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Interviewreihe zur ThüringenwahlThüringens Grünen-Spitzenkandidaten im Faktencheck

16. September 2019, 05:00 Uhr

Bei MDR AKTUELL beziehen die Spitzenkandidaten der Thüringen-Wahl Stellung. Die beiden Grünen-Kandidaten Anja Siegesmund und Dirk Adams sprachen sich im Interview für mehr öffentlichen Nahverkehrs aus, um CO2 einzusparen. Außerdem ging es um die Landwirtschaft und die Nutzung von Glyphosat sowie Denkanstöße der Grünen.

"Der ÖPNV ist der beste Faktor für den Klimaschutz"

Im Radiointerview sprach sich Anja Siegesmund dafür aus, den öffentlichen Nahverkehr deutlich auszubauen und auch die kleineren Ortschaften rund um die Städte besser an den ÖPNV anzubinden.  Das Argument der Grünen: Eine gut ausgebaute öffentliche Mobilitätsstruktur sei der beste Faktor für den Klimaschutz.

Geht man davon aus, dass jeder, der auf den Bus umsteigt, ansonsten allein mit seinem Auto fahren würde, lässt sich nach Berechnungen des Instituts für Energie- und Umweltforschung der CO2-Ausstoß pro Person um etwa ein Drittel reduzieren. Anders steht es, wenn die Menschen Fahrgemeinschaften bilden: Ein vollbesetzter PKW stößt pro Person weniger CO2 aus als der ÖPNV durchschnittlich pro Fahrgast.

Zum zweiten Teil der Aussagen: "der beste Faktor für den Klimaschutz". Tatsächlich ist der Verkehr in Deutschland laut Umweltbundesamt mit 165 Millionen Tonnen CO2 jährlich nur auf Platz drei der größten CO2-Verursacher in Deutschland. Auf Platz eins liegt die Energiegewinnung, auf Platz zwei die Industrie.

Fakt ist aber, dass die Bürger beim Verkehr die beste Möglichkeit haben, mit ihrem Verhalten direkt den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Denn das größte Problem hier ist der Individualverkehr auf den Straßen. Zusammen mit der Industrie und der Energiegewinnung macht der Verkehr 80 Prozent des CO2-Ausstoßes in Deutschland aus. Somit wäre ein gut ausgebauter ÖPNV, am besten mit umweltfreundlichen Antrieben, ein vielversprechender Faktor für den Klimaschutz.

Forderung nach S-Bahn-Takt

Die Grünen Spitzenkandidaten sprachen sich für einen S-Bahn-Takt für Erfurt und Jena aus. Aktuell fährt dort bereits eine S-Bahn, allerdings nicht in einem Takt. Ein solcher soll regelmäßige und praktische Anschlusszeiten zwischen verschiedenen Linien ermöglichen. Somit werden Wartezeiten verkürzt und der Öffentliche Nahverkehr damit attraktiver.

Die Idee eines Takts ist nicht neu. Bereits 2012 sprach sich die Beraterfirma Roland Berger Strategy Consultants für einen S-Bahn-Verkehr mit 20-Minuten-Takt zwischen Erfurt, Weimar und Jena aus. Auch beim Nahverkehrsportal "LiniePlus", bei dem Interessierte Vorschläge für den Nahverkehr machen können, wurde bereits 2017 eine Neuordnung des Thüringer S-Bahnverkehrs gefordert.

"Bauern sehen in Nitratdünger und Glyphosat auch keine Zukunft"

Anja Siegesmund sagte, dass sie im Gespräch mit Thüringer Landwirten erfahren habe, dass diese angesichts der zunehmenden Trockenheit nicht auf Mineraldünger (Nitrat-, also Stickstoffdünger, ist eine Art von Mineraldünger) und Glyphosat setzen wollen würden. Dieser Darstellung widerspricht der Landesbauernverband vehement.

