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AfD-Spitze im PorträtAlice Weidel und Tino Chrupalla – Spagat zwischen den Flügeln

25. April 2022, 14:53 Uhr

Für die AfD gibt es als einzige Partei im Bundestag keine Machtoption. Niemand will mit ihr koalieren. Ein schlechtes Wahlergebnis hätte für Weidel wohl größere Folgen als für Chrupalla. Als Nachfolger für den Partei-"Übervater" Alexander Gauland an der Fraktionsspitze ist er ebenso gesetzt wie für einen der beiden Posten an der Parteispitze.

Alice Weidel und Tino Chrupalla sind ein ungleiches Paar. Nicht nur, weil sie aus dem tiefsten Westen kommt und er aus dem östlichsten Teil in Deutschland. Da ist auf der einen Seite die Volkswirtin mit der messerscharfen Rhetorik, auf der anderen Seite der geerdete Malermeister. Ihr Ziel ist es, die Stellung der AfD im Bundestag als stärkste Oppositionspartei zu wahren. Mehr zu gewinnen gibt es nicht. Für die AfD gibt es als einzige Partei im Bundestag keine Machtoption. Niemand will mit ihr koalieren.

Steckbrief Alice Weidel

  • Geboren: 06.02.1979 in Gütersloh (Westfalen)
  • Abitur in Versmold, anschließend Studium Volks- und Betriebswirtschaftslehre in Bayreuth mit Promotion
  • arbeitete für Unternehmen mit den Schwerpunkten Investmentbank und Vermögensverwaltung, u.a. auch sechs Jahre in China
  • 2013: Selbstständigkeit als Unternehmensberaterin für Start-ups
  • seit 2015: Mitglied im AfD-Bundesvorstand
  • 2017: AfD-Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl mit Alexander Gauland
  • seit 2017: AfD-Ko-Fraktionsvorsitzende im Bundestag
  • seit 2020: AfD-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg


Alice Weidel in Sozialen Netzwerken: Twitter | Facebook

Steckbrief Tino Chrupalla

  • Geboren: 14.04.1975 in Weißwasser
  • Mittlere Reife in Krauschwitz; Zivildienst beim Jugendring Weißwasser; Lehre zum Maler und Lackierer, später Meisterausbildung und Gründung eigener Firma
  • 1990 – 1992: Mitglied der Jungen Union
  • 2015: Eintritt in die AfD
  • 2017: Einzug als Abgeordneter in den Bundestag nach Wahlsieg gegen den damaligen sächsischen CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer im Wahlkreis Görlitz
  • seit 2019: AfD-Ko-Bundesvorsitzender mit Jörg Meuthen


Tino Chrupalla in Sozialen Netzwerken: Twitter | Facebook

Weidel und Chrupalla stehen unter Gaulands Schutz

Allerdings bewegen sich Weidel und Chrupalla dabei zwischen zwei Polen. Der eine ist Alexander Gauland. Der Übervater der AfD wird nicht wieder kandidieren, aber er war für beide der Rückhalt in Partei und Fraktion. Weidel durfte als Ko-Fraktionsvorsitzende an seiner Seite glänzen mit scharfen Reden – erst gegen die Flüchtlingspolitik, zuletzt gegen die Corona-Maßnahmen.

Tino Chrupalla wurde mit Gaulands Unterstützung Parteivorsitzender. Er verschaffte ihm die notwendige Mehrheit im offiziell aufgelösten Flügel der Partei. Dabei ist Chrupalla eher ein Vertreter des wirtschaftsliberalen Blocks in der Partei. Er ist als Handwerker aus Unzufriedenheit über die ausufernde Bürokratie in die Partei eingetreten. Damit zusammen hängt der andere Pol. Alice Weidel und Tino Chrupalla sind abhängig von Björn Höcke und seiner "Flügel"-Gefolgschaft.

