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Die Linke und ihre Spitzenkandidaten im PorträtJanine Wissler und Dietmar Bartsch – die Revolutionärin und der Reformer

06. September 2021, 10:00 Uhr

Janine Wissler ist eher kein Fan von politischen Kompromissen, für Dietmar Bartsch wäre ein Ministeramt aber wohl die Vollendung der politischen Karriere. Das ungleiche Paar hat mit innerparteilichen Querelen und einer Vielzahl von Milieus in der eigenen Partei zu tun. Können sie den Laden zusammenhalten? Ein gutes Wahlergebnis wäre für beide eminent wichtig.

Ein Ministeramt wäre für Dietmar Bartsch wohl die Vollendung seiner politischen Karriere. Seit gut dreißig Jahren bestimmt er die Strategie der Linken in Deutschland mit, erst der PDS und dann der Linkspartei. Neben Gregor Gysi hat es seine Partei vor allem ihm zu verdanken, dass die PDS nach und nach das Image des politischen Schmuddelkindes als SED-Nachfolgepartei absteifen konnte und von der politischen Konkurrenz als Mitbewerber akzeptiert wird. Möglicherweise würde er seinen Weg gern als Arbeits- oder Familienminister krönen. Sein Kampf gegen die Kinderarmut in Deutschland ist ihm eine Mission, nicht nur ein politischer Schachzug. Aber der Traum scheint ein Traum zu bleiben.

Steckbrief Janine Wissler

  • Geboren: 23.05.1981 in Langen (Hessen)
  • Abitur in Dreieich; Studium der Politikwissenschaften in Frankfurt, Abschluss als Diplom-Politologin; währenddessen zeitweise Fachverkäuferin in einem Baumarkt
  • seit 2008: Linke-Landtagsabgeordnete in Hessen
  • seit 2009: Linke-Ko-Fraktionsvorsitzende in Hessen
  • 2012 und 2018: Kandidatur für das Oberbürgermeisteramt in Frankfurt/Main
  • seit Februar 2021: Linke-Ko-Bundesparteivorsitzende mit der Thüringer Landesvorsitzenden Hennig-Wellsow


Janine Wissler in Sozialen Netzwerken: Twitter | Facebook

Steckbrief Dietmar Bartsch

  • Geboren: 31.03.1958 in Stralsund
  • Abitur in Franzburg, Grundwehrdienst bei der NVA, Studium zum Grad des Diplomwirtschaftswissenschaftlers in Berlin, promovierte in Moskau
  • 1977: Eintritt in die SED
  • 1989: Mitgründer der AG Junge GenossInnen in der SED-PDS
  • 1990 – 1991: Geschäftsführer des Verlags "Junge Welt"
  • 2004 – 2005 Geschäftsführer der Zeitung "Neues Deutschland"
  • 1991 – 1997: PDS-Bundesschatzmeister
  • 1997 – 2002: PDS-Bundesgeschäftsführer
  • 2005 – 2007: Linkspartei.PDS-Bundesgeschäftsführer
  • 2007 – 2010: Linke-Bundesgeschäftsführer
  • 2010 – 2015: stellv. Linke-Fraktionsvorsitzender im Bundestag
  • seit 2015 Linke-Ko-Fraktionsvorsitzender im Bundestag


Dietmar Bartsch in Sozialen Netzwerken: Twitter | Facebook

Pro oder contra Regierungsbeteiligung der Linken?

Das liegt nicht nur an den Umfragen, sondern vor allem an der eigenen Partei. Schon seine Partnerin im Spitzenduo, Janine Wissler, ist nicht unbedingt ein Fan vom Regieren – oder wenigstens von einer notwendigen Grundtugend dafür, nämlich dem politischen Kompromiss. Aber auch Wissler hat wesentlich zu einer gewachsenen gesamtdeutschen Akzeptanz der Linkspartei beigetragen. Unter ihrer Führung ist die Partei viermal in den Landtag des westdeutschen Flächenlands Hessen eingezogen. Für viele andere westdeutsche Landesverbände der Linkspartei ist das weiter ein unerreichbarer Traum. Nur in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg sowie – durch die Präsenz Oskar Lafontaines – im Saarland kann man auf ähnliche Erfolge schauen. Aber in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen ist die Linkspartei weiterhin weit weg vom Einzug in den Landtag.

