Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben
In unserer Reihe "Gesagt, getan?" fragen wir nach dem Erfolg der Politik von Union und SPD in den vergangenen knapp vier Jahren. Bildrechte: MDR/dpa

Koalitionsvertrag im Check | Teil 3Die Energiewende stockt

17. September 2021, 10:05 Uhr

Mehr erneuerbare Energie, mehr Energieeffizienz – weg von nuklearen und fossilen Brennstoffen – das war im Kern die energiepolitische Agenda der Großen Koalition. Der Kohleausstieg ist zwar seit 2020 gesetzlich besiegelt. Doch Probleme bei Windenergie, Energieeffizienz und Stromtrassenbau gefährden den Erfolg der Energiewende.

von Thomas Falkner, MDR Wirtschaft & Ratgeber

Die Energiewende "sauber, sicher und bezahlbar" fortführen, so hatten CDU, CSU und SPD ihre energiepolitischen Ziele im Koalitionsvertrag von 2018 zusammengefasst. Deutschland sollte die "energieeffizienteste Volkswirtschaft der Welt" werden.

Um den künftigen Strombedarf zu decken, sollte der Ausbau der erneuerbaren Energien "deutlich erhöht" werden. Die Koalition hatte sich außerdem vorgenommen, den Ausbau der Stromnetze zu beschleunigen und "mehr Akzeptanz" für den Netzausbau zu schaffen, etwa durch Verlegung von Erdkabeln.

Wir führen die Energiewende sauber, sicher und bezahlbar fort: Zielstrebiger, effizienter, netzsynchroner und zunehmend marktorientierter Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Koalitionsvertrag, 2018

Auch hatte die Koalition einen Plan zur "Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung" angekündigt. Dabei sollten die Regionen bei der Gestaltung des Kohleausstiegs mitreden können.

Wir gestalten den Wandel gemeinsam mit betroffenen Regionen.

Koalitionsvertrag, 2018

Termin für den Kohleausstieg steht

Gleich 2018 setzte die Bundesregierung eine Kommission für einen "Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung, einschließlich eines Abschlussdatums" ein. In ihrem Abschlussbericht vom Januar 2019 sprach sie sich für ein Ende der Kohleverstromung bis 2038 aus und legte einen detaillierten Ausstiegsplan vor, außerdem ein Konzept, wie die Kohleregionen durch aktive Strukturpolitik zukunftsfähig gemacht werden könnten.

Allgemein

Mehr Arbeitsplätze, Steuererhöhungen oder Schuldenabbau? Der Bundestagswahlkampf ist auch ein Wettstreit um die richtige Lösung. Lesen Sie hier, wie die Parteien wirtschaftlich vorankommen wollen.

CDU/CSU

Nach einem Ende der Coronavirus-Pandemie will die Union so schnell wie möglich wieder ausgeglichene Haushalte, die "schwarze Null" und keine weitere Aussetzung der Schuldenbremse. Trotzdem soll es keine höheren Steuern geben, vielmehr noch Entlastungen für Unternehmen sowie für kleine und mittlere Einkommen. Mit einem "Entfesselungspaket" will die Union die Wirtschaft von Steuern und Bürokratie entlasten, Unternehmenssteuern bei 25 Prozent deckeln und zudem die Lohnnebenkosten auf einem "stabilen Niveau von maximal 40 Prozent" halten. Höhere Spitzensteuersätze und eine Vermögenssteuer lehnt sie ab. Der Solidaritätszuschlag soll schrittweise für alle entfallen, die Entlastung für kleinere und mittlere Einkommen per Verschiebung der Einkommenssteuer-Stufen erreicht werden. Die Minijob-Verdienstgrenze soll von 450 auf 550 Euro im Monat steigen.