Allgemein

Wie gehen CDU, AfD, Linke, SPD, die Grünen und die FDP mit dem Thema "Zuwanderung" um? Die Konzepte und Ideen der Parteien im Bundestagswahlkampf 2021 können Sie hier nachlesen.

CDU/CSU

Migration ist nach Ansicht der Union eine Chance, aber nur, wenn sie geordnet stattfindet und mit klaren Regeln, bei Fachkräften wie bei Schutzsuchenden und Geflüchteten: "Eine Zuwanderung in die Sozialsysteme lehnen wir ab." Die Zahl der nach Deutschland und Europa flüchtenden Menschen will die Union reduzieren, etwa durch Festlegung sicherer Herkunftsländer, deren Bürger nach Asylanträgen schneller zurückzuführen seien. Ausreisepflichten sollen durchgesetzt werden, auch mit Gewahrsam an Verkehrsflughäfen und Sammelabschiebungen. Straftäter will die Union konsequent abschieben und den "Druck auf Identitätstäuscher und Mitwirkungsverweigerer" erhöhen. Eine Ausweitung des Familiennachzugs wird abgelehnt. Bleiberechtsmöglichkeiten sollen stärker beschränkt, Duldungen sollen an "echte" Integration geknüpft werden. Um Menschen in ihrer Heimat oder deren Nähe mehr Perspektiven zu geben, solle die EU mit den Hauptherkunftsländern intensiver zusammenzuarbeiten und Fluchtursachen wie Armut zu bekämpfen. Wer in Deutschland lebt, soll auch mit Zuwanderungsgeschichte in allen Bereichen teilhaben können. Voraussetzung sei, dass die Menschen "unsere Werte teilen, sich an unsere Gesetze halten und unsere Sprache sprechen". Spracherwerb solle beschleunigt werden, mit zielgruppenspezifischen Angeboten. Frauen sollen gezielt und besser bei Spracherwerb und Arbeitsmarktintegration unterstützt werden. Die Anerkennung ausländischer Abschlüsse will die Union fördern, mit mehr Fokus auf Frauen.

SPD

Für eine erleichterte Integration von Migrantinnen und Migranten soll die generelle Möglichkeit von Mehrstaatlichkeit gesetzlich verankert werden. Hürden wie die geltende Regelaufenthaltsdauer von bisher acht Jahren will die SPD senken. Arbeitsverbote für Migrantinnen und Migranten lehnt die SPD ab, ebenso Abschiebungen in Länder, in denen Menschen Gefahr droht. Die Regelungen für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten sollen wieder an die für Flüchtlinge angeglichen werden. Geschwister sollen zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen nachziehen dürfen. Die SPD will eine humanitäre Asyl- und Flüchtlingspolitik in der EU. Sie strebt eine Reform des Dublin-Systems hin zu einem solidarischen Verteilungsmechanismus mit einem Recht auf Asyl an. Seenotrettung entspricht der SPD zufolge internationalem Seerecht und darf nicht kriminalisiert werden.

AfD

Die AfD setzt sich dafür ein, Migration und Asyl deutlich zu reduzieren. In puncto Asyl plädiert sie für Hilfe in den Herkunftsländern, um Fluchtursachen zu bekämpfen. Migration löse die Probleme nicht. Sie will Zuwanderung und Asyl wieder auf nationaler Ebene regeln und die deutschen Grenzen dafür sichern, um illegale Grenzübertritte zu verhindern. Asylsuchende sollen direkt an der Grenze abgewiesen werden können. Zudem will die AfD aus den UN-Migrationspakt und dem UN-Flüchtlingspakt austreten und einen EU-Flüchtlingspakt verhindern. Die AfD will nur noch Menschen Asyl gewähren, die vom Bundestag als besonders schutzbedürftig eingestuft wurden und deren kultureller und religiöser Hintergrund "mit der deutschen Werte- und Gesellschaftsordnung" vereinbar ist. Die Zahl der als sicher geltenden Herkunftsstaaten soll ausgeweitet werden. Geflüchtete sollen ihre Familien nicht nach Deutschland nachholen dürfen. Die Partei fordert, Ausreisepflichtige schneller abzuschieben. Zuständig für den Vollzug soll die Bundespolizei sein. Die AfD will die Kirchenasyl-Vereinbarung zwischen Bund und Kirchen aufheben. Sozialleistungen für Asylbewerber und Ausreisepflichtige sollen nur noch als Sachleistungen erbracht werden. Zudem erwägt die AfD, den Anspruch auf Sozialleistungen an das Erreichen guter Deutschkenntnisse zu koppeln.

