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In unserer Reihe "Gesagt, getan?" fragen wir nach dem Erfolg der Politik von Union und SPD in den vergangenen knapp vier Jahren. Bildrechte: MDR/dpa

Koalitionsvertrag im Check | Teil 1Geld fürs Volk: Entlastungen und soziale Wohltaten

04. August 2021, 10:00 Uhr

Als der Koalitionsvertrag 2018 geschmiedet wurde, waren die Kassen gut gefüllt. Die Regierungsparteien verabredeten zahlreiche Entlastungen und zusätzliche Sozialausgaben, die auch umgesetzt wurden: Der Soli wurde für die meisten Steuerzahler abgeschafft, die Grundrente beschlossen, die Beitragsparität bei der gesetzlichen Krankenversicherung wiederhergestellt. Einen Härtefallfonds für die DDR-Renten gibt es aber noch immer nicht.

von Frank Frenzel, MDR-Wirtschaftsredaktion

Mehr Geld für den Bürger haben Schwarz-Rot im Koalitionsvertrag versprochen – bei Steuern, Rente und sogar bei der Krankenversicherung. Denn die sollte wieder paritätisch finanziert werden – von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gleichermaßen.

Entlastung der Beschäftigten durch Wiederherstellung der Parität in der Krankenversicherung.

Koalitionsvertrag, 2018

Der Solidaritätszuschlag sollte endlich abgeschafft werden – zumindest fast. Familien sollten mehr Kindergeld, einen höheren Kinderfreibetrag oder einen Kinderzuschlag erhalten.

Bei der Rente sollte das Rentenniveau nicht weiter sinken. Vor allem Geringverdiener sollten mit der neuen Grundrente endlich bessergestellt und vor Altersarmut geschützt werden.

Wir honorieren Lebensleistung und bekämpfen Altersarmut.

Koalitionsvertrag, 2018

Der Soli ist (fast) weg!

Was wurde nicht um den "Soli" gestritten! Längst drohte er zu einer Dauersteuer zu werden, ähnlich der Sektsteuer, die 1914 zur Finanzierung des 1. Weltkrieges eingeführt wurde und über 100 Jahre später immer noch existiert. Der "Solidaritätszuschlag", 1991 zur Finanzierung der deutschen Einheit eingeführt, sollte nun endlich abgeschafft werden, zumindest teilweise.

Und die Regierungskoalition hielt Wort. Seit Januar 2021 ist der Solidaritätszuschlag für rund 90 Prozent der Lohn- und Einkommenssteuerzahler Geschichte. Nur noch Besserverdienende, Anleger, die ihren Sparerfreibetrag ausgeschöpft haben, sowie GmbHs und andere Körperschaften werden zur Kasse gebeten. Weitere 6,5 Prozent zahlen immerhin weniger. 

Aber: Der Staat kassiert auch nach der "Soli-Abschaffung" in diesem Jahr knapp zehn Milliarden Euro Soli. Das sind zwar rund zehn Milliarden Euro weniger als bisher. Es bleibt aber bei der Hälfte des Soli-Aufkommens.

Allgemein

Die "Vereinbarkeit von Familie und Beruf", eine "Baby-Begrüßungsgeld" oder das Wechselmodell für geschiedene Eltern? Lesen Sie hier, mit welchen Ideen CDU/CSU, SPD, AfD, FDP, Linke und die Grünen punkten wollen.