Allgemein

Wie schafft man günstigen und attraktiven Wohnraum für alle? Wie werden ländliche Regionen wieder lebendiger? Erfahren Sie hier, mit welchen Ideen die Parteien im Wahlkampf zum Thema "Wohnen" antreten.

CDU/CSU

Die Union will bis 2025 über 1,5 Millionen neue Wohnungen bauen. Dabei setzen CDU und CSU auf die Wirtschaft und lehnen einen Mietendeckel ab. Ebenso setzt sich die Union für die Förderung von Wohneigentum und Einfamilienhäuser für Familien ein. Dafür soll es steuerliche Vergünstigungen und Förderungen geben. Kommunen sollen Bauland flexibler ausweisen können, den Flächenverbrauch aber gering halten. Generell gelte es, barrierefrei zu bauen, sozialen Wohnungsbau zu fördern und Investitionen in altersgerechten und barrierefreien Umbau – insbesondere über KfW-Programme. Klimaziele seien nur mit energetischer Sanierung zu erreichen. Das soll steuerlich gefördert werden. Mieter seien vor finanzieller Überlastung aber zu schützen und hier Wohnungsbaugesellschaften in die Pflicht zu nehmen.

SPD

Bei Wohnungsknappheit sollen die Mieten nur noch mit der Inflation steigen dürfen. Es sollen jährlich 100.000 Sozialwohnungen entstehen. Bei der Förderung von Wohneigentum soll auch der Kauf von leeren Häusern in Ortskernen unterstützt werden. Die nach zehn Jahren greifende Steuerfreiheit für Verkaufsgewinne nicht selbst genutzter Grundstücke will die SPD abschaffen. Insbesondere jungen Familien soll der Weg von Wohneigentum und in angespannten Wohnlagen den Erwerb von Genossenschaftsanteilen erleichtert werden. Kommunen sollen über Bodenfonds unter Einbeziehung bundeseigener Grundstücke ein Instrument für die nachhaltige Stadtentwicklung und bezahlbaren Wohnungsbau bekommen.

AfD

Die AfD will Wohnraum durch die Herabsetzung geltender Standards schneller entstehen lassen. Die Ausweisung von Bauland soll schneller gehen und die Baukosten durch die Streichung von Energiesparvorgaben und die Reduktion von Brand-, Wärme- und Schallschutz auf ein "notwendiges Mindestmaß" gesenkt werden. Die Partei will die Grunderwerbssteuer auf selbstgenutzte Wohnimmobilien streichen und das Schaffen von Wohneigentum fördern. Ausländischen Investoren, deren Hauptwohnsitz außerhalb von Deutschland liegt, soll der Erwerb von Immobilien in Deutschland durch die Erhöhung der Grunderwerbssteuer auf 20 Prozent deutlich erschwert werden. Die AfD hält den sozialen Wohnungsbau für gescheitert und fordert stattdessen, einkommensschwache Mieter mit mehr Wohngeld zu unterstützen, was eine soziale Durchmischung gewährleisten soll. Eine Mietpreisbremse oder den Mietendeckel lehnt die Partei ab.

FDP

Um Investitionen in den Wohnungsbau zu fördern, soll die lineare Abschreibung von zwei auf drei Prozent erhöht werden. Die FDP will die Mietpreisbremse abschaffen und einen bundesweiten Mietendeckel verhindern. Digitale Bauanträge, teilautomatisierte Baugenehmigungsverfahren sowie modulares Bauen sollen den Wohnungsbau ankurbeln. Bürgerinnen und Bürger soll der Erwerb von selbst genutztem Wohneigentum erleichtert werden, mit einem Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer von bis zu 500.000 Euro. Die missbräuchliche Umgehung der Grunderwerbsteuer durch Investoren mittels sogenannter Share Deals will die FDP gesetzlich unterbinden. Zahlungsschwache Wohnungssuchende sollen mithilfe des Wohngelds leichter Zugang zum freien Markt erhalten. Bleibt dort die Suche erfolglos, soll die Berechtigung für eine Sozialwohnung erteilt werden.