SPD

Die SPD will den Mindestlohn von aktuell 9,50 Euro auf 12 Euro erhöhen. Aus Millionen Minijobs sollen größtenteils reguläre Arbeitsverhältnisse werden. In der Altenpflege soll künftig generell nach Tarif bezahlt werden. Es soll einen Rechtsanspruch auf mindestens 24 Tage mobile Arbeit (Homeoffice) im Jahr geben. Die deutsche Industrie soll bald CO2-neutral produzieren und durch den Export von Klimaschutz-Technologien weltweit führend bleiben. Gründer und gemeinwohlorientierte Unternehmen sollen gefördert werden. Gebühren für Meisterkurse sollen wegfallen. Die SPD will ein Recht auf Weiterbildung und beruflichen Neustart in allen Lebensphasen. Niedrige und mittlere Einkommen sollen entlastet, hohe Einkommen und Vermögen stärker belastet werden. Die SPD will ab zu versteuernden Jahreseinkommen von 250.000 Euro (Verheiratete 500.000 Euro) die Einkommensteuer um drei Prozentpunkte erhöhen. Das Ehegattensplitting soll abgeschafft werden. Der Solidaritätszuschlag für Spitzeneinkommen soll bleiben. Zudem tritt die SPD für eine Vermögenssteuer von einem Prozent ein und eine Mindestbesteuerung großer Betriebsvermögen sowie vermögenshaltender Familienstiftungen. Es bleibt beim Ziel einer Finanztransaktionssteuer. Die SPD lehnt das Prinzip eines ausgeglichenen Haushalts ohne neue Schulden (Schwarze Null) ab. Sie will "verfassungsrechtlich mögliche Spielräume zur Kreditaufnahme nutzen", womit de facto die Schuldenbremse akzeptiert wird. Der Bund soll besonders hoch verschuldeten Kommunen einmalig hohe Altschulden abnehmen, ebenso Altschulden vor allem ostdeutscher Wohnungsbaugesellschaften.

AfD

Die AfD will Leiharbeiter ab dem ersten Arbeitstag mit der Stammbelegschaft hinsichtlich der Entlohnung gleichstellen, um Lohndumping vorzubeugen. Zudem bekennt sich die Partei zum Mindestlohn. Die Partei will den Zeitraum, in dem Arbeitslosengeld I bezogen werden kann, verlängern. Dieser soll sich nach der Dauer der Vorbeschäftigung richten. Für Hartz-IV-Empfänger soll verdientes Einkommen nicht vollständig mit dem Unterstützungsbeitrag verrechnet werden, sondern dem Erwerbstätigen soll ein spürbarer Anteil des eigenen Verdienstes bleiben. Das soll Arbeitsanreize schaffen. Die Partei will das Steuersystem vereinfachen und kleinere Verbrauchersteuern abschaffen. Dazu zählen u. a.: Energiesteuer, Schaumweinsteuer und die Zweitwohnungssteuer. Sie seien verwaltungsaufwendig und aufkommensschwach. Auch bei den sogenannten Substanzsteuern, etwa der Grundsteuer, strebt die AfD Reformen an. Insgesamt will die Partei die Steuer- und Abgabelast deutlich senken, um die Abwanderung deutscher Unternehmen und Fachkräfte ins Ausland zu verhindern. Um wegfallende Steuern für die Kommunen auszugleichen, will die AfD den Verteilungsschlüssel von Umsatz- und Einkommenssteuer zugunsten der Kommunen ändern. Mit Blick auf die Corona-Krise will die AfD vor allem den Mittelstand stärken und die Wirtschaftssektoren, die von den Corona-Maßnahmen besonders betroffen sind, entschädigen. Die Partei will das Land für Technologie-Entwickler attraktiver machen, vor allem in den Bereichen Pharmazie/Medizin, IT (Quantencomputing) und Weltraumforschung.

FDP

Die FDP fordert, die Abgabenbelastung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber wieder auf unter 40 Prozent zu senken. Der Spitzensteuersatz soll schrittweise verschoben werden und als Ziel erst ab einem Einkommen von 90.000 Euro greifen. Den Solidaritätszuschlag will die FDP komplett abschaffen. Die steuerliche Belastung von Unternehmen soll auf den OECD-Durchschnitt von rund 25 Prozent gesenkt werden. Außerdem fordert die FDP steuerliche Vorteile für Forschung und Entwicklung. Die Schuldenstandsquote Deutschlands soll zügig wieder unter die 60-Prozent-Marke gemäß Maastricht-Kriterien sinken. Die Liberalen fordern eine Beteiligungsbremse für den Staat, Beteiligungen wie an der Deutschen Post und der Deutschen Telekom sollen verkauft werden. Die Liberalen sprechen sich für flexiblere Arbeitszeiten aus. Sie wollen eine wöchentliche statt einer täglichen Höchstarbeitszeit und einen Rechtsanspruch auf Erörterung für mobiles Arbeiten. Bagatell- und Lenkungssteuern wie die Schaumwein- und Zwischenerzeugnissteuer, die Biersteuer oder die Kaffeesteuer sollen abgeschafft werden.