CDU/CSU

Familienleistungen sollen automatisiert und digital aus einer Hand kommen, Sozialbeiträge für Geringverdiener nicht steigen, die Beitragsbemessungsgrenze angehoben werden und perspektivisch auch der Steuerfreibetrag für Alleinerziehende auf 5.000 Euro steigen. Ebenso "perspektivisch" könnten Familien mit dem vollen Grundfreibetrag für Kinder und dem Einstieg in ein "Kindersplitting" gefördert werden. Das Ehegattensplitting soll aber bleiben. Das Rentenalter soll nicht weiter als bis 67 Jahre steigen, das Rentensystem jedoch nachhaltiger werden. Vorgestellt wird etwa die Idee einer "Generationenrente", in die der Staat monatlich einen Betrag pro Kind einzahlen könnte. Auch will die Union eine Altersvorsorgepflicht für alle Selbständigen, die nicht anders abgesichert sind. Die betriebliche Altersvorsorge soll so gestärkt werden, dass mehr Menschen sie nutzen. Der von der CSU geforderte Ausbau der Mütterrente steht nicht im Programm, weil die CDU das für unfinanzierbar hält. Soziale Sicherheit soll Armut verhindern und ein Leben in Würde ermöglichen. Das "Prinzip des Forderns und Förderns" will die Union erhalten. Mit ihr werde es kein bedingungsloses Grundeinkommen geben. Sie setzt auf eine Offensive zur Aus- und Weiterbildung. Für Menschen mit Behinderungen will die Union eine barrierefreie Umwelt. Ziel sei zudem ein "inklusiver erster Arbeitsmarkt" und stärkeres betriebliches Eingliederungsmanagement.

SPD

Die SPD will den Sozialstaat stärken. Sie plant Verbesserungen beim Elterngeld, eine dauerhafte Verdoppelung der Kinderkrankentage auf 20 Tage pro Elternteil sowie eine neue Familienpflegezeit mit bis zu 15 Monaten Lohnersatz bei Pflege eines Angehörigen. Eine Kindergrundsicherung soll die bisherigen Leistungen wie Kindergeld und Kinderfreibetrag ersetzen. Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen sollen steuerlich bessergestellt werden. Arbeitslosengeld soll für langjährige Einzahler länger als heute gezahlt werden. Ein Bürgergeld soll die Hartz-IV-Grundsicherung ersetzen, die Höhe ist offen. In den ersten zwei Jahren des Bezugs sollen Vermögen und der Wohnungsgröße nicht überprüft werden. Selbstständige, Beamte und Abgeordnete sollen in die gesetzliche Rente einbezogen und das Rentenniveau soll bei mindestens 48 Prozent stabilisiert werden. Den Staatsdienern wird zugesichert, "das Gesamtniveau ihrer Alterssicherung" zu erhalten. Daneben soll die betriebliche Altersversorgung ausgeweitet werden. Das Konzept Riester-Rente wird aufgegeben, stattdessen mehr auf klassische private Angebote der Altersvorsorge gesetzt. Die SPD plant ein neues standardisiertes öffentliches Angebot nach dem Vorbild Schwedens. Untere und mittlere Einkommensgruppen sollen Zuschüsse bekommen.

AfD

Die AfD definiert Familie als Vater, Mutter und Kinder. Sie will sich für eine "geburtenfördernde Familienpolitik" einsetzen. Die Partei will ein steuerliches Familiensplitting einführen, die vollständige steuerliche Absetzung von kinderbezogenen Ausgaben und die Absenkung der Mehrwertsteuer für Artikel des Kinderbedarfs auf den reduzierten Satz. Die AfD will zudem einen finanziellen Ausgleich für Eltern für die Rentenbeiträge von 20.000 Euro je Kind schaffen. Die AfD möchte damit auch Trennungen von Eltern vermeiden, da aus ihrer Sicht finanzieller Druck "oft zu instabilen Ehen und Trennungen" führen. Im Fall von Trennungen soll der Vater mehr einbezogen werden, "da die Mehrheit der Trennungskinder bei den Müttern aufwächst". Die Partei spricht sich gegen Schwangerschaftsabbrüche aus und will die Hürden dafür erhöhen. Die AfD fordert, Kinder in Kitas und Schulen noch nicht mit gewissen politischen und gesellschaftlichen Themen in Kontakt kommen zu lassen und nennt als Beispiel die Klimapolitik, Gleichstellungsbestrebungen und eine diverse Sexualaufklärung – Themen, denen die Partei kritisch oder ablehnend gegenübersteht. Die Partei will den Zugang für EU-Ausländer zum deutschen Sozialsystem beschränken. So sollen nur noch jene die Grundsicherung für Arbeitssuchende erhalten, die für einen Job nach Deutschland gekommen sind und diesen bereits "für einen angemessenen Zeitraum" ausgeübt haben. Generell will die AfD Sozialleistungen nur noch auf inländische Konten überweisen.

