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GüterverkehrBahn: Warum der Güterverkehr auf der Strecke bleibt

14. Januar 2023, 05:00 Uhr

Lokführer im Güterzug brauchen vor allem Geduld: Denn ständig heißt es warten. Weil die Strecken ausgelastet sind oder Personenzüge Vorfahrt haben. Eigentlich sollen künftig mehr Güter per Bahn transportiert werden und das Netz wird dafür ausgebaut. Doch das sorgt derzeit für noch mehr Staus auf der Schiene.

Ein grauer Schleier legt sich über die Schiene. Links und rechts davon liegt eine dünne Schneedecke. Vor der Fahrerkabine des Güterzuges leuchten in der Dämmerung immer wieder rote Lichter. Allein zwei Stunden hat der Zug gebraucht, um vom Hamburger Hafen aus der Hansestadt zu kommen. Züge haben nicht nur im Personenverkehr Verspätungen. Doch Gütertransporte werden auf der Schiene derzeit regelrecht ausgebremst.

"Wir können mit einem Zug 104 Container transportieren, das sind eben 52 Lkw", sagt Roger Mahler, Geschäftsführer von Metrans Rail. Das ist Deutschlands drittgrößtes Eisenbahnunternehmen und transportiert Container durch Deutschland und Europa. "Wenn wir Hunderte Güterzüge jeden Tag in Deutschland haben, dann müssten unsere Straßen irgendwann etwas leerer werden." Das könnte für weniger Staus sorgen.

Wir warten teilweise stundenlang, bis wir mit unseren Güterzügen weiterfahren dürfen.

Roger Mahler | Metrans Rail

Derzeit werden immer noch 72 Prozent aller Waren auf der Straße und nur knapp 19 Prozent mit dem Zug transportiert. Denn Lastwagen sind schneller und flexibler als Züge, und sie müssen Pkw keine Vorfahrt einräumen. Auf der Schiene ist das anders. Dort hat der Personenverkehr Vorrang.

Wie auf der Autobahn: Züge stehen im Stau

"Wir warten teilweise stundenlang, bis wir mit unseren Güterzügen weiterfahren dürfen", erklärt Roger Mahler. Ein ICE fahre in Hamburg mit bis zu 230 Kilometern pro Stunde. Ein Güterzug, der bis zu 2.000 Tonnen schwer sein könne, habe eine geringere Beschleunigung und fahre nur mit Tempo 100. "Das kann man nicht aufeinander abstimmen." Zudem seien die in den kommenden Jahren geplanten Ausbaumaßnahmen hauptsächlich für schnelle Züge. "Sodass der Güterverkehr auf der Strecke bleiben wird oder nur noch nachts fahren wird."

So geht es auch Sebastian Plötz. Er fährt mit der silbernen Lok des Metrans-Zug aus Hamburg in die Nacht hinein. Aus Sicht des erfahrenen Zugführers ist das Schienennetz schon jetzt an der Leistungsgrenze angekommen. Für seinen Alltag bedeutet das: "Man steht im Stau - genauso wie auf der Autobahn", sagt Sebastian Plötz. Drei oder vier Stunden Verspätung seien keine Seltenheit und ungeplante Zwischenstopps eher die Regel als die Ausnahme.

Mehr Güterverkehr, mehr Personenverkehr, weniger Schienennetz

Das Schienennetz wurde in den vergangenen 25 Jahren geschrumpft - um fast 15 Prozent. Das bedeutet: weniger Gleise, Stellwerke, Bahnhöfe. Im gleichen Zeitraum nahm aber der Güterverkehr per Bahn um rund 83 Prozent und der Schienenpersonenverkehr um fast 44 Prozent zu.

"Die Bundesregierung hat jetzt erkannt, dass man mehr Geld in die Schieneninfrastruktur investieren muss", sagt Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz Pro Schiene, einem der stärksten Lobbyverbände des Schienenverkehrs. Nun fließe dafür so viel Geld wie nie, doch es reiche immer noch nicht. Hinzu kommt: "Dieses geschrumpfte, unterfinanzierte, überalterte Schienennetz ist jetzt voller Baustellen." Was wiederum zu Verspätungen führe und nun "ist das Schienennetz kurz davor zu kollabieren".

Die Ursachen liegen für Dirk Flege in der Vergangenheit - bei der Bahnreform Mitte der Neunzigerjahre. Unter dem damaligen Bahnchef Hartmut Mehdorn und seinem Nachfolger Rüdiger Grube regierte der neoliberale Zeitgeist. Was keine Rendite brachte, verfiel: Gleise, Bahnhöfe, Stellwerke. Gewinnmaximierung stand über allem. "Das ist einer der Gründe, warum das Schienennetz so geschrumpft ist in den vergangenen Jahren."