DIE LINKE

Die Linke will den gesetzlichen Mindestlohn auf 13 Euro erhöhen. Um die Einhaltung des Mindestlohns zu kontrollieren, soll die Zahl der Zoll-Kontrolleure verdoppelt werden. Die Linke will zudem, dass die Gehälter für Normal- und Geringverdienende steigen. Insbesondere für die Beschäftigten im Einzelhandel fordert die Linkspartei bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. Um die Sozialversicherung zu stärken, will die Linkspartei den Niedriglohnsektor (Mini- und Midi-Jobs) abschaffen und einen Rechtsanspruch auf eine Vollzeitstelle für alle Beschäftigten gesetzlich verankern. Leiharbeit, Werkverträge und sachgrundlose Befristungen sollen verboten werden. Sämtliche Tätigkeiten sollen über die Sozialversicherungen abgesichert werden. Das schließe auch Beschäftigte über Plattformen, Soloselbständige und Saisonbeschäftigte ein. Für Vorstands- und Managergehälter sollen verbindliche Obergrenzen festgelegt werden. Alle Beschäftigten sollen durch ein Recht auf Homeoffice einen Teil ihrer Arbeit zu Hause erledigen können, sofern die Art ihrer Tätigkeit das zulässt. Arbeitsschutz und die gesetzliche Unfallversicherung sollen auch im Homeoffice uneingeschränkt gelten. Zudem soll die Anerkennung von Berufskrankheiten erleichtert werden. Das schließe psychische Erkrankungen mit ein. Die Linke will die Gewerkschaften stärken und dafür sorgen, dass Tarifverträge leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden können. Arbeitsplätze insbesondere in der Industrie sollen durch Arbeitszeitverkürzungen erhalten werden. Die Partei will die Wochenarbeitszeit perspektivisch auf 30 Stunden reduzieren. Dafür sollen Überstunden begrenzt und die gesetzliche Höchstarbeitszeit abgesenkt werden. Der gesetzliche Urlaubsanspruch von derzeit 24 soll auf 36 Tage erhöht werden. Die Linkspartei will sich für einen Anspruch auf Weiterbildungsgeld einsetzen. Es soll in Höhe von 90 Prozent des letzten Nettoentgelts gezahlt werden. Möglichkeiten zur Weiterbildung sollen Arbeitsplätze in Krisen sichern, oder wenn Unternehmen auf klimagerechte Produktion umstellen. Das Kurzarbeitergeld soll als schnell wirkendes Mittel zur Sicherung von Arbeitsplätzen dauerhaft ausgebaut werden. Es soll perspektivisch die Höhe von 90 Prozent des letzten Einkommens erreichen. Einkommen bis 1.200 Euro pro Monat sollen steuerfrei werden. Damit will die Partei niedrige und mittlere Einkommen entlasten. Zur Bewältigung der Corona-Krise schlägt die Linkspartei eine Vermögensabgabe vor. Sie soll für Nettovermögen von mehr als zwei Millionen Euro fällig werden und 20 Jahre lang über Raten gezahlt werden. Zudem soll die Erbschaftssteuer angehoben werden. Abschaffen will die Linke die Sektsteuer, die 1902 zur Finanzierung der Kriegsmarine des Deutschen Reichs eingeführt wurde.