FDP

Die Höhe der Sozialausgaben soll grundsätzlich bei 50 Prozent des Bundeshaushalts gedeckelt werden. Zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie will die FDP Betriebskindergärten steuerlich fördern, einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung garantieren und Betreuungskosten steuerlich abzugsfähig machen. Die FDP fordert nach der Geburt eines Kindes einen "Partnerschutz" analog zum Mutterschutz für zehn Arbeitstage oder halbtägig für 20 Tage. Alleinerziehende können eine andere Person benennen, etwa Familienangehörige. Die FDP plant ein sogenanntes Kinderchancengeld. Es besteht aus einem Grundbetrag, Flexibetrag und nichtmateriellen Angeboten. Beim Elterngeld Plus soll der Rechtsanspruch um drei Partnermonate auf eine Gesamtbezugsdauer von 15 Monaten verlängert werden, auch für Alleinerziehende. Familien und Alleinerziehende will die FDP steuerlich entlasten. Am Splittingverfahren für Ehe- und eingetragene Lebenspartnerschaften hält sie fest. Steuerfinanzierte Sozialleistungen wie das ALG II, die Grundsicherung im Alter, die Hilfe zum Lebensunterhalt oder das Wohngeld sollen gebündelt werden. Das Einkommen von Jugendlichen aus ALG-II-Familien soll bis zur Höhe eines Minijobs gar nicht angerechnet werden. Die FDP will mit einem Modell "Vier Mal 1.000 Euro" Bildungs-, Sozial- und Wirtschaftspolitik verbinden: bis zu 1.000 Euro beim sogenannten Midlife-BAföG, 1.000 Euro steuerlicher Freibetrag für arbeitgeberfinanzierte Weiterbildungen, 1.000 Euro Steuerfreibetrag für Mitarbeiterkapitalbeteiligung, ein Startbonus von 1.000 Euro in der gesetzlichen Aktienrente, der mit jedem neu geborene Kind steigt sowie 1.000 Euro Sparer-Pauschbetrag. Die FDP will eine Doppelbesteuerung von Renten verhindern und die Beweislastumkehr zugunsten der Steuerpflichtigen einführen. In der Grundsicherung soll das Schonvermögen steigen, insbesondere das Altersvorsorge-Vermögen, die selbst genutzte Immobilie und das für die Erwerbstätigkeit benötigte angemessene Kraftfahrzeug.

DIE LINKE

Die Linke lehnt Kürzungen im Sozialbereich ab. Um Familie und Beruf besser zu vereinbaren, will die Linke das Elterngeld auf 12 Monate pro Elternteil (24 Monate für Alleinerziehende) verlängern und auf mindestens 400 Euro erhöhen. Der Anspruch soll bis zum siebten Lebensjahr des Kindes verlängert werden und nicht länger auf Sozialleistungen angerechnet werden. Die Linke fordert einen besonderen Kündigungsschutz für Eltern mit kleinen Kindern. Kinderkrankentage sollen verlängert werden und auch für Beschäftigte in Mini- und Midi-Jobs, Soloselbständige und Freiberufler gelten. Für alle Beschäftigten soll es ein Recht auf vorübergehende Arbeitszeitverkürzung geben. Außerdem braucht es der Linken zufolge einen Rechtsanspruch auf familiengerechte Arbeitszeiten – für alle, die Verantwortung in Erziehung und Pflege übernehmen. Die Linkspartei lehnt das Ehegattensplitting ab und setzt sich für geschlechtergerechte Steuermodelle ein. Die Linke will Kinderrechte im Grundgesetz verankern und Jugendämter mit mehr Personal ausstatten. Das Kindergeld soll auf 328 Euro monatlich erhöht werden. Außerdem will die Partei eine Kindergrundsicherung aufbauen, um Kinder- und Jugendarmut zu bekämpfen. Hartz IV soll nach dem Willen der Linkspartei abgeschafft werden. Die Partei setzt sich stattdessen ein für ein sanktionsfreies Mindesteinkommen von 1.200 Euro. Auch im Alter soll der Partei zufolge durch eine solidarische Mindestrente niemand weniger als 1.200 Euro im Monat zur Verfügung haben. Zudem will die Linke die Doppelbesteuerung der Renten abschaffen. Die Linke lehnt die Rente mit 67 ab. Der Renteneintritt soll spätestens wieder mit 65 Jahren ohne Abschläge möglich sein. Wer 40 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, soll nach Vorstellung der Linken bereits ab 60 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen können. Die Partei möchte das gesetzliche Rentenniveau außerdem bei 53 Prozent festschreiben. Die Linkspartei will, dass in Zukunft auch Abgeordnete, Freiberufliche, Selbständige, Unternehmer und Beamte nach dem Vorbild Österreichs in die gesetzliche Rente einzahlen. Die Linke setzt sich dafür ein, dass das Ost-Rentenniveau auf Westniveau steigt. Die Umrechnung der Ostgehälter bei der Rente soll erhalten bleiben, solange Lohnunterschiede zwischen Ost und West bestehen. Ausbildungszeiten sollen stärker bei der Rente anerkannt werden. Die Partei will auch Zeiten der Erwerbslosigkeit, der Kindererziehung und der Pflege stärker berücksichtigen. Die Linkspartei will kommunale Angebote gegen soziale Isolation und Einsamkeit im Alter und gemeinschaftliche Begegnungsorte fördern.

