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Ukraine-KriegHaubitzen und Flakpanzer: Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland läuft langsam an

24. Juni 2022, 08:53 Uhr

Am 21. Juni hat die Ukraine nach eigenen Angaben die schon vor Wochen angekündigten Panzerhaubitzen aus Deutschland erhalten. In den nächsten Wochen sollen auch die ersten Flakpanzer des Typs "Gepard" folgen. Ob die ukrainische Armee diese Waffen schnell einsetzen kann, hängt auch von der Ausbildung der Besatzungen ab.

von Dirk Reinhardt, MDR THÜRINGEN

Anfang April 2022 schickte das Bundesverkehrsministerium an die "für die Straßenverkehrs-Ordnung und die Verkehrspolizei zuständigen obersten Landesbehörden“ ein Rundschreiben mit dem Betreff: "Krieg in der Ukraine". In dem Brief bittet das Ministerium höflich darum, "für militärische Transporte (einschließlich Großraum- und Schwertransporte und Leerfahrten), die durch private Unternehmen im Auftrag deutscher oder verbündeter Streitkräfte geschäftsmäßig oder entgeltlich mit Bezug auf den Krieg in der Ukraine durchgeführt werden", landesweite Ausnahmegenehmigungen vom Sonn- und Feiertagsfahrverbot zu erteilen oder "im Wege des Opportunitätsprinzips" von entsprechenden Kontrollen abzusehen.

Weil in Deutschland alles seine Ordnung haben muss, wollte das Verkehrsministerium schon mal vorsorglich sicherstellen, dass Transporte mit militärischem Großgerät für die Ukraine, die sich seit dem 24. Februar gegen die Invasion durch russische Truppen wehrt, sozusagen rund um die Uhr Richtung Osten rollen können. Was seither von wem und auf welchem Weg in die Ukraine gebracht wurde, ist kaum zu erfahren. Bundesregierung und Bundeswehr machen hierzu aus Sicherheitsgründen keine detaillierten Angaben.

Die Ukraine braucht schwere Waffen. Mit dieser Forderung mahnt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (hier bei einem Treffen mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock) seit Monaten den Westen zu mehr Unterstützung für sein Land im Krieg gegen die Invasion durch russische Truppen. Bildrechte: IMAGO / ZUMA Wire

Viel Großgerät ist bisher allerdings aus Deutschland nicht auf den Weg in die Ukraine geschickt worden. Obwohl die ukrainische Regierung gebetsmühlenartig ihre Forderungen und Wünsche nach Panzern, Geschützen und Raketenwerfern wiederholt.

Kanonen und Luftabwehrsystme hatte die Bundesregierung zwar schon vor Wochen angekündigt, doch bis zur Lieferung der unter anderem zugesagten sieben Panzerhaubitzen 2000 dauerte es Wochen. Am 21. Juni teilte die ukrainische Regierung via Twitter dann mit, die deutschen Geschütze seien endlich eingetroffen. Die Haubitzen, die zu den modernsten der Welt gehören, können Granaten mit 155 Millimetern Kaliber bis zu 40 Kilometer weit schießen. Weitere fünf dieser Geschütze wollen die Niederlande an die Ukraine liefern.

Die Lieferung dieser modernen Waffensysteme aus Beständen der Bundeswehr ist in Deutschland durchaus umstritten. Nicht nur, weil die Bundeswehr selbst auch nicht gerade üppig mit derlei Material ausgestattet ist. Sondern auch, weil sie nicht so einfach zu bedienen sind. Experten verweisen auf die langen Ausbildungszeiten für die Besatzungen. Für die ukrainischen Besatzungen wurde ein 40-tägiges Ausbildungsprogramm konzipiert, wie der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, vor kurzem in einem Interview mit der Podcast-Serie "Nachgefragt" der Bundeswehr erläuterte. Und die Ausbildung ist durchaus herausfordernd. Zorn nennt in dem Interview ein Beispiel: "Also wenn das Geschütz eine Fehlermeldung beispielsweise hat, dann gibt es ganz viele elektronische Ersatzbetriebslösungen, rund 120, die dort auch in der Ausbildung vermittelt wurden. Und dazu bedarf es einer klaren Kenntnis auch der Software, die dort hinterlegt ist. Und das ist ein Punkt, der im wesentlichen Schwerpunkt der Ausbildung dort gestanden hat."

Doch, so Zorn:

Das sind alles erfahrene Leute, die allerdings mit einem anderen Panzerhaubitzen-Waffensystem im Krieg schon aktiv waren und die natürlich jetzt nur umgeschult werden mussten auf ein neues System. Das haben wir, denke ich, gut hinbekommen.

Generalinspekteur Zorn zur Ausbildung ukrainischer Soldaten an der Panzerhaubitze 2000

Im Juli soll es dann auch mit dem Luftabwehrpanzer "Gepard" losgehen: Dann sollen die ersten 15 von 30 "Gepards" an die Ukraine geliefert werden. Eine zweite Tranche von 15 Fahrzeugen soll dann im August folgen. Auch diese Panzer waren schon vor Wochen von der Bundesregierung zugesagt worden. Allerdings nicht, wie sich schnell zeigte, aus Beständen der Bundeswehr. Denn die hat den "Gepard" - stationiert unter anderem bis Ende 2006 beim Raketenabwehrbataillon 131 in Hohenmölsen in Sachsen-Anhalt - schon vor Jahren ausgemustert.