GRÜNE

Die Grünen setzen auf eine "Energierevolution", durch die Hunderttausende neue "Green Jobs" entstehen sollen – mit einem klimaneutralen Umbau der Wirtschaft. Beschäftigung soll im Bereich moderner Technologien wie Wasserstoff und Batteriezellen entstehen. Diese sollen fair bezahlt, tarifgebunden und von betrieblicher Mitbestimmung geprägt sein. Auch das Handwerk wollen die Grünen attraktiver machen. Den Fachkräftemangel will die Partei mit einem kostenlosen Meisterbrief, "Talentkarten" für Einwanderer und einer schnelleren Anerkennung ausländischer Berufs- und Studienabschlüsse erreichen. Den Mindestlohn will die Partei auf 12 Euro pro Stunde anheben. Die sachgrundlose Befristung von Beschäftigungsverhältnissen lehnt sie ab. Leiharbeiter sollen vom ersten Tag an den gleichen Lohn bekommen wie Stammbeschäftigte plus eine Flexibilitätsprämie. Die Grünen sind für das Recht auf Homeoffice bei gleichzeitiger Erhaltung des Arbeitsplatzes im Betrieb. Die Grünen sind für ein Bundestariftreuegesetz und dafür, Tarifverträge allgemeinverbindlich zu erklären. Außerdem sind sie für das Rückkehrrecht in Vollzeit, um die Frauenerwerbsquote zu erhöhen. Die Arbeitslosenversicherung will die Partei zu einer "Arbeitsversicherung" umbauen, inklusive Rechtsanspruch auf Weiterbildung und Stärkung der beruflichen Qualifikation. Bereits ab vier Monaten Beschäftigung soll es einen Anspruch auf Arbeitslosengeld geben. Der EU-Wiederaufbaufonds für die Corona-Krise soll verstetigt und fest in den EU-Haushalt integriert. Das Geld soll dann für Zukunftsinvestitionen wie gemeinsame europäische Energienetze genutzt werden. Für die nächsten zehn Jahre planen die Grünen für Deutschland eine Investitionsoffensive von zusätzlichen 50 Milliarden Euro pro Jahr. Den Kohleausstieg sollen ein "Regionaler Transformationsfonds" und ein Qualifizierungs-Kurzarbeitergeld begleiten. Ein Recht auf Weiterbildung und Weiterbildungsgeld soll die Arbeitnehmerseite stärken. Für den Mittelstand wünschen sich die Grünen weniger Bürokratie, eine innovationsfreundliche Steuerpolitik und eine breitenwirksame Forschungslandschaft. Mit einem Einmalbetrag von maximal 25.000 Euro will die Partei eine Gründungswelle auslösen. Für mehr Steuergerechtigkeit will die Partei den Grundbetrag bei der Einkommensteuer erhöhen und eine moderate Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent ab 100.000 Euro Jahreseinkommen für Alleinstehende (200.000 Euro für Paare). Ab 250.000 Euro bzw. 500.000 Euro Jahreseinkommen soll der Spitzensteuersatz bei 48 Prozent liegen. Außerdem will die Partei eine Vermögenssteuer einführen: Bei Vermögen oberhalb von zwei Millionen Euro pro Person soll jährlich ein Prozent davon an die Länder gehen. Konzerne sollen angemessen besteuert werden, etwa mit einer Digitalkonzernsteuer für Facebook, Google & Co. Neben der Energiewende will die Partei auch eine "Grüne Finanzwende": Öffentlich-rechtliche Banken und Pensionsfonds sollen nicht mehr in fossile Energie investieren. Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien soll Verwendung für Industrie und Flugverkehr finden. Mit einem "Zukunftsfonds" wollen die Grünen mehr nachhaltige Leuchtturm-Projekte finanzieren, die sonst kein Geld bekommen würden – genannt werden die Bereiche Greentech, KI und Lifesciences.

Die Bundesregierung hat aufbauend darauf 2020 das Kohleausstiegsgesetz und das Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen beschlossen. Um den Strukturwandel zu bewältigen, stellt der Bund Milliardensummen bereit. Der Freistaat Sachsen soll demnach 10,1 Milliarden Euro erhalten, Sachsen-Anhalt 4,8 Milliarden. Der Präsident der Industrie- und Handelskammer Halle, Steffen Keitel, kritisierte jedoch, dass Anreize für Investitionen und Innovationen von Unternehmen fehlten. Gefördert würden vor allem Forschungs- und Infrastrukturprojekte.

