Transformation oberster GesundheitsbehördeMitarbeiter warnen vor Zerschlagung des Robert Koch-Institutes
Die Bundesregierung plant ein neues Institut für öffentliche Gesundheit. Darin sollen Teile vom Robert Koch-Institut aufgehen. Dem MDR liegt eine Stellungnahme des Personalrates des Robert Koch-Institutes vor, die tiefen Frust über das Vorgehen des Ministeriums offenbart. Die Mitarbeiter fürchten um die Schlagkraft der Behörde und um gut funktionierende Abläufe, warnen vor "Doppelstrukturen und Reibungsverlusten".
Inhalt des Artikels:
Der Personalrat des Robert Koch-Institut hat vor einer Zerschlagung des RKI gewarnt. Außerdem spricht sich die Personalvertretung gegen den Aufbau eines neuen Bundesinstitutes für öffentliche Gesundheit wie derzeit geplant aus. Das geht aus einer Stellungnahme hervor, die MDR Investigativ exklusiv vorliegt. Darin heißt es: "Der Personalrat des Robert Koch-Institutes ist aus inhaltlichen und finanziellen Gründen gegen die Errichtung des neuen Bundesinstitutes."
"Insgesamt werden das neue Bundesinstitut und das RKI zusammen nicht mehr so schlagkräftig sein, wie das Robert Koch-Institut in seiner bisherigen Struktur. Damit wird auch die zentrale Aufgabe des Robert Koch-Institutes – Verbesserung der Gesundheitssituation in Deutschland und Beratung der Politik – gefährdet."
Mitarbeiter fürchten um Aufstellung für die nächste Pandemie
Das RKI habe unter großem Einsatz bei der Bewältigung der Corona-Pandemie zentrale Aufgaben des Gesundheitsschutzes erbracht. "In einer vergleichbaren pandemischen Lage wären wir nach Gründung des neuen Institutes nicht mehr in der Lage, einen vergleichbar hohen Arbeitsanfall zu bewältigen."
Auch Krankenkassen, medizinische Fachverbände und weitere Experten warnen vor einer Aufsplittung des RKI und der Aufteilung der Gesundheitsüberwachung in übertragbare Krankheiten, um die sich weiterhin das RKI kümmern soll, sowie in nicht übertragbare Krankheiten, die künftig beim neuen BIPAM liegen sollen.
Bundesgesundheitsministerium erwartet stattdessen Stärkung des RKI
Dennoch hält das Bundesgesundheitsministerium an seinem Gesetzentwurf fest. Eine Sprecherin sagte MDR Investigativ, den Überlegungen für das Institut sei ein intensiver Diskussionsprozess vorausgegangen. Mit dem Bundesinstitut für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und den RKI-Teilen entstehe eine zentrale Einrichtung, die Aktivitäten der Prävention, Gesundheitsförderung und des -schutzes koordiniere, um künftige Herausforderungen "effizienter zu bewältigen".
In Deutschland machten die Folgen nicht übertragbarer Erkrankungen fast 90 Prozent der verlorenen Lebensjahre aus. Deren Prävention komme dem neuen Bundesinstitut zu. "Zugleich wird das RKI in seiner Rolle als internationales Exzellenzzentrum und leistungsstarke, erfahrene Infektionsschutzbehörde gestärkt."
Personalrat warnt vor Reibungsverlusten und Doppelstrukturen
Allerdings fürchten die RKI-Mitarbeiter, dass das Gegenteil eintritt: "Es wird zu einer Verlangsamung vieler eingespielter Prozesse kommen", heißt es in der Stellungnahme. Darüber hinaus zu Reibungsverlusten und Doppelstrukturen – schon allein, weil Datenschutz die Weitergabe von Daten erschwere und neue Schnittstellen aufgebaut werden müssten.
Ebenso wie der Personalrat verweisen auch andere RKI-Mitarbeiter, die namentlich nicht genannt werden möchten, auf die Erfahrungen aus der Auflösung des Bundesgesundheitsamtes 1994. Es habe fast zwei Jahrzehnte und viel Geld gebraucht, um die neuen Bundesinstitute vergleichbar leistungsfähig zu machen. "Auch vor diesem Hintergrund verbietet sich der Aufbau unnötiger Doppelstrukturen auf Kosten der bestehenden funktionsfähigen Strukturen", heißt es in der Stellungnahme. Auch die Trennung von übertragbaren und nichtübertragbaren Krankheiten sei aus sachlicher Sicht nicht sinnvoll.
Außerdem mutmaßt die Personalvertretung des RKI, dass der Übergang zum Beispiel des KI-Zentrums in die neue Behörde personalwirtschaftlich motiviert sei. Dieses habe noch unbesetzte Stellen, die dann für das neue Institut umgewidmet werden könnten. Zugleich lasse das Organigramm des neuen Institutes viele Aufgaben erkennen, die bisher weder von den übergehenden Teilen des RKI noch der BZgA erledigt werden. "Wie diese Aufgaben personell bearbeitet werden können, ohne dass zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen bereitgestellt werden, kann vermutlich nur Herr Minister Lauterbach erklären."
Kommunikation des Ministeriums in der Kritik
Neben all den sachlichen und inhaltlichen Kritikpunkten geht es auch um Kommunikation: Zwar stehe die Gründung eines neuen Bundesinstitutes anstelle der BZgA wie die wissenschaftliche Unabhängigkeit des RKI im Koalitionsvertrag 2021. "Von einer Zerschlagung des RKI war da keine Rede." Die RKI-Mitarbeiter hätten erste belastbare Informationen erst Mitte 2024 erhalten. "Gab es vorher nichts Belastbares?", fragt der Personalrat. "Hatte man im Ministerium keinen Plan? Die bis dahin durchsickernden Informationen deuteten eher auf zweites bzw. dass dieser Plan sich immer wieder änderte." Die Mitarbeiter seien auf Informationen aus dem Ärzteblatt angewiesen gewesen – und auf die Gerüchteküche.
Dem Personalrat zufolge wurden die Mitarbeiter erstmals im Sommer auf einer Videokonferenz über die Veränderungen im Haus informiert. Während dieser Konferenz hätten viele ihren Unmut über die nicht vorhandene Informationspolitik des Ministeriums geäußert. Doch statt sie besser einzubinden, gebe es nun einen Podcast, "in dem uns das Ministerium die Welt erklärt". Auch ein Schreiben des Personalrates an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sei bislang unbeantwortet.
Das Ministerium will die erfolgten "Informations- und Beteiligungsformate" nicht kommentieren. Der Prozess erfolge jedoch in enger Abstimmung mit BZgA und RKI. Auch die Personalvertretung sei einbezogen.
Höchste Gesundheitsausgaben – bei Lebenserwartung nur Mittelfeld
Der Aufbau des BIPAM wurde im Koalitionsvertrag verankert. "Ausgangspunkt für die geplante neue Struktur mit dem neuen Bundesinstitut und dem RKI ist die aktuelle Gesundheitssituation in Deutschland. Obwohl Deutschland die höchsten Gesundheitsausgaben in der EU aufweist, liegt die Lebenserwartung hierzulande, im europäischen Ranking, nur im Mittelfeld", teilte die Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums mit. Ziel sei es, die Lebenserwartung in guter Gesundheit zu erhöhen und das Aufkommen nicht übertragbarer Krankheiten deutlich zu reduzieren.
Der Gesetzentwurf steht vor der zweiten und dritten Lesung voraussichtlich Mitte November. Nach Zustimmung des Bundesrates soll das Gesetz zum 1. Januar in Kraft treten.
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 01. November 2024 | 19:30 Uhr
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