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Seit 1959 begleitet der Sandmann Kinder in den Schlaf. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Der Redakteur | 14.10.2022Woher kommt eigentlich das Wesen des Sandmanns? Gibt es ihn in anderen Ländern auch?

14. Oktober 2022, 15:50 Uhr

Der Sandmann ist für viele Generationen eine Konstante in der Kindheit. Woher kommt er eigentlich und warum pustet er ausgrechnet Sand? Dr. Volker Petzold ist Autor und Sandmann-Forscher und kennt die Antworten.

Der Sandmann ist deutlich älter als er aussieht. Bis in die griechische Mythologie reicht seine Ahnentafel. Dazu gehören der Traum- bzw. Schlafgott Hypnos und der Todesgott Thanatos, die Brüder waren - so wie die Griechen und auch die Germanen Schlaf und Tod für Geschwister hielten.

In dieser Tradition ist auch Ole Lukøje zu sehen, eine Figur der dänischen Literatur, die vor allem durch Hans Christian Andersen bekannt wurde. Er bringt Kinder sanft zum Einschlafen und schenkt ihnen gute oder schlechte Träume, in Abhängigkeit vom Verhalten an diesem Tag.

Auf diese Figur des Ole Lukøje haben sich die Sandmännchen-Schöpfer des DDR-Fernsehens auch immer berufen, sagt Sandmann-Forscher Dr. Volker Petzold. Ihm ist es übrigens zu verdanken, dass nach der Wende der Nachlass des Sandmännchens erhalten geblieben ist und den Weg ins Museum gefunden hat - und nicht auf die Deponie.

Am Anfang war das Ende

Die Abwicklung des DDR-Fernsehens und die damit verbundenen Fragen, "Was passiert eigentlich mit den ganzen Kulissen, Kisten, Figuren, Akten usw.?" war die Initialzündung für ihn, sich auch mit der Historie und den Vorfahren des Sandmännchens zu beschäftigen und mit dessen zahlreichen "Brüdern" in Büchern und anderen Medien. So gab es zum Beispiel in den 1920er Jahren in Los Angeles eine Sandmännchenfigur im Radio, die mit Geschichten die Kinder ins Bett gebracht hat.

Inwiefern sich diese Figur auch auf Ole Lukøje bezieht, das kann Volker Petzold nicht belegen. Er hat sowohl Bücherplattformen und Onlineantiquariate in den 2000er Jahren genutzt, um viele Sandmann-Bücher aus dem anglo-amerikanischen Raum zusammenzutragen. Andersen spricht ausdrücklich davon, so Petzold, dass der Ole ein Gott ist, mit Verweis auf dessen griechischen Vorfahren. Demzufolge könne es beim Sandmännchen nicht anders sein, schlussfolgert Petzold.

Das Sandmännchen ist eigentlich ein Gott, der Schlafgott oder der Traumgott.

Dr. Volker Petzold, Autor und Sandmann-Forscher

Wieso eigentlich Sand?

Es gibt hierfür mehrere Ansätze, die auch mit ganz anderen Sandmännern zu tun haben. Wir sind bei Scheuersand, mit dem früher geputzt und gescheuert wurde. Sandbauern oder Sandmänner bauten hierfür seit dem frühen Mittelalter Flusssand oder Sandstein ab und dieser wurde dann von Wanderhändlern vertrieben.

Dass diese Leute herumkamen und auch viele Geschichten zu erzählen hatten, liegt auf der Hand, sodass Volker Petzold hier eine Verbindung zum heutigen Sandmännchen zieht. Auch wenn der Ole selbst nicht auf Sand gebaut hat.

Ole Lukøje hat eigentlich Milch in die Augen geträufelt, um Kinder schläfrig zu machen, in deutschen Übersetzungen wurde größtenteils immer Begriff des Sandmanns verwendet.

Dr. Volker Petzold, Autor und Sandmann-Forscher

Auch geht der Sand wohl auf die Tatsache zurück, dass das Gefühl der Schläfrigkeit vergleichbar ist mit dem Gefühl, als würde man Sand in den Augen haben. Und irgendwer muss den ja dorthin gebracht haben. Diese recht simple Erklärung findet sich auch im Grimm’schen Wörterbuch, so Petzold.

Und nicht nur dort. Beispiel: Die dritte Strophe des Liedes "Die Blümelein, sie schlafen" klingt wie eine Beschreibung einer Sandmännchen-Folge. Sie wurde 1840 von Anton Wilhelm von Zuccalmaglio und August Kretzschmer erstmals unter dem Titel "Sandmännchen" in der Sammlung "Deutsche Volkslieder mit ihren Originalweisen" veröffentlicht.

Zipfelmütze, weißer Bart und Knopfaugen - So kennt man den Sandmann. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Sandmännchen kommt geschlichen
und guckt durchs Fensterlein,
ob irgend noch ein Kindchen
nicht mag zu Bette sein.
Und wo er nur ein Kindlein fand,
streut er ins Aug ihm Sand.
Schlafe, schlafe, schlaf du, mein Kindelein."

Und welcher war nun der erste Sandmann im Fernsehen?

Diese Ost-West-Glaubensfrage beantwortet Volker Petzold salomonisch. Einer war zuerst da, der andere zuerst zu sehen. Fernsehproduktionen sind aufwändig und brauchen oft einen gewaltigen Vorlauf. Gerade Trickfilme können nicht von jetzt auf gleich produziert werden, so wie vielleicht ein Tagesschau-Beitrag. Dass die westdeutschen Fernsehmacher einen Sandmann vorbereiteten und mit Blick auf die Vorweihnachtszeit die ersten Folgen im Dezember ausstrahlen wollten, das haben die Kollegen im Osten mitbekommen und wollten schlicht schneller sein.

1959 sah der Sandmann so aus. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Soeren Stache

Entsprechend unter Zeitdruck standen der Bühnen- und Kostümbildner Gerhard Behrendt und Diethild Dräger, die mittels beweglicher Metallskelette die Figuren in der Puppenwerkstatt gebaut haben. Am Ende entstand in nur zwei Wochen ein Film mit einer Sandmann-Figur, der Behrendt mit aufwändiger Stopp-Motion-Animation Leben einhauchte. Jede auch noch so kleine Wink-Bewegung wird bei dieser Produktionsart mit der Hand ausgeführt, dann wird das nächste Bild gemacht und der Arm noch ein Stückchen weiter hochgebogen.

Auch wenn das erste Sandmännchen noch etwas grusselig-derangiert aussah und erst 1960 sein freundliches Knopfaugengesicht bekam, ging es am 22. November 1959 erstmals auf Sendung. Neun Tage vor seinem Bruder aus dem Westen. Das war quasi ein frühes "Überholen ohne einzuholen", auch wenn der Start von der Bildwirkung her ziemlich in die nasse Hose ging.

Denn nachdem es die Kinderlein ins Bett gebracht hatte, setzte sich das Sandmännchen in den Schnee und schlief - angelehnt an eine Hausecke - friedlich ein. In den folgenden Tagen gingen von besorgten Kindern Briefe ein, die dem Sandmännchen - als wohl erstem offiziellen Obdachlosen der DDR - einen Platz im eigenen Bettchen anbieten wollten. Aber auch solche Bilder würden Medienberater heutzutage dann wohl besser nicht empfehlen.

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 14. Oktober 2022 | 15:10 Uhr