Eine der Folgen: Der Zug von Sebastian Plötz muss nach dreieinhalb Stunden Fahrt in Grabow anhalten - knapp über 100 Kilometer hinter Hamburg. Vor dem Zugführer tauchen zwei Scheinwerfer aus der Dunkelheit auf, und stampfend schleppt sich eine Lok mit vielen Waggons vorbei. Der Metrans-Zug muss einen anderen Güterzug vorbeilassen. Schon wieder heißt es warten.

Bundesregierung will mehr Güter auf die Schiene bringen

Die Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag bis 2030 den Anteil der Schiene am Gesamtgüterverkehr sogar noch steigern - auf 25 Prozent. Ein ambitioniertes Ziel angesichts diverser derzeitiger Probleme.

Eines davon: Das Kuppeln der Güterwaggons läuft noch fast genauso ab wie zu Anfangszeiten der Eisenbahn - per Hand. Das gehört zur täglichen Arbeit von Ronny Brömme. Am Rangierbahnhof in Halle in Sachsen-Anhalt stellt der DB Cargo-Mitarbeiter täglich Güterzüge aus einzelnen Waggons zusammen, und jedes einzelne Mal muss der Mann im leuchtend orangen Anzug: "Luftabsperrhähne schließen, Luftschläuche trennen, Kupplung langziehen", wie er MDR exakt erklärt. Dabei dreht er eine Eisenstange mehrere Runden und kann anschließend den schweren Bügel herausziehen und mit einem metallischen "Klonk" einhängen. "Luftschlauch in die vorgesehene Halterung einhängen und jetzt haben wir den Wagen entkuppelt."

Dieser Prozess nimmt einige Zeit in Anspruch. In ganz Deutschland werden am Tag im Schnitt zwischen 50.000 und 60.000 Waggons gekuppelt, sagt die DB Cargo, ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn.

Manches läuft noch wie zu Anfangszeiten der Eisenbahn

Für die DB Cargo - das führende Transportunternehmen in Deutschland - ist der sogenannte Einzelwagenverkehr ein wichtiges Geschäftsfeld. Dabei werden Container bei verschiedenen Versendern eingesammelt und zu einem Rangierbahnhof transportiert. In der Zielregion wird wieder entkuppelt und die Waggons zu den jeweiligen Empfängern gebracht. Das kostet Zeit. Ein automatisches Kupplungssystem könnte diesen Prozess beschleunigen.

Ein entsprechendes System ist vorhanden: Allerdings müsste dies europaweit eingeführt werden, denn viele Güterzüge sind grenzüberschreitend unterwegs. Damit würde alles viel schneller gehen, sagt der Sprecher der Deutschen Bahn, Achim Stauss. "Und ein durchgängig gekoppelter und auch durchgängig digitalisierter Zug verfügt auch über Sensoren, die auch für die Betriebsführung und die Steuerung der Warentransporte dann noch einmal viele Vorteile haben."

Doch eine Einführung werde dauern - bis etwa 2030. "So lautet die Zielvorstellung der EU", sagt Bahnsprecher Achim Stauss. "Und wir gehen alle davon aus, dass es so etwa acht Milliarden Euro kosten wird."

Fehler liegen nicht nur in der Vergangenheit

Neben der Einführung eines automatisierten Kupplungssystems muss das marode Schienennetz auch massiv ausgebaut werden. Das ist derzeit in vollem Gange - doch die vielen Baustellen blockieren Gleise und für die Züge gibt es zu wenige Ausweichstrecken.

Das hat nicht nur mit der Vergangenheit zu tun, sagt Enak Ferlemann. Der CDU-Politiker war bis 2021 Staatssekretär im Verkehrsministerium und Vorsitzender des Unterausschusses Eisenbahninfrastruktur. "Der Punkt ist, dafür brauche ich Ausfallstrecken. Das heißt, das Netz muss zuerst bei den Ausweichstrecken ertüchtigt werden. Leider macht es die DB Netz umgekehrt. Sie ertüchtigt zuerst die Hauptmagistralen und wundert sich dann, dass die Züge in ganz Deutschland stehen, weil sie durch die Ausfallstrecken nicht kommen." Doch die DB Netz - die für den Ausbau verantwortlich ist - sieht unter den gegebenen Umständen keine Alternative, heißt es.

Der Güterzug von Sebastian Plötz hat am Ende fast sieben Stunden von Hamburg nach Berlin gebraucht. Neben der Strecke dreht sich gemächlich ein Riesenrad entgegen dem Uhrzeigersinn. Es ist fast Mitternacht. Zu diesem Zeitpunkt hätte dieser Zug es eigentlich schon fast bis an die tschechische Grenze geschafft haben müssen.

Quelle: MDR (mpö)

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 11. Januar 2023 | 20:15 Uhr