DIE LINKE

Den teils deutlichen Anstieg der Mieten will die Linkspartei mit einem bundesweiten Mietendeckel bekämpfen. Auch Bodenpreise sollen gedeckelt werden. Außerdem soll die Spekulation mit Wohnungen abgeschafft und besonders hohe Mieten gesenkt werden. Immobilienkonzerne gehören nach Ansicht der Linken zu den Krisengewinnern. Sie sollen daher "überdurchschnittlich an den Kosten beteiligt werden". Die Partei will eine einmalige Sonderabgabe auf Immobilienerträge erheben, die Konzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen treffen soll. Immobilienkonzerne will die Partei auch von der Börse nehmen und in die öffentliche Hand überführen. Immobilien- und Hedgefonds soll die Zulassung entzogen werden. Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen soll weitgehend verboten werden. Zudem soll ein neues Mitbestimmungsrecht für Mieter geschaffen werden. Die Kündigung von Gewerbemietverträgen soll eingeschränkt werden. Das Wohngeld soll erhöht und umgebaut werden. Die Linkspartei will sich für ein Recht auf energetisch sanierten Wohnraum einsetzen. Die Linke will in bezahlbares Wohnen investieren und jedes Jahr mindestens 250.000 zusätzliche Sozialwohnungen schaffen. Dafür will die Partei den Kommunen Investitionsmittel von 15 Milliarden jährlich zur Verfügung stellen. Diese sollen damit den kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbau ankurbeln, und auch in den vorhandenen Wohnungsbestand energetisch und energieeffizient investieren. Ehemalige Kasernen sollen auf Wunsch der Linken in Sozialwohnungen umgewandelt werden. Den Energiebedarf sollen Gebäude perspektivisch durch regenerative Energie decken. Die zentrale Rolle spielt für die Linke dabei die Wärmepumpe. Der Einbau fossiler Heizungen soll gestoppt werden. Die Partei will zudem die Nutzung von Erdwärmeanlagen möglich machen.

GRÜNE

Auch beim Thema Bauen und Wohnen dominiert bei den Grünen der Klimaschutz: Alle Neubauten und umfassenden Sanierungen sollen klimaneutral erfolgen, die Sanierungsquote soll deutlich erhöht werden. Die Partei plant ein Investitionsprogramm für zwei Millionen Wärmepumpen bis 2025. Dabei sollen sich Vermieter, Staat und Mieter die Kosten für klimafreundliche Modernisierungen teilen. Empfänger von Wohngeld sollen ein "Klimawohngeld" als Zuschuss bekommen, damit sie in klimafreundliche Wohnungen ziehen können. Eigenheimbesitzer sollen Steuervergünstigungen erhalten. Städte sollen besser gegen Hitzewellen gewappnet werden – mit mehr Stadtgrün, Fassadenbegrünung und Trinkbrunnen. Ein "Recht auf Wohnen" wollen die Grünen ins Grundgesetz aufnehmen. Dazu soll ein "Nationales Aktionsprogramm" gegen Obdach- und Wohnungslosigkeit aufgelegt und eine Million zusätzliche, günstige Mietwohnungen in Ballungsräumen gebaut werden. Außerdem wollen die Grünen den Bestand an Sozialwohnungen erhöhen. Wer wegen krisenbedingter Einkommensausfälle mit der Miete in Rückstand gerät, soll über die KfW-Bank mit einem "Sicher-Wohnen-Fond" unterstützt werden, um Zwangsräumungen zu vermeiden. Mietpreisbremsen sollen entfristet und verschärft und reguläre Mieterhöhungen begrenzt werden. Die Grünen fordern ein Verbot von Spekulation mit Bauland und die Umwandlung der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in einen gemeinnützigen Bodenfonds. Die Partei will außerdem den Erwerb von Wohneigentum erleichtern.