Flakpanzer "Gepard" Bildrechte: IMAGO/Björn Trotzki

Die ausgemusterten Flakpanzer stehen beim Hersteller Krauss-Maffei Wegmann (KMW) in den Lagerhallen. Der hatte viele der "Gepards" von der Bundeswehr und anderen Nato-Armeen zurückgekauft. Einige davon fristeten ihr Dasein in zwei Lagerhallen in Wallhausen in Sachsen-Anhalt, die das KMW-Tochterunternehmen Battle Tank Dismantling aus dem thüringischen Rockensußra angemietet hat. Das Geschäft der Thüringer Firma ist eigentlich die Verschrottung von Panzern und anderen Militärfahrzeugen. Nun kommen die "Gepards" in der Ukraine zum Einsatz.

Die Fahrzeuge würden "von der Industrie wiederhergerichtet", teilte Generalsinspekteur Zorn mit. Die entsprechenden Verträge seien unterzeichnet, so Zorn. Die Ausbildung der ukrainischen Besatzungen werde ebenfalls durch die Industrie gewährleistet, es gebe einen "klaren Ausbildungsplan".

Aufwändige Ausbildung

Ob die "Gepards" für die ukrainische Armee, die vor allem im Osten des Landes immer mehr Mühe hat, den Angriffen der russischen Armee standzuhalten, schnell von Nutzen sein können, ist indes in Deutschland umstritten. Die Ausbildung an dem komplexen, mit Software vollgestopften Panzer, dauere sehr lange, heißt es seit Wochen immer wieder von Militärexperten. Denn es geht nicht nur darum, die richtigen Handgriffe einzuüben, sondern diese auch im Gefecht unter Stress sicher zu beherrschen. Ehemalige "Gepard"-Soldaten der Bundeswehr berichteten dem MDR, allein die Grundausbildung einer Besatzung dauere bis zu drei Monate. Selbst Mechaniker bräuchten Monate, bis sie in der Wartung und Reparatur der komplexen Waffensysteme versiert seien, heißt es. Entsprechendes Sonderwerkzeug müsse dafür auch vorhanden sein.

Unklar ist, ob der Hersteller KMW die ukrainischen Besatzungen ausbildet. Das Unternehmen teilte auf MDR-Anfrage mit, man werde sich zu Details aus Sicherheitsgründen nicht äußern.

Woher kommt die Munition?

Zweifler am "Gepard"-Geschenk für die Ukraine verweisen auch auf Probleme bei der Munition. Der Luftabwehrpanzer benötigt spezielle, für das Modell gefertigte 35-mm-Patronen, die vom Schweizer Hersteller Oerlikon produziert wurde. Berichten zufolge verweigerte die Schweiz jedoch die Lieferung solcher Munition in die Ukraine - wegen der in der Schweiz geltenden strengen Ausfuhrgesetze für Munition. Doch anscheinend hat die Bundesregierung eine Lösung für das Munitionsproblem. Denn auf einer am 21. Juni vom Verteidigungsministerium veröffentlichten Liste der Waffenlieferungen an die Ukraine sind auch "53.000 Schuss Flakpanzermunition" aufgeführt. Woher die kommt, darüber hüllt man sich in Schweigen.

Mit der Veröffentlichung der Liste will die Bundesregierung offenkundig Kritikern begegnen, die ihr eine - freundlich formuliert - zu große Zurückhaltung bei der Unterstützung der Ukraine vorhalten. Bisher wurde vor allem Munition und leichte, von Hand zu bedienende Panzerabwehrwaffen geliefert, außerdem unter anderem Ersatzteile für das noch aus sowjetischer Produktion stammende Jagdflugzeug MIG 29. Die NVA der DDR hatte dieses Modell im Bestand, heute wird es auch von der ukrainischen Luftwaffe geflogen.

Gefährlich auch für eigene Flugzeuge der Ukraine?

Das führt zu einer Anekdote, die in Gesprächen des Autors mit ehemaligen "Gepard"-Soldaten und ehemaligen Kampfpiloten mehrfach kolportiert wurde und die in dem Satz mündete: "Hoffentlich schießen die Ukrainer dann mit den Gepards nicht ihre eigenen Flieger ab." Hintergrund: Die Freund-Feind-Erkennungssoftware sendet - vereinfacht beschrieben - ein Radarsignal an ein erkanntes Flugzeug. Handelt es sich bei diesem um ein Nato-Flugzeug, sendet es ein spezielles Signal an den Panzer zurück, der dann nicht schießt. Flugzeuge sowjetischer bzw. russischer Bauart wie die MIG 29 dürften zumindest serienmäßig nicht mit entsprechenden Gerätschaften ausgerüstet sein, die den Nato-Code senden. Hier müsste also noch eine entsprechende Umrüstung der ukrainischen Kampfjets erfolgen. Es ist wohl anzunehmen, dass derartiges auch passiert. Fragen dazu wollte KMW auf MDR-Anfrage ebenfalls nicht beantworten.