Straßenbau- und Tourismusprojekte in Mitteldeutschland

Unter den Vorhaben, die mit Kohlemitteln gefördert werden sollen, befinden sich tatsächlich zahlreiche Straßenbau- und Tourismusprojekte. Südlich von Leipzig soll eine Brücke der B2 über den historischen Agra-Park beseitigt und durch einen Tunnel ersetzt werden. In Bitterfeld-Wolfen soll das Spaßbad "Woliday" mit Mitteln aus dem Kohletopf modernisiert werden. Für Bau- und Denkmalpflege im Dessau-Wörlitzer Gartenreich sollen ebenfalls Strukturfördermittel bereitgestellt werden.

Kritik daran kommt aus den Kommunen, die in unmittelbarer Nähe der Abbaugebiete liegen: Man fordert bei der Ausgabe der Kohlegelder eine stärkere Beachtung der "Kernreviere". Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle indes bewertet auch solche Maßnahmen positiv: Die Attraktivität einer Region sei eine wichtige Komponente für die weitere Entwicklung.

Energiewende: Bau von Windkraftanlagen an Land stockt

Bis 2030 sollte der Anteil erneuerbarer Energien im Stromsektor laut dem Koalitionsvertrag auf 65 Prozent gesteigert werden. Der Bau von Windkraftanlagen an Land ist jedoch zuletzt deutlich geringer ausgefallen als von der Koalition geplant.

Gründe dafür sind laut Bundesregierung eine zögerliche planungsrechtliche Ausweisung neuer Flächen und genehmigungsrechtliche Hemmnisse. Windräder an Land haben außerdem viele Gegner – oft wird gegen neue Projekte geklagt. Weite Abstandsregeln zu Siedlungen schließen viele geeignete Flächen aus.

Um die Ausbauziele zu erreichen, hält der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft bis 2030 pro Jahr rund 1.500 neue Windräder an Land für nötig. Deutschlandweit wurden 2020 aber nur rund 770 Windräder genehmigt. Ein Zahlenbeispiel für Mitteldeutschland: In Sachsen-Anhalt wurden 2015 noch 100 neue Windkraftanlagen gebaut, 2019 waren es nur 15.

Laut der Denkfabrik Agora Energiewende kann diese "Ökostromlücke" selbst durch einen stärkeren Ausbau von Photovoltaik und Windenergie auf See nicht geschlossen werden. Die Bundesregierung drohe ihr Erneuerbare-Energien-Ziel für das Jahr 2030 deutlich zu verfehlen, wenn der Zubau von Windkraftanlagen an Land weiterhin stocke.

Abschied von fossilen Brennstoffen kurbelt Stromverbrauch an

Mit dem Abschied von fossilen Brennstoffen wächst zudem der Strombedarf – etwa für Elektromobilität. Im Juli hat das Bundeswirtschaftsministerium seine Verbrauchsprognose für das Jahr 2030 erhöht. Es rechnet nun mit einem Bedarf von rund 650 Terawattstunden – statt wie bisher mit 580. Die neue Prognose bedeutet auch: Es muss noch mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt werden als bisher geplant. Die Zielmarke von 65 Prozent wird noch schwerer zu erreichen.

Bis zum Jahr 2030 sollte der Stromverbrauch im Vergleich zu 2008 um 30 Prozent sinken – das war das konkrete Ziel von Schwarz-Rot. Dazu müsste der Energiebedarf insbesondere in den Bereichen Gebäude, Industrie und Verkehr massiv verringert werden.

Energieeffizienz: Noch nicht auf Kurs

Um Strom und Wärme effizienter zu nutzen, hat die Bundesregierung eine Vielzahl an Förderprogrammen aufgelegt. Die zum Jahresbeginn 2020 eingeführte steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung etwa schaffte Anreize für mehr Energieeffizienz in Wohngebäuden. Mit der Bundesförderung für effiziente Gebäude vom Januar 2021 wurden bestehende Gebäudeförderprogramme weiterentwickelt.