GRÜNE

Kinder und Familie nehmen einen relativ großen Anteil des Wahlprogramms ein. Im Zentrum stehen dabei die Kinderrechte, die die Grünen gern im Grundgesetz sehen würden, und Grundsicherungskonzepte, die die bestehenden Sozialleistungen ablösen sollen. Mit der "Kindergrundsicherung" streben die Grünen eine Zusammenlegung von Kindergeld, Kinderzuschlag, Sozialgeld und von Bedarfen für Bildung und Teilhabe an. Je geringer das Familieneinkommen ist, desto höher soll die Kindergrundsicherung ausfallen. Mit der "KinderZeit Plus" wollen die Grünen die Elternzeit auf 24 Monate ausweiten. Außerdem soll sie bis zum 14. Lebensjahr genommen werden können. Für den zweiten Elternteil will die Partei zusätzlich eine 14-Tage-Freistellung nach der Geburt eines Kindes. Das Kinderkrankengeld soll auf 15 Tage im Jahr pro Kind und Elternteil angehoben werden – bei Alleinerziehenden analog 30 Tage. Alle Schulkinder aus Hartz-IV-Familien (oder bei Kinderzuschlags-Bezug) sollen Laptops oder Tablets gestellt bekommen. Mit dem "Pakt für das Zusammenleben" nach französischem Vorbild sollen zwei Menschen auch ohne Ehe Verantwortung füreinander übernehmen können. Soziale Eltern sollen durch die Weiterentwicklung des sogenannten Kleinen Sorgerechts besser gestellt werden: Auf Antrag beim Jugendamt soll die elterliche Mitverantwortung auf bis zu zwei weitere Erwachsene übertragen werden können. Mit einer Reform des Abstammungsrechts wollen die Grünen dafür sorgen, dass lesbische Mütter automatisch als rechtlicher zweiter Elternteil gelten – auch ohne Adoptionsverfahren. Eine Kostenerstattung für künstliche Befruchtung soll es nach dem Willen der Partei auch für nicht-verheiratete und lesbische Paare sowie alleinstehende Frauen geben. Bisher ist sie verheirateten Paaren vorbehalten. Hartz IV wollen die Grünen abschaffen und durch eine "Grundsicherung" ersetzen. Dabei sollen die Leistungen schrittweise angehoben und individualisiert werden. Die Anrechnung von Erwerbsarbeit soll attraktiver gestaltet werden. Das Rentenniveau soll bei 48 Prozent stabilisiert werden, die Rente mit 67 beibehalten. Die bereits eingeführte Grundrente soll "repariert" und zu einer "Garantierente" weiterentwickelt werden. An die Stelle der Riester-Rente soll ein öffentlich verwalteter Bürgerfonds treten. Alle Arbeitgeber sollen eine betriebliche Altersvorsorge anbieten.

