechtsstellung ändern. Nun sei man ein "demokratisch gewähltes Organ". "Bisher waren wir 'Runder Tisch Rentengerechtigkeit' immer wieder der Frage ausgesetzt: 'Was stellen Sie eigentlich dar? Sie sind kein gewähltes Organ!' Diese Sätze haben wir öfters von politisch handelnden Personen, aber auch von Beamtinnen und Beamten aus dem Staatsdienst gehört."

Der Verein will offen sein für alle, die im Rentenrecht bei dem Wiedervereinigungsprozess benachteiligt wurden.

Strategische Langzeitplanung

Um ihr Ziel, eine angemessene Entschädigung zu erreichen, haben die Organisatoren des Vereins "Runder Tisch Rentengerechtigkeit e.V." ein langfristiges Strategieprogramm entwickelt. So sei am 6. Oktober 2023 eine Rentenkonferenz in Leipzig mit den Ministerinnen und Minister für Gesundheit und Soziales der neuen Bundesländer einschließlich Berlin geplant, um erneut auf das Problem aufmerksam zu machen. Weiterhin sollen die Landtagswahlen 2024 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg genutzt werden, um die zukünftigen Landesregierungen von einem Gerechtigkeitsfonds zu überzeugen. Dazu sollen 2024 Konferenzen und Aktionen in Potsdam, Erfurt, Chemnitz und Berlin durchgeführt werden.

Und auch die Bundestagswahl 2025 solle genutzt werden, um die Forderung nach einem Gerechtigkeitsfonds zu stellen.

MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 30. Juni 2023 | 21:45 Uhr

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