Eine Tendenz zu einem geringeren Stromverbrauch gibt es indes einzig bei den privaten Haushalten. In der Industrie dagegen stagniert der Energieverbrauch – im Bereich Gewerbe, Handel, Dienstleistungen sowie vor allem im Verkehr sehen Fachleute eher einen gegenläufigen Trend. Selbst Bundesregierung räumte im Ende Juni 2021 veröffentlichten Bericht "Energieeffizienz für eine klimaneutrale Zukunft 2045" ein, dass man bei der Steigerung der Energieeffizienz "noch nicht auf Kurs" liege.

Stromtrassenbau: Viele Hürden, viele Gesetze

Der Ausbau der Stromnetze ist eines der größten Projekte der Energiewende. Er kostet viele Milliarden Euro. Laut Bundesnetzagentur sollen über 7.000 Kilometer an Leitungen gebaut oder modernisiert werden. Aber erst 1.600 Kilometer wurden bisher fertiggestellt, 730 Kilometer sind genehmigt oder im Bau, 4.700 Kilometer stecken in Planungsverfahren.

Die Große Koalition hat unter anderem mit dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) und dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) reagiert. Anfang des Jahres wurde zudem das Bundesbedarfsplangesetz geändert. Damit sollen die in vielen Fällen langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden.

Bürgerinitiativen verzögern Trassenbau

Doch an zahlreichen Orten haben sich Bürgerinitiativen gegen die Stromautobahnen gebildet. Viele zweifeln die Notwendigkeit der Leitungen an. Dazu kommen Klagen und lange Gerichtsverfahren, Streit um Standorte etwa von Konvertern und Umspannwerken. Die einen sind gegen Freileitungen, die anderen gegen Erdkabel. Dabei hatte sich die Große Koalition doch insbesondere durch die Umstellung auf Erdkabel mehr Akzeptanz für den Netzausbau erhofft.

Zudem gibt es immer wieder Streit über Trassenverläufe. Mitte Juni 2021 gab die Thüringer Landesregierung bekannt, dass sie gegen die geplante Trassenführung der Stromtrasse Südlink gerichtlich vorgehen werde. Der geplante Verlauf im Wartburgkreis und im Landkreis Schmalkalden-Meiningen verstoße gegen den "Grundsatz der Geradlinigkeit".

Unabhängig davon hatte der Übertragungsnetzbetreiber Tennet schon im Mai mitgeteilt, dass sich der Bau von Südlink sowieso verzögern werde. Mit einer Fertigstellung vor 2028 ist demzufolge nicht zu rechnen. Zuletzt räumte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel großen Druck beim Ausbau des Stromnetzes ein. Der Leitungsbau dauere lange und sei kompliziert. Trotz vielfältiger Bemühungen hat die Große Koalition ihre Ziele beim Ausbau der Stromnetze also nicht erreicht.

Kohleausstieg ist eingeleitet – Energiewende aber vor hohen Hürden

Die Bilanz der Großen Koalition in Sachen Strukturwandel und Energiewende ist also durchwachsen: Der Kohleausstieg ist seit 2020 Gesetz, für die betroffenen Regionen stehen Milliardensummen bereit. Durch Einsetzen der Kohlekommission ist es gelungen, unterschiedliche Interessen auszugleichen und einen breiten gesellschaftlichen Konsens über die Gestaltung des Kohleausstiegs herzustellen.

Allgemein

Wer hält an fossilen Brennstoffen oder Atomkraft fest? Welche erneuerbaren Energien favorisieren die Parteien? Der Klimaschutz spielt im Bundestagswahlkampf eine wichtige Rolle. Lesen Sie hier, welche Ideen CDU/CSU, SPD, AfD, FDP, Linke und die Grünen verfolgen.