Bund der Steuerzahler: "Der Solidaritätszuschlag muss für alle weg!"

Dass der Soli von manchen also weiterhin gezahlt werden muss, kritisiert der Bund der Steuerzahler: "Der Solidaritätszuschlag muss für alle weg! Die Politik hatte den Steuerzahlern stets versprochen, dass der Zuschlag nicht dauerhaft erhoben wird."

Ohnehin habe der Bund mit dem Solidaritätszuschlag ein gutes Geschäft gemacht. Denn insgesamt hat er mehr Einnahmen über den Solidaritätszuschlag erhalten, als er für die neuen Bundesländer ausgegeben habe. Unterm Strich stehen von 2005 bis Ende 2019 Ausgaben für den Solidarpakt II in Höhe von knapp 157 Milliarden Euro den Soli-Einnahmen in Höhe von 216 Milliarden Euro gegenüber.

Doppelte Haltelinie: Für mehr Geld bei der Rente

Wer weiß, was sich hinter der "doppelten Haltelinie" verbirgt? Klingt nach Straßenverkehr, ist aber knallhartes Renten-Einmaleins, in dem es um Milliarden Euro geht und das vielen Rentnern durch höhere Renten zu Gute kommt. Es geht um das Rentenniveau, das nicht weiter sinken soll, und die Höhe der Rentenbeiträge, die nicht steigen sollen, um die jüngere Generation nicht weiter zu belasten.

Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: "Vertrauen in die langfristige Stabilität der gesetzlichen Rentenversicherung ist ein hohes Gut in unserem Sozialstaat. Deshalb werden wir die gesetzliche Rente auf heutigem Niveau von 48 Prozent bis zum Jahr 2025 absichern und bei Bedarf durch Steuermittel sicherstellen, dass der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen wird."

Ohne dieses Vorhaben hätten die Renten in den letzten Jahren weniger stark steigen dürfen. Alternativ hätte der Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung steigen müssen. Die Regierungskoalition wollte beides verhindern – und schritt schnell zur Tat. Schon am 8. Oktober 2018, ein gutes halbes Jahr nach dem Start der neuen Regierung, lag ein Gesetzentwurf vor – genau wie im Koalitionsvertrag beschrieben.

Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner, Neuerungen bei der Mütterrente

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz) sah neben dieser doppelten Haltelinie auch Verbesserungen bei der Mütterrente und den Erwerbsminderungsrenten vor. Das Gesetz trat am 1. Januar 2019 in Kraft. Die doppelte Haltelinie wurde wie geplant umgesetzt, ebenso die Verbesserungen bei den Erwerbsminderungsrenten, bei denen Neurentner nun keine Abschläge mehr wegen vorzeitigen Rentenbeginns hinnehmen mussten.

Bei der Mütterrente wurde das im Koalitionsvertrag vorgesehene Ziel jedoch nur zum Teil umgesetzt. Vorgesehen war die Beseitigung einer Ungerechtigkeit im Rentenrecht, wonach Mütter (und auch Väter) für ab 1992 geborene Kinder mehr Rentenpunkte (nämlich drei) erhalten als für Kinder, die vor 1992 geboren wurden (bislang zwei). Hier sollte es eine Angleichung, also drei Rentenpunkte für alle, geben. Aus den geplanten drei Punkten wurden dann nur 2½ – immerhin eine kleine Verbesserung. Aber immer noch eine Gerechtigkeitslücke, die im Monat etwa 17 Euro ausmacht.

Kritik von Arbeitgebern, Lob von Sozialverbänden

Viel Kritik gab es für diese Wohltaten von den Arbeitgebern. Laut der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) sind die Neuerungen "teuer, ungerecht und kurzsichtig". Vor allem die vorgesehene doppelte Haltelinie beim Rentenniveau sei "einseitig an den Interessen der Rentner orientiert", so die BDA. Die Sozialverbände begrüßen hingegen die "doppelte Haltelinie", kritisieren aber die halbherzige Umsetzung bei der Mütterrente und der Erwerbsminderungsrente.

