Bundestagswahl Wie können Grüne und FDP eine Beziehung eingehen?

28. September 2021, 16:38 Uhr

Nach der Wahl ist vor der Koalitionsbildung – und es sieht so aus, als ob sich die Grünen mit der FDP über eine mögliche Partnerschaft austauschen müssen. Doch in dieser Konstellation treffen unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander. Hat so eine Beziehung überhaupt eine Chance? Ein Paartherapeut schätzt die Lage ein.

Nach der Bundestagswahl sind verschiedene Varianten zur Bildung einer Regierung möglich. Eine erneute Große Koalition gilt als unwahrscheinlich. Am ehesten könnte es entweder die Ampel aus SPD, Grüne und FDP werden oder eine Jamaika-Koalition unter Führung der CDU. Doch egal wer am Ende den Kanzler stellt – zuerst muss es bei den Juniorpartnern funktionieren.

Außerdem stellt so eine Dreierkonstellation eine Beziehung vor große Herausforderungen. Kann so etwas funktionieren? Der Hamburger Paartherapeuten Eric Hegmann sagt: "Die meisten Paare haben ja schon große Probleme dabei, zu zweit eine Beziehung auf Augenhöhe zu führen." Eine Dreierbeziehung sei sehr viel anspruchsvoller. "Es braucht noch deutlich mehr Respekt vor der Andersartigkeit des Partners. Es braucht noch mehr Vertrauen, und es braucht sehr viel mehr Transparenz und Ehrlichkeit."

Wichtiger Punkt: Geld, Schulden und Investitionen

Ein Grund, an dem viele Partnerschaften scheitern, ist das Geld. So dürften beim ersten Treffen zwischen Grünen und FDP gleich die Schulden ein Thema werden. Lindner will schnell zurück zur Schuldenbremse. Baerbock will lieber in Klimagerechtigkeit investieren. Anders ausgedrückt: Der eine Partner will sparen, der andere nicht. Wie bekommt man das unter einen Hut?

"Meine Erfahrung ist, es bringt hier nichts, wenn die Partner um einen Kompromiss ringen", sagt der Beziehungsexperte aus Hamburg. Wenn sich die Partner dabei immer nur in der Mitte treffen würden, sei dies der kleinste gemeinsame Nenner. Das bedeute: Beide Partner blieben auf Dauer unbefriedigt und hätten beide das Gefühl, nicht das zu bekommen, was sie eigentlich wollen. Das belaste die Beziehung auf Dauer.

Doch Hegmann hat einen Lösungsvorschlag: "Besser als faule Kompromisse, von denen beide nichts haben, ist es häufig, Tauschgeschäfte zu vereinbaren." Anders ausgedrückt: Mal bekomme der eine, was er wolle und mal die andere, was sie möchte. "Denn dadurch wird dieser Optimismus gewährleistet. So wird mir diese Beziehung auch in vier Jahren noch Spaß machen."

Herzenswünsche: Welcher Partner bekommt was?

Doch was ist mit der Karriere? So hatte auch Robert Habeck von den Grünen darauf hingearbeitet, eventuell das Finanzministerium übernehmen zu können. Christian Lindner hatte im Sommerinterview vor der Wahl erklärt: "Die jetzt noch offene Frage ist, wer wird dann eine wichtige Rolle einnehmen, etwa beim Thema Finanzen. [...] Soll das ein Robert Habeck von den Grünen sein? [...] Oder soll das ein Finanzminister der FDP sein, ich wäre bereit das zu übernehmen."

Doch nur einer von beiden wird den Posten übernehmen können. Wie klärt man also, wer karrieretechnisch zurückstecken muss? "Nach meiner Erfahrung ist es sehr, sehr belastend für eine Beziehung, wenn ein Partner seinen Herzenswunsch nicht ausleben kann. Das ist ein Ticket zum Liebeskummer", sagt Hegmann. Er würde immer versuchen diesen zu erfüllen und versuchen, an anderer Stellen einen Kompromiss oder Tausch zu machen. "Denn sonst ist die andere Person höchstwahrscheinlich nicht wirklich mit vollem Herzen dabei und geht vielleicht irgendwann mal fremd."

Die Gemeinsamkeiten von Grünen und FDP

Es gibt natürlich auch Einigkeit zwischen FDP und Grünen: Weniger Law and Order in der Innenpolitik. Beide wollen junge Eltern entlasten und das Familienbild modernisieren. Beide stehen für ein Einwanderungsland Deutschland. Cannabis würden auch beide legalisieren.

Auch beim Klimaschutz gibt es ein Match – beide Parteien stehen zu den Pariser Klimazielen. Nur die Wege dahin unterscheiden sich. Die FDP setzt auf Markt und Innovation. Die Grünen sprechen offen von Verboten. "Jedes Verbot ist auch ein Innovationstreiber. Das sehen wir gerade bei der Autoindustrie", sagte Annalena Baerbock bei letzten Triell. Das sieht Christian Lindner anders: "In einem Satz gesagt: Wir wollen mehr Freude am Erfinden als am Verbieten in unserem Land."

Was ist am Ende wichtig?

Doch wie viele Freiheiten braucht es in einer Beziehung? "In allen Beziehungen gibt es den Konflikt zwischen dem Wunsch nach Verschmelzung, nach Gleichheit, nach Einigkeit und dem Wunsch nach Selbstbestimmung, Autonomie, Freiraum, Exploration", sagt der Paartherapeut.

Eine gute Beziehung ist wie der sichere Hafen, von dem man aus dann die Welt erkunden kann.

Eric Hegmann Paartherapeut

Doch bis das gelingen könnte, ist es noch ein weiter Weg. Die Sondierungsverhandlungen haben noch nicht einmal begonnen. Die Frage ist dabei: Wer kann mit wem? "Es könnten auch Partnerschaften mit Partnern, die sehr unterschiedlich sind, sehr erfolgreich sein", sagt Hegmann. Wenn diese Unterschiede nicht als Bedrohung, sondern als Ergänzung wahrgenommen würden. Doch "man sollte sich schon genau überlegen: Passen wir so gut zusammen, dass wir uns auch tatsächlich eine gemeinsame Zukunft vorstellen können", erklärt der Paartherapeut. Sollten da Zweifel bestehen, wäre es häufig besser, es von vornherein zu lassen.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | FAKT | 28. September 2021 | 21:45 Uhr

Mehr aus Deutschland