Insbesondere für immer trockener werdende Böden sei eine bodenschonende Bearbeitung notwendig, die durch den Einsatz von Glyphosat ermöglicht werde. Dadurch werde erreicht, die Verdunstung der Bodenwasservorräte so gering wie möglich zu halten. Würden die Bauern kein Glyphosat nutzen, müssten sie den Boden mechanisch pflügen. Das führe aber zu einer starken Austrocknung des Oberbodens. Etwa 10 Liter Wasser pro Quadratmeter gingen dem Boden so verloren.

Auch der Einsatz von Mineraldünger ist laut Landesbauernverband zukünftig für die Landwirtschaft unerlässlich, da durch den drastischen Rückgang der Tierbestände in Thüringen organische Dünger wie Gülle und Mist nicht ausreichen würden, um die Fruchtbarkeit der Böden zu erhalten.

Anja Siegesmund führt den Einsatz von Mineraldünger und Glyphosat auch auf die verringerte Personalzahl zurück. Sie berichtet von einer Agrargenossenschaft, "die hat mal mit 400 Leuten produziert, jetzt sind es noch acht und dann bleibt denen eigentlich gar nichts anderes übrig, als chemisch zu pflügen".

Der Landesbauernverband sieht hier keine Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. Der Landwirt entscheide je nach Standort und Bodenbeschaffenheit, welches Verfahren er einsetze. Die vereinfachte Sichtweise von Anja Siegesmund werde der Komplexität nicht gerecht.

Unter anderem habe der technische Fortschritt mit größeren und schnelleren Landmaschinen die Produktivitätssteigerung und die Personalverringerung möglich gemacht. Der Produktivitätsfortschritt in Bodenbearbeitung und Getreideproduktion sei mit und ohne Glyphosat der Gleiche, so der Thüringer Landesbauernverband.

"Derzeitiges Subventionssystem ermöglicht keine naturnahe Landwirtschaft"

Anja Siegesmund sagte im Interview, das derzeitige Subventionssystem zwinge Landwirte, auf Masse statt Klasse zu setzen. Die Chance, naturnahe Landwirtschaft zu betreiben, bestehe so nicht.

Dem kann sich der Nabu anschließen. 78 Prozent der EU-Agrarsubventionen, die Deutschland erhalte, fließe pauschal als sogenannte Direktzahlungen (je mehr Fläche, desto mehr Subventionen) an die landwirtschaftlichen Betriebe. So werde ein intensives System von "Masse statt Klasse" gefördert. Das aktuelle System sei nicht in der Lage, Umweltschäden wie den Verlust der Artenvielfalt oder die hohe Nitratbelastung des Grundwassers zu verhindern. Gezielte Agrarumweltmaßnahmen würden nur mit einem Bruchteil der gesamten Agrarsubventionen gefördert - der Naturschutz bleibe auf der Strecke.

Hochwasserschutz: "Wir geben den Flüssen wieder mehr Raum"

Siegesmund sagte, heute sei man deutlich besser auf Extremwetterlagen und Hochwasser eingestellt als noch vor fünf Jahren. Man gebe den Flüssen wieder mehr Raum. Tatsächlich hat das Land Thüringen viel Geld in den Hochwasserschutz investiert, 25 Prozent der Baumaßnahmen sind nach Angaben des Gewässerbeirats des Umweltministeriums bereits abgeschlossen, weitere 50 Prozent der 211 Maßnahmen in Trägerschaft des Landes sind im Bau oder in der Planung. 25 Prozent der Projekte wurden noch nicht begonnen.

Ein großes Projekt, in dem einem Fluss mehr Raum gegeben wurde 2016/2017 an der Hörsel in Stedtfeld umgesetzt. Für 10 Millionen Euro wurde der Deich rückversetzt. Es entstanden größere Marschflächen, außerdem schlängelt sich der Fluss nun wieder deutlicher durch den Ort.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 15. September 2019 | 08:00 Uhr

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