Die neue Grundrente: Wort gehalten, aber schlecht gemacht

Die Grundrente war ein Herzensprojekt der SPD, vor allem des zuständigen Bundesministers Hubertus Heil. Von Respektrente war die Rede und von Anerkennung der Lebensleistung: "Die Lebensleistung von Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet, Kinder erzogen und Angehörige gepflegt haben, soll honoriert und ihnen ein regelmäßiges Alterseinkommen zehn Prozent oberhalb des Grundsicherungsbedarfs zugesichert werden", heißt es im Koalitionsvertrag.

Trotz oberster Priorität dauerte es bis zum 2. Juli 2020, ehe der Bundestag das Grundrentengesetz beschloss und am 1. Januar 2021 die neue Grundrente starten konnte, und auch das nur mit einer weiteren Verzögerung: Die Rentenversicherungsträger verfügten noch nicht über die notwendige Rechensoftware. So konnten die ersten Renten erst ab Juli 2021 berechnet werden; und das zunächst nur für Neurentner. Sogenannte Bestandsrentner müssen weiter warten, voraussichtlich bis Ende 2022.

Einkommens- statt Bedürftigkeitsprüfung

In zwei Punkten ging das Gesetz aber sogar über die Festlegungen im Koalitionsvertrag hinaus. Die Grundrente gibt es nun sogar schon ab 33 Versicherungsjahren mit Miniverdienst – und nicht wie zunächst vorgesehen ab 35 Jahren. Und: Statt einer Bedürftigkeitsprüfung wie bei Hartz IV, die auch Vermögen berücksichtigt, gibt es nun lediglich eine Einkommensprüfung.

Das Ganze macht die Grundrente aber auch kompliziert und bürokratisch, denn jetzt sind die Finanzämter mit im Boot: Per Datenabgleich müssen sie der Rentenkasse die Einkommen der Rentner melden. Grundlage sind die Steuerbescheide, und die hinken in der Regel ein bis zwei Jahre hinter der tatsächlichen Einkommenssituation hinterher. Das kann vor allem für Neurentner zum Problem werden, die gestern noch gearbeitet haben und mit Rentenbeginn von Minibezügen leben müssen.

Anke Voss vom Verband der Rentenberater erklärt das Problem so: "Ich bin eigentlich bedürftig, beziehe kein Arbeitsentgelt, sondern nur meine geringe Rente, habe grundsätzlich einen Anspruch auf den Grundrentenzuschlag, bekomme ihn aber nicht ausgezahlt, weil mein Einkommen aus dem vorletzten Kalenderjahr aus dem Steuerbescheid berücksichtigt wurde." Das sei absurd und laufe dem Ziel der Grundrente entgegen.

Die Bundesregierung schätzt, dass ca. 1,3 Millionen Menschen von der neuen Grundrente profitieren werden. Dafür müssen von Amts wegen Millionen Renten überprüft werden. Allein bei der Rentenversicherung Mitteldeutschland sind es 1,5 Millionen. Gerade die Einkommensprüfung kritisieren die Sozialverbände, weil dadurch viele Betroffene durchs Raster fallen.

Grundrente löst Altersarmut nicht

Verena Bentele vom Sozialverband VdK sagt dazu: "Statt der angestrebten 3,5 Millionen Berechtigten werden es am Ende wohl nur 1,3 Millionen sein, und der durchschnittliche Zuschlag wird nur etwa 70 Euro brutto betragen." Damit sei das Versprechen einer Rente über Grundsicherungsniveau nicht haltbar. Stattdessen würden die meisten weiterhin auf Grundsicherung angewiesen sein. Die Grundrente müsse verbessert und ausgebaut werden.

Und Peter Michael Zernechel vom SoVD schreibt: "Aus Sicht des SoVD widerspricht die umfassende Einkommensprüfung grundsätzlich dem Ziel, die Lebensleistung der Menschen in der Rentenversicherung anzuerkennen, die jahrzehntelang zu niedrigen Verdiensten gearbeitet, Kinder erzogen und Angehörige gepflegt haben." Insbesondere hänge die Bewertung einer Lebensleistung nicht vom Partnereinkommen ab.