Wissler verhandelte als Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag auch zweimal mit SPD und Grünen über eine Koalition und scheiterte dabei an den politischen Partnern. Aber auf Bundesebene geht es nicht nur um die Finanzierung von Schulen oder Wirtschaftsförderung, sondern auch um Verteidigungs- und Außenpolitik. Da zieht Janine Wissler, anders als Dietmar Bartsch, klare rote Linien als Stoppschild: keine Auslandseinsätze, Stopp von Rüstungsexporten, möglicher Austritt aus der Nato.

Bartsch hofft dagegen auf eine gewisse Beinfreiheit, sollte es wirklich eine Chance für ein Bündnis mit Grünen und SPD auf Bundesebene geben. Zum Beispiel ein Ja zu UN-Friedensmissionen. Wo sich beide einig sind: Die Linke muss zu ihrer Kernkompetenz, dem Kampf um soziale Gerechtigkeit, zurückkehren. Für beide geht Klimaschutz nur mit einer deutlichen sozialen Komponente, die das Thema nicht zu einem "Elitenprojekt" macht.

Querelen um Sarah Wagenknecht erschweren Wahlkampf

Erschwert wird die Mission von Bartsch und Wissler durch parteiinterne Querelen. Besonders die Auseinandersetzungen um Sahra Wagenknecht und ihre Kritik an der eigenen Partei überlagern den Wahlkampf der Linkspartei. Es wird mehr über das Ausschlussverfahren gegen Wagenknecht berichtet als über die Ziele der Partei – wie eine Mindestrente, ein Mindesteinkommen für Arbeitslose von 1.200 Euro oder einen Mindestlohn von 13 Euro.

Vor allem ältere Genossinnen und Genossen in Ostdeutschland sind über die Attacken gegen Wagenknecht erbost. Bartsch soll deshalb dort gerade die Gemüter beruhigen und die alten Hochburgen, wenn nicht zurückerobern, so doch wenigstens etwas vom verlorenen politischen Terrain zurückgewinnen. Dabei setzt er auf das Ost-West-Thema, also die Benachteiligung der Ostdeutschen bei Posten, Gehalt und Rente. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt vor wenigen Wochen, wo sich Bartsch sehr stark im Wahlkampf engagierte, hat das allerdings nicht so gut funktioniert wie früher. Vielleicht gibt es einen Abnutzungseffekt.

Wissler wiederum soll mehr im Westen auf Stimmenfang gehen. Dort vertreten viele in der Mitgliedschaft noch die reine Lehre und setzen auf Klassenkampf. Wissler selbst stammt als Mitglied der trotzkistischen Gruppe "Marx21" aus dieser Klientel.

Abschneiden bei den Wahlen entscheidet Zukunft der Partei

Für beide, Wissler wie Bartsch, ist die Wahl eine Bewährungsprobe. Derzeitig pendeln die Umfragen zwischen 6 und 7 Prozent. Mit einem wesentlich schlechteren Ergebnis als 2017 (damals erreichte die Linkspartei 9,2 Prozent) oder sogar einem Ausscheiden aus dem Bundestag wäre die politische Karriere von Dietmar Bartsch wohl beendet, Janine Wissler als neue Parteivorsitzende schwer angeschlagen. Den Traum von einer Regierungsbeteiligung neben SPD und Grünen hat selbst Dietmar Bartsch wahrscheinlich weitgehend ausgeträumt.

Da gäbe es nur eine Chance, nämlich wenn das Ergebnis der Linkspartei reicht, um die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, zur Kanzlerin zu wählen. Danach sieht es nicht aus. Ansonsten gibt es weniger Schnittmengen mit den Grünen als mit der SPD, gerade in der Außenpolitik. Der Traum von Dietmar Bartsch vom Ministeramt bleibt also wohl unerfüllt. Vielmehr geht es sowohl für das Spitzenduo als auch für die Partei um alles oder nichts.

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