Wladimir Putin
Wirtschaftsexperten haben erst vor kurzem eingeräumt, dass die russische Wirtschaft robuster ist, als gedacht. Ein Grund dafür: Wladimir Putin sucht ständig neue Handelspartner – wie etwa China. Bildrechte: IMAGO / ZUMA Wire

Energie-Krise Sanktionen gegen Russland: Wie wirken sie sich aus?

13. September 2022, 10:12 Uhr

Eine Mehrheit ist mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung unzufrieden. Das hat eine nicht repräsentative Umfrage von MDRfragt mit 28.000 Teilnehmern ergeben. So wird auch die Kritik an den Sanktionen gegen Russland immer lauter – vor allem aus Sorge, die steigenden Energiekosten im kommenden Winter nicht zahlen zu können. Die Argumentation: Wenn die Sanktionen eingestellt würden, liefere Russland wieder mehr Energie. Doch ist das so?

"Wir werden das volle Paket mit massivsten Sanktionen gegen Russland auf den Weg bringen." Diesen Satz hat Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis90/ Die Grünen) unmittelbar nach dem Einmarsch russischer Truppen und dem Beginn des Krieges in der Ukraine gesagt. Das "volle Paket" wurde nicht umgesetzt. Zu groß ist die Abhängigkeit in Europa und vor allem in Deutschland von russischem Gas. Dennoch sind die in Brüssel vereinbarten Sanktionen weitreichend.

Im Finanzsektor etwa wurden russische Banken vom internationalen Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen. Im Energiesektor wurde ein Verbot für russische Öl-Einfuhren auf dem Seeweg verhängt. Im Verkehrsbereich hat die Europäische Union (EU) ihren Luftraum für russische Flugzeuge geschlossen. Zudem gibt es Sanktionen gegen Vertreter und Oligarchen des russischen Regimes. Ihre Konten in der EU sind eingefroren worden, Luxus-Yachten und Immobilien wurden beschlagnahmt.

Wie wirken die Sanktionen gegen Russland

Mehr als ein halbes Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges wird die Frage lauter, welche Wirkung diese Sanktionen auf die russische Wirtschaft haben. Das Auswärtige Amt geht aktuell von einem Wirtschaftseinbruch in Russland von sechs bis 15 Prozent aus. Der Rat der EU von mindestens elf Prozent und beruft sich dabei auf einen Bericht der Weltbank. Der russische Wirtschaftsminister geht von deutlich weniger aus.

Noch im März hatten die Experten der größten US-amerikanischen Investmentbank JP Morgan einen großen russischen Wirtschaftseinbruch vorausgesagt: Demnach hätte es allein im zweiten Quartal einen Einbruch um 35 Prozent zu den vorherigen drei Monaten geben sollen. Tatsächlich gehen die Experten inzwischen von einem Minus von vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr aus. JP Morgan hat damit nun eingeräumt, dass die russische Wirtschaft wohl robuster sei als gedacht.

"Die wirtschaftliche Lage ist momentan, wenn man das so im Großen und Ganzen beantwortet, noch relativ stabil", sagt Wirtschaftsjournalist Maxim Kireev aus Sankt Petersburg. "Die Preise sind natürlich sehr stark gestiegen." Das sei schon zu spüren und zeige auch ein Blick auf die Kassenzettel. So seien alltägliche Einkäufe seit Februar um etwa 30 Prozent teurer geworden. Zudem sieht Maxim Kireev auch deutlich mehr leere Geschäfte als früher oder auch, dass es in den Kinos keine amerikanischen Blockbuster mehr gibt.

Doch dafür seien die Energiekosten in Russland nicht so explodiert wie in Deutschland. "Das heißt, an der Tankstelle bezahlt man genau das Gleiche wie damals", berichtet Maxim Kireev. Die Mieten seien nicht gestiegen. "Die ganzen Tarife, die der Staat festlegt, die sind nicht hochgegangen."

Gründe für die stabile russische Wirtschaft trotz Sanktionen

Ein Grund dafür: Wladimir Putin sucht ständig neue Handelspartner. So hat etwa das von den USA und der EU verhängte Öl-Embargo den Kreml nur bedingt betroffen, weil Indien und China seit Russlands Überfall auf die Ukraine viel mehr Öl aus Russland kaufen.

Ein weiterer Grund: Russland hat seit der Invasion der Krim im Jahr 2014 – und den anschließend verhängten Sanktionen – den Agrarsektor sehr stark ausgebaut. Russland ist heute weltweit führender Exporteur für Weizen. Die Sorge, dass die Ukraine als Folge des russischen Überfalls als Weizen-Exporteur für den Weltmarkt ganz oder zumindest größtenteils ausfalle, führte zu einer Preisexplosion auf dem Weltmarkt. Russland hingegen meldete für das Jahr 2022 eine Rekordernte.