FDP

Die Liberalen sehen Deutschland als Einwanderungsland – mit klaren Regeln nach eigenen Interessen sowie entsprechend humanitärer Verpflichtungen. Dazu plant die FDP ein Einwanderungsgesetz mit Kriterien zur Fachkräfteeinwanderung für Spezialisten (Blue Card) und Nichtakademiker nach Bildungsgrad, Sprachkenntnissen, Alter, Berufserfahrung und Fachkräftebedarf. Gut integrierte Schutzsuchende sollen die Chance zur Einwanderung in den Arbeitsmarkt erhalten. Wer einer Erwerbstätigkeit nachgeht oder in Ausbildung oder Studium ist, sollte nicht ausgewiesen werden. Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte ist aus FDP-Sicht unantastbar, es umfasst auch religiöse Gründe und die sexuelle Identität. Die FDP unterscheidet zwischen politisch Verfolgten, Kriegsflüchtlingen und dauerhaften Einwanderern. Für Kriegsflüchtlinge etwa soll der Schutzstatus auf die Dauer des Krieges begrenzt sein. Die EU-Staaten sollen nach Vorstellung der FDP Geflüchtete nach Quote aufteilen, unwillige Länder müssten finanziell sanktioniert werden. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex soll auf 10.000 Einsatzkräfte aufgestockt werden.

DIE LINKE

Die Linke fordert, Seenotrettung und die Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen einzuhalten, müsse selbstverständlich sein. Die Partei will Fluchtursachen bekämpfen und Lager evakuieren, in denen Geflüchtete unter unmenschlichen Bedingungen leben. Menschen aus Kriegsgebieten müssten bei einer legalen und sicheren Möglichkeit zur Flucht unterstützt werden. Außerdem spricht sich die Linke für ein Bleiberecht für alle aus.

GRÜNE

Die Grünen sehen Deutschland als "vielfältige Einwanderungsgesellschaft". Sie fordern ein Einwanderungsgesetz mit neuen Zugangswegen für Bildungs- und Arbeitsmigration. Einwanderung über Stipendien und Ausbildungsvisa soll erleichtert werden, genau wie die Voraussetzungen für eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen. Alle neu ankommenden Migrantinnen und Migranten sollen ein Recht auf kostenlose Sprach- und Integrationskurse bekommen. Weiter wollen die Grünen eine dezentrale Unterbringung von Migranten in eigenen Wohnungen und dass sie Zugang zu Gesundheits- und Sozialleistungen, zu Kitas, Ausbildung und Arbeit sowie die Möglichkeit der Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben erhalten. Betriebe, die Geflüchtete ausbilden oder beschäftigen, sollen gefördert werden. Asylverfahren sollen reformiert werden und Geflüchtete mehr Rechte bekommen. Die Grünen lehnen Abschiebungen in Kriegs- und Krisenländer ab und wollen den Abschiebestopp nach Syrien und Afghanistan bundesweit wiedereinsetzen.

