Wirtschaftliche Abhängigkeit Ostdeutschland bisher weniger im Fokus chinesischer Investitionen
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04. November 2022, 17:47 Uhr
China ist ein bedeutender Lieferant von Rohstoffen und Vorprodukten und gleichzeitig ein großer Abnehmer deutscher Exporte. Aufgrund der wirtschaftlichen Verbindungen hängen eine Million Arbeitsplätze in Deutschland direkt an China. Begibt sich Deutschland in eine wirtschaftliche Abhängigkeit? Eine Recherche zeigt: Die Gefahr ist durchaus vorhanden, doch Ostdeutschland scheint weniger betroffen.
Schon heute ist Deutschland in einigen Bereichen der Wirtschaft massiv abhängig von China. "Klumpenrisiken" nennt das der China-Experte Tim Rühlig von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Damit meint er zum Beispiel die Autoindustrie, für die China ein wichtiger Absatzmarkt ist. Jedes dritte deutsche Auto wird dort verkauft. Gleichzeitig ist China Lieferant von Rohstoffen und Vorprodukten. Eine Millionen Arbeitsplätze in Deutschland hängen direkt am Riesenreich in Asien, schätzen Experten. Durch die engen Verzahnungen der Wirtschaftsräume sind es aber wahrscheinlich indirekt noch mehr.
Russland ist der Sturm, China ist der Klimawandel.
Die große Angst vieler Beobachter ist jetzt, dass China seinen Einfluss in Deutschland in einem Krisenfall ausnutzen könnte. Etwa, wenn es zu einem bewaffneten Konflikt mit Taiwan kommen sollte.
Welche Auswirkungen ein Krieg für Deutschland haben kann, ist seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine deutlich zu spüren. "Russland ist der Sturm, China ist der Klimawandel", sagte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang vor diesem Hintergrund Mitte Oktober.
Chinesisches Interesse im Westen stärker
In Teilbereichen der Wirtschaft sei die Abhängigkeit Deutschlands schon heute riesig, erläutert Rühlig: "Wir können davon ausgehen, dass die Hälfte bis zwei Drittel der kritischen mobilen Infrastruktur von China geliefert wird. Also Abhängigkeiten, wenn es um die kritische Infrastruktur im Mobilfunk geht, sind jetzt schon dramatisch."
Dabei scheint der Einfluss Chinas unterschiedlich verteilt. "Insgesamt sind natürlich traditionell wirtschaftlich besonders starke Bundesländer stets attraktiv für weitere Ansiedlungen", heißt es von der deutschen Außenhandelsgesellschaft "Germany Trade & Invest" (GTAI). Heißt übersetzt: Chinesische Firmen interessieren sich vor allem für Technologieführer und starke mittelständische Unternehmen. Und die sitzen verstärkt im Westen.
"Nichtsdestotrotz zeigt das Beispiel des chinesischen Konzerns CATL in Thüringen, dass auch im Osten große Industrieansiedlungen durch chinesische Firmen erfolgen", heißt es von der GTAI. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2008 zeigte, dass alleine in Hessen 1.008 Unternehmen mit chinesischen Mehrheitseigentümern ansässigen waren. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen waren es zu diesem Zeitpunkt zusammen nur 157.
Kaum chinesische Übernahmen in Sachsen und Thüringen
Von der Sächsischen Wirtschaftsförderung heißt es auf Nachfrage des MDR: Derzeit seien 50 Unternehmen in Sachsen mit mehrheitlich chinesischen Anteilseignern bekannt. "Damit liegt China – von der Anzahl der Investitionsprojekte her – im Mittelfeld ausländischer Investoren", teilte eine Sprecherin mit. Aus den USA kämen 140 Investoren, aus Österreich circa 100 und aus den Niederlanden 75.
Große Schlagzeilen machten die Übernahmen von Cotesa in Mittweida, VEM Sachsenwerk in Dresden oder die Kugel- und Rollenlagerwerk Leipzig GmbH. Außerdem, so heißt es von der Wirtschaftsförderung des Freistaats: "China ist seit einigen Jahren mit großem Abstand der wichtigste Exportmarkt für sächsische Unternehmen."
Abhängigkeit von China wächst
Vom Wirtschaftsministerium in Thüringen heißt es, dass 31 Unternehmen mit einer chinesischen Beteiligung von mindestens 25 Prozent bekannt seien. Zudem sei China der zweitwichtigste Export- und der wichtigste Importmarkt für das Bundesland. "230 Thüringer Unternehmen unterhalten Exportbeziehungen nach China, 26 Thüringer Unternehmen halten Beteiligungen an chinesischen Unternehmen", schreibt ein Ministeriumssprecher auf Nachfrage. "Die wirtschaftlichen Verflechtungen sind also vergleichsweise stark."
Trotz der zuletzt abgekühlten Beziehungen werde China weiter ein wichtiger Zielmarkt bleiben, heißt es vom Ministerium. Voraussetzung dafür sei aber, dass es sich "um Beziehungen auf Augenhöhe handelt und z.B. Probleme wie Investitionshemnisse, subventionierte Konkurrenz oder Patentverletzungen offen diskutiert und am Ende auch abgestellt werden können."
Das Wirtschaftsministerium in Sachsen-Anhalt erklärte, dass es Stand Juni dieses Jahres 41 Unternehmen mit chinesischer Mehrheitsbeteiligung im Land gebe. China sei der zweitwichtigste Importmarkt für Sachsen-Anhalt, liege beim Export aber nur auf Rang elf. Seit dem Jahr 2000 habe das Land Investitionen im Wert von 119,3 Millionen Euro in Sachsen-Anhalt getätigt – damit liege es im Ländervergleich auf Platz acht.
Insgesamt scheint es also derzeit so, dass chinesische Investoren im Westen eine größere Rolle spielen, als im Osten. Da die Abhängigkeit Deutschlands vom asiatischen Giganten insgesamt wächst, dürfte diese Entwicklung auch vor Mitteldeutschland nicht Halt machen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 04. November 2022 | 08:10 Uhr