Der Hauptvorwurf aber lautet: Die Grundrente ist keine wirkliche Grundrente, wie man sie in anderen Ländern wie in Schweden oder den Niederlanden kennt und die allen Menschen zusteht. Sie ist ein Zuschlag auf eine Minirente. Und lösen dürfte sie das Problem Altersarmut nicht. 

Krankenversicherung: Arbeitgeber wieder zur Hälfte dabei

Seit 1951 war es ein Kennzeichen des bundesdeutschen Sozialversicherungssystems, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Beiträge paritätisch – also je zur Hälfte – schulterten. Die eigentliche Idee der paritätischen Beitragsfinanzierung geht sogar auf Bismarck im Jahr 1883 zurück. 2005 brach ausgerechnet Rot-Grün – im Geiste der Agenda 2010 – mit diesem Grundsatz. Arbeitnehmer wurden per Gesetz verpflichtet, einen Sonderbeitrag von 0,9 Prozent zusätzlich zum allgemeinen Beitragssatz zu zahlen. Dieser diente zur Kostenbeteiligung an Zahnersatz­leistungen und Krankengeld.

Diese Ungleichheit wollten Schwarz-Rot wieder abschaffen und schrieben im Koalitionsvertrag: "Wir werden die Parität bei den Beiträgen zur Gesetzlichen Krankenversicherung wiederherstellen. Ab 1. Januar 2019 werden die Beiträge zur Krankenversicherung wieder in gleichem Maße von Arbeitgebern und Beschäftigten geleistet. Der bisherige Zusatzbeitrag wird paritätisch finanziert."

Eine klare Ansage! Und die Bundesregierung hielt Wort!

Schon im September 2018 wurde der Gesetzentwurf für das Versichertenentlastungsgesetz in den Bundestag eingebracht, im Oktober wurde es verabschiedet und damit zur paritätischen Finanzierung zurückgekehrt. Seit Januar 2019 tragen Versicherte und Arbeitgeber die Kosten wieder zu gleichen Teilen. Und wie vorgesehen müssen seitdem die Versicherten auch die zu zahlenden Zusatzbeiträge nicht mehr allein finanzieren. Mit der Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherungen wurden die Arbeitgeber auch wieder an künftigen Kostensteigerungen im Gesundheitswesen beteiligt.

Das neue Gesetz gilt ebenso für Rentner: Auch hier müssen die Rentenversicherungen wieder 50 Prozent der Krankenkassenbeiträge übernehmen.

Ein Herz für Kinder

Mehr Geld für Kinder und Familien versprach der Koalitionsvertrag, konkret 3,5 Milliarden Euro für die Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages. "Wir unterstützen Familien: Erhöhung Kindergeld um 25 Euro pro Monat und Kind und entsprechende Anpassung Kinderfreibetrag" – so nüchtern ist das Vorhaben im Koalitionsvertrag beschrieben.

Zur Bekämpfung von Kinderarmut plante die Koalition, eine Milliarde Euro bereitzustellen – für einen sogenannten Kinderzuschlag. Auch hier hielt die Koalition Wort. Ende 2018 beschloss der Bundestag zwei Familienförderungsgesetze. Das Kindergeld wurde in zwei Schritten um 25 Euro pro Monat angehoben: 10 Euro mehr ab 1. Juli 2019 und 15 Euro mehr ab Anfang 2021. Gleichzeitig wurde auch der Grundfreibetrag angehoben sowie die sogenannte kalte Progression im Einkommensteuertarif ausgeglichen.

Sozialverbände begrüßen die Regelung, kritisieren aber, dass nach wie vor das Kindergeld auf Hartz IV angerechnet werde. "Aufstockende und erwerbslose Betroffene haben von der Kindergelderhöhung folglich nichts. Hier sind Nachbesserungen nötig", urteilt etwa der Sozialverband Deutschland.

Mit dem im März 2019 vom Bundestag verabschiedeten "Starke-Familien-Gesetz" wurde auch das Vorhaben Kinderzuschlag umgesetzt. Hierzu erklärt Verena Bentele vom VdK, dass zu wenige Berechtigte ihn in Anspruch nähmen. Viele wüssten nicht, dass es ihn überhaupt gibt, oder scheiterten an der komplizierten Antragstellung. Er sei ein schwaches Instrument bei der Bekämpfung von Kinderarmut.