Wahlprogramm fordert deutschen EU-Austritt

Schon mit dem von Höcke geprägten Wahlprogramm haben sie eine schwere Last durch den Wahlkampf zu tragen. Der Austritt aus der Europäischen Union könnte Wähler eher abschrecken als gewinnen. Das Beispiel Großbritannien ist weit weg, und ob man da nun an der Fähre den Pass zeigen muss, ist sicher vielen egal. Aber wieder Schlagbäume und Zollschranken nach Frankreich, Österreich oder Dänemark, wo die Deutschen so gern hinreisen, das könnte kein Gewinnerthema sein. Schon in der Corona-Pandemie fand die totale Ablehnung aller Schutzmaßnahmen und ohne Alternativen anzubieten keinen übermäßigen Zuspruch. Selbst Alice Weidel kritisierte diese Strategie.

Illegale Parteispenden schwächen Weidels Position

Doch Weidel kann nicht zu aufmüpfig sein. Sie hat illegale Parteispenden angenommen und dafür muss ihre Partei wahrscheinlich mit einem sechsstelligen Betrag haften. Noch läuft das Verfahren, aber die bisherigen Urteile sind eindeutig. Und es ist unklar, ob sich das Problem mit illegalen Parteispenden nicht noch ausweiten könnte. Die ehemalige Parteivorsitzende Frauke Petry hinterlegte bei der Bundestagsverwaltung angebliche Beweise für weitere illegale Geldzahlungen an Spitzenpolitiker der Partei, unter anderem an den aktuellen Parteivorsitzenden Jörg Meuthen. Im Wahlkampf könnte ein Spendenskandal die Partei, die so sehr auf Recht und Gesetz pocht, Vertrauen bei den Wählern kosten.

Das Problem des Spitzenduos ist die Zerstrittenheit der AfD, besonders in den westdeutschen Landesverbänden. In Ostdeutschland dominiert der "Flügel" mit rechtsextremen Auswüchsen die Partei. Auch im Westen übernimmt er immer mehr die Macht, aber es gibt noch heftige Auseinandersetzungen zwischen den verbliebenen wirtschaftsliberalen Anhängern und denen des Flügels. Der Konflikt und die gegenseitige Blockade gefährdeten zum Beispiel in Niedersachsen lange Zeit das Antreten zur Bundestagswahl mit einer rechtmäßigen Landesliste. Um ein gutes Wahlergebnis nicht zu gefährden, scheint es jetzt eine Art Burgfrieden zu geben.

Der Flügel dominiert die Partei

Weidel und Chrupalla versuchen, den Einfluss von Rechtsextremen und auch die Beobachtung des Flügels und der ostdeutschen Verbände durch den Verfassungsschutz klein zu reden oder zu ignorieren. In Ostdeutschland scheint das der Partei kaum zu schaden, obwohl man bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt auch einige Prozente verlor. In Westdeutschland scheint das eher ein Problem zu sein. Da gab es deutliche Einbrüche bei den Wahlen im März, vor allem in Baden-Württemberg. Auch das schadete Weidel. Sie ist dort seit 2020 Landesvorsitzende.

Zukunft des Spitzenduos hängt vom Wahlergebnis ab

Sollte auch das Ergebnis bei der Bundestagswahl deutlich geringer ausfallen als bei der Wahl 2017, wäre es eher ein Problem für Alice Weidel als für Tino Chrupalla. Zu ihm als Parteivorsitzenden neben Meuthen gibt es für die ostdeutschen Verbände keine Alternative. Nur, wenn Björn Höcke versuchen würde, beim Parteitag im Herbst die Macht in der AfD zu übernehmen, könnte es für ihn eng werden. Aber als Vorsitzender der neuen AfD-Fraktion im Bundestag ist Chrupalla gesetzt.

Anders Alice Weidel. Sie müsste dann um ihre Wiederwahl als Fraktionsvorsitzende kämpfen. Die AfD kennt keine Frauenquoten und keine paritätische Besetzung von Spitzenämtern. Frauen bilden eher eine kleine Minderheit in der Partei und auch in der zukünftigen Fraktion. Mehrere Landesverbände haben nur Männer als Kandidaten für den Bundestag aufgestellt. Für die AfD ist dieser Zustand, glaubt man ihrem Wahlslogan, "Deutschland, aber normal".

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