Es scheint, als habe Wladimir Putin eine klare Strategie. So hat Russland mit dem Verkauf fossiler Brennstoff seit Kriegsbeginn etwa 158 Milliarden Euro an Einnahmen erzielt, wie Forscher in einer Datenanalyse des unabhängigen Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) aus Finnland berechnet haben. Dem gegenüber stehen geschätzte Kriegskosten in dem Zeitraum in Höhe von 100 Milliarden Euro. Putin macht offenbar Gewinn mit dem Krieg. Doch die Schätzungen über die Ausgaben Russlands gehen unter Experten auseinander.

Zudem schreibt die CREA, dass ausgerechnet Deutschland in den vergangenen sechs Monaten, nach China, der zweitwichtigste Käufer von fossilen Energien aus Russland war – trotz der europäischen Sanktionen. Denn Deutschland ist vor allem von den russischen Gaslieferungen abhängig und diese Abhängigkeit hat Folgen.

"Die wirtschaftliche Wirkung, die wir jetzt sehen, hat eigentlich weniger mit dem Sanktionsregime zu tun, sondern damit, dass die Gaslieferungen aus Russland eingeschränkt worden sind", sagt der wissenschaftliche Direktor am Institut für Makroökonomie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Sebastian Dullien. "Dadurch sind jetzt die Gaspreise ganz massiv gestiegen, und das ist das große Risiko für unsere Wirtschaft in den nächsten Monaten."

Dadurch sind jetzt die Gaspreise ganz massiv gestiegen, und das ist das große Risiko für unsere Wirtschaft in den nächsten Monaten.

Sebastian Dullien Institut für Makroökonomie

Die Folgen für Deutschland

Russland und Wladimir Putin können Einfluss auf die Gaspreise in Deutschland nehmen. So ließ etwa der aktuelle Liefer-Stopp über Nord-Stream 1 die Gaspreise enorm steigen. Diese Möglichkeit zur Regulierung hat der russische Staatschef offenbar lange vorbereitet.

"Also Russland hat quasi seit Mitte letzten Jahres angefangen, seine Gaslieferungen nach Europa deutlich zu drosseln", sagt der Energiemarkt-Experte Georg Zachmann vom Bruegel-Institut. "Russland hat die Gasspeicher nicht mehr vollgemacht, wahrscheinlich auch schon in Vorbereitung auf dem Krieg, um ein Druckmittel gegen gegenüber Europa zu haben."

Sanktionen beenden oder verschärfen?

Was also tun? Sanktionen, die scheinbar nur bedingt wirksam sind, aufheben und auf ein Entgegenkommen des Kriegstreibers Putin hoffen? Oder sie vielleicht sogar verschärfen und damit die Gefahr eingehen, dass Russland die Gaslieferungen dauerhaft einstellt? In der EU herrscht darüber Uneinigkeit: So fordert etwa Polen härtere Sanktionen gegen Russland und würde eine Rücknahme nicht mittragen, wenn Deutschland plötzlich diesen Weg einschlagen würde.

All das spielt Putin in die Hände. Denn ein uneiniges Europa ist ein geschwächtes Europa. Und während in Deutschland inzwischen auf Demonstrationen gegen die hohen Energiepreise protestiert wird, hat im Nachbarland die Regierung erklärt, mit dieser "Gas-Erpressung" durch Russland gerechnet zu haben und darauf vorbereitet zu sein.

Noch schlechter als gerade könne es für Deutschland kaum laufen, findet Energiemarkt-Experte Georg Zachmann: "Es ist, als spielte Europa Schach mit bereits festgelegten Zügen, unfähig auf Russlands Vorgehen zu reagieren." So gehe man mit einer großen Abhängigkeit in den kommenden Winter. "Wir werden gespalten. Die Preise sind hoch, die Mengen sind gering. Also eigentlich kann es jetzt nur noch bergauf gehen."

Es ist, als spielte Europa Schach mit bereits festgelegten Zügen, unfähig auf Russlands Vorgehen zu reagieren.

Georg Zachmann Energiemarkt-Experte

Aus diesem Grund haben Georg Zachmann und weitere Experten in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen konkreten Vorschlag gemacht: Die EU solle Putin vor die Wahl stellen. Entweder er liefert die vor dem Krieg vereinbarte Menge zum Marktpreis – oder zumindest einen Teil davon – oder Deutschland und Europa nehmen nichts mehr ab. So würden aus Sicht der Experten die Marktpreise auf ein akzeptables Niveau sinken. Einen Abbruch der Energiehandels-Beziehungen mit Europa könne Putin nicht wollen, schreiben sie. "Er würde mit Europa seinen lukrativsten Energiemarkt auch langfristig verlieren und sich in eine sehr unvorteilhafte wirtschaftliche Abhängigkeit insbesondere von China begeben."

Quelle: MDR Investigativ/ mpö

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