CDU/CSU

Die Union will Deutschland bis 2045 zu einem "klimaneutralem Industrieland" umbauen. Sie bekennt sich zum Pariser Klimaschutzabkommen und will das 1,5-Grad-Ziel erreichen. Das werde nur gelingen, wenn sich "Investitionen und Projekte in die Dekarbonisierung sich letztlich als wirtschaftlich erweisen". Dabei will sie auf "innovative Technologien und wirtschaftliche Investitionen" setzen. Bis 2030 sollen die Treibhausemissionen im Vergleich zum Jahr 1990 um 65 Prozent gesenkt worden sein. Die Union setzt auf den Emissionshandel und will diesen zu einem europäischen ausbauen. Die Union will Klimaneutralität zu einem Wettbewerbsvorteil der hiesigen Wirtschaft machen. Investitionen in Klimatechnologien und Energieeffizienz sollen steuerlich besser absetzbar gemacht werden. CDU und CSU wollen den Ausbau der erneuerbaren Energien entscheidend voranbringen und schneller ausbauen. Zum Energiemix sollen die Energiegewinnung aus Sonne und Wind genauso wie nachhaltige Biomasse, Wasserkraft und Geothermie im ländlichen Raum gehören. Die Forschung in der Energieentwicklung soll gefördert werden, um das Land von Stromimporten unabhängig zu machen.

SPD

Die SPD will Klimaneutralität in Deutschland bis spätestens 2045. Der Strom soll bis 2040 komplett regenerativ erzeugt werden. Eine Reform der Erneuerbare-Energien-Umlage soll Stromkosten senken. Einen CO2-Preis fürs Heizen sollen Vermieter zahlen. Alle öffentlichen Gebäude und gewerblichen Neubauten sollen Solarstrom erzeugen. SPD-Ziel ist eine Solaranlage auf jedem Supermarkt, jeder Schule und jedem Rathaus. Deutschland soll bis 2030 Leitmarkt für Wasserstofftechnologien werden – für die klimaneutrale Erzeugung von Stahl, für CO2-arme Pkw, Lkw und den Schiffs- und Flugverkehr.

AfD

Die AfD lehnt die Senkung der CO2-Emissionen in Deutschland auf null und den Umbau der Industrie ab. Die AfD bezweifelt, dass die jüngste globale Erwärmung nur negative Folgen haben werde. Sie hält den Kampf gegen den Wandel indes für aussichtslos und sieht es als nicht belegt an, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Die Partei will das Pariser Klimaschutzabkommen aufkündigen und lehnt den europäischen "Green Deal" zur CO2-Reduktion ab. Sie will die Förderung von verschiedenen erneuerbaren Energien und Antrieben einstellen. Sie will weiter Braun- und Steinkohle verstromen. Zudem tritt sie für eine Rückkehr zur Atomkraft, d.h. den Neubau von Kernkraftwerken, ein.

FDP

Die FDP will Klimaschutz und Ökonomie besser verbinden. Die Energiewende soll über den Wettbewerb am Markt und Innovationen funktionieren. Gesetzlich vorgegebene Technologien und die Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) will sie stoppen. Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe sieht die FDP neben Strom als zweite Säule des künftigen Energiesystems. Statt einem Verbot von herkömmlichen Verbrennungsmotoren, will die FDP auf klimafreundliche synthetische Kraftstoffe umstellen. Auch seien Kunststoffe vielfältig einsetzbar und günstig, durch ihr geringes Gewicht werde CO2 eingespart und sie seien gut recycelbar. Zum Schutz natürlicher Lebensgrundlagen setzt die FDP auf "Bioökonomie". Als Beispiele nennt sie Klebstoffe aus Pflanzen, Smartphone-Displays aus Zucker oder T-Shirts aus Kaffeesatz. Die Liberalen bekennen sich zum Pariser Abkommen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen und zur Klimaneutralität bis 2050. Als Hauptinstrument favorisiert die FDP den CO2-Emissionshandel. Klimaschutz-Projekte in anderen Staaten etwa zur Waldaufforstung sollten auf die eigene CO2-Bilanz angerechnet werden können.