Harte Nuss Härtefallfonds

Seit über 30 Jahren kämpfen verschiedene Berufs- und Personengruppen um Rentenansprüche, die ihnen zwar im Einigungsvertrag zuerkannt, später bei der Überleitung der Ostrenten ins Westrecht jedoch nicht mehr berücksichtigt worden waren. Betroffen sind ehemalige Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn, der Deutschen Post der DDR, Krankenschwestern, Balletttänzerinnen, Bergleute der Braunkohleveredelung, mithelfende Ehefrauen in der Landwirtschaft, Naturwissenschaftler, bildende Künstler und vor allem die große Gruppe der in der DDR geschiedenen Frauen.

Diese letzten – aus Sicht der Betroffenen – Rentenungerechtigkeiten sollten mit Zahlungen aus einem sogenannten Härtefallfonds beglichen werden. Dafür machten sich besonders Politiker aus den neuen Bundesländern stark. Auch sogenannte Spätaussiedler und jüdische Einwanderer sollten vom Härtefallfonds profitieren.

März 2019 erste Gespräche mit Betroffenengruppen

Im März 2019 gab es erste Gespräche mit Betroffenengruppen, ein Runder Tisch, der insgesamt 17 Berufs- und Personengruppen der ehemaligen DDR vertritt, bildete sich und bis Ende 2019 schien der Härtefallfonds gut voranzukommen. Sogar Einmalzahlungen im Bereich zwischen 10.000 und 20.000 Euro wurden besprochen.

Doch dann stockte das Vorhaben, zum Teil bedingt durch die hohen Kosten der Corona-Pandemie, aber auch durch unterschiedliche Positionen innerhalb der Regierungskoalition. Während ostdeutsche Bundestagsabgeordnete vor allem der SPD eine großzügige Entschädigung für alle Betroffenen forderten, orientierten sich Regierungsvertreter klar an der Formulierung des Koalitionsvertrages. Und dort steht: "Härtefälle in der Grundsicherung".

Viele offene Fragen

Im Klartext: Es geht um Rentner, deren Renten extrem gering sind, also nahe der Grundsicherung – etwa 850 Euro im Monat. Bei den meisten Betroffenen geht es aber um Zusatzrentenansprüche, vor allem bei den großen Berufsgruppen von Post und Bahn. Diese enge Grenze führt dazu, dass von den rund 500.000 Betroffenen, die der Runde Tisch nach eigenen Angaben vertritt, gerade 2 Prozent, also nur 10.000 Ost-Rentner, mit einer Zahlung rechnen können. Viel größer ist die Gruppe der jüdischen Zuwanderer. Nach Angaben des Zentralrates der Juden in Deutschland könnten 70.000 Menschen mit einer Einmalzahlung rechnen. Völlig offen ist, wie viele Spätaussiedler Geld erwarten können.  

Ein erstes "Angebot" des federführenden Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) an den Zentralrat der Juden über Einmalzahlungen in Höhe von etwa 2.500 Euro lehnte der Zentralrat ab. Inzwischen scheint das BMAS nachgebessert zu haben. Im nächsten Bundeshaushalt sind für den Härtefallfonds eine Milliarde Euro reserviert – unter der Voraussetzung, dass sich die Bundesländer ebenfalls mit einer Milliarde Euro beteiligen, womit insgesamt zwei Milliarden Euro zur Verfügung stünden und Einmalzahlungen im fünfstelligen Bereich möglich wären.

Fazit: Umsetzungen für Betroffene oft unbefriedigend

Tatsächlich hat die Koalition sehr viele ihrer Vorhaben umgesetzt, mitunter sogar genau so, wie im Koalitionsvertrag formuliert. Dass einige Gesetze für die Betroffenen völlig unbefriedigend sind, wie z.B. bei der Grundrente, war schon an den Formulierungen im Koalitionsvertrag absehbar. Zu unterschiedlich waren hier die Vorstellungen von CDU/CSU und SPD.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL Radio | 21. Juni 2021 | 13:00 Uhr