DIE LINKE

Die Linke fordert einen Kohleausstieg bis spätestens 2030. Auch ein Ausstieg aus der Verbrennung von Erdgas soll folgen. Mit einem staatlichen Transformationsfonds über 20 Milliarden Euro pro Jahr will die Linke den ökologischen Umbau, insbesondere der Autozuliefererindustrie, unterstützen. Von diesem Fonds sollen Betriebe profitieren, die Arbeitsplätze erhalten und flächendeckende Tarifverträge haben. Bis 2025 will die Partei eine Million Arbeitsplätze schaffen, die helfen sollen, Wirtschaft und Infrastruktur bis 2035 komplett klimaneutral zu machen. Den Emissionshandel lehnt die Partei ab. Umwelt- und Klimaschutz sollen als Grundrechte ins Grundgesetz aufgenommen werden. Die Linke will, dass sich der Staat aus Finanzanlagen, Investitionen und Subventionen zurückzieht, die dem Klima schaden. Die Energieversorgung soll sich am Gemeinwohl ausrichten und in Stadtwerken und Genossenschaften organisiert werden. Strom- und Wärmenetze sollen in die öffentliche Hand überführt werden. Kommunen sollen beim klimaneutralen Umbau unterstützt werden.

GRÜNE

Der Klimaschutz zieht sich bei den Grünen durch das gesamte Programm. Die Partei strebt Klimaneutralität und einen klimagerechten Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft an. In 20 Jahren soll Deutschland dem Grünen-Programm zufolge klimaneutral sein. Mit einem Klimaschutz-Sofortprogramm soll das Land wieder auf den 1,5-Grad-Pfad des Pariser Klimaschutzabkommens gebracht werden. Bis 2030 sollen in Deutschland 70 Prozent CO2 eingespart werden. Erreichen will man das auch mit einem schnelleren Kohleausstieg ebenfalls bis 2030. Zudem plant die Partei eine "CO2-Bremse" für alle Gesetze – Gesetzesvorhaben sollen also auf ihren CO2-Ausstoß hin geprüft werden. Die Vorgaben des Pariser Klimaschutzvertrages und den Atomausstieg wollen die Grünen im Grundgesetz verankern. Der nationale CO2-Preis soll angehoben werden und ab 2023 60 Euro betragen. Das Europäische Emissionshandelssystem wollen die Grünen reformieren, sodass es weniger Zertifikate auf dem Markt gibt und sich der CO2-Preis für die Industrie ebenfalls erhöht. Um die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zu entlasten und die Einnahmen aus dem CO2-Preis zurückzugeben, wollen die Grünen die EEG-Umlage senken und ein "Energiegeld" einführen. Auch mit dem Arten- und Waldsterben befasst sich das grüne Wahlprogramm. Beim Bau von Siedlungs- und Industriegebieten soll der Naturschutz grundsätzlich beachtet werden. Für Landschaftsschutzgebiete soll es einen Entwaldungsstopp geben. Wälder wollen die Grünen naturnah bewirtschaften. Fünf Prozent der Waldfläche soll gar nicht bewirtschaftet werden, um die "Urwälder von morgen" zu schaffen. Wo möglich, sollen Wälder, Flüsse, Auen und Moore renaturiert werden. Strengere Vorgaben für Tierhaltung und Pestizideinsatz sollen für sauberes Wasser sorgen. Außerdem strebt die Partei eine Reform der Abwasserabgabe und einen Verursacherfonds an, in den Wasserverschmutzer einzahlen sollen. Um die Meere zu schützen, streben die Grünen ein Ende der Öl- und Gasbohrungen in Nord- und Ostsee, sowie einen Ausstieg aus Kies- und Sandabbau an. Zur Müllvermeidung setzt die Partei auf eine "Zero Waste Strategie", ein Kreislaufwirtschaftsgesetz, ein vereinfachtes Pfandsystem sowie Pfand auf Handys, Tablets und Akkus.

In zentralen Punkten der Energiewende hat die Große Koalition ihre selbst gesteckten Ziele jedoch verfehlt: Beim Bau von Stromleitungen gibt es erhebliche Verzögerungen. Auch der Ausbau der Windkraft kommt nicht schnell genug voran. Bei Beratungen von Bund und Ländern Anfang Juni sagte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke: Wenn es so weitergehe, werde die Energiewende scheitern. Und das, obwohl die Große Koalition in diesen Bereichen bereits mehrfach Nachbesserungen vorgenommen hat.

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | artour – Sommertour Oberlausitz – "Region im Wandel" | 29. Juli 2021 | 22:10 Uhr