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Vor einer Einführung würde eine mehrjährige Testphase stehen. Bildrechte: IMAGO / Ikon Images

EU-AbstimmungDigitaler Euro: Großes Projekt, wenig Interesse

13. Juni 2022, 18:16 Uhr

Bis zum 16. Juni 2022 können EU-Bürger ihre Meinung zur Einführung eines digitalen Euro abgeben. Die Beteiligung ist gering. An mangelndem Interesse kann das kaum liegen, denn Geld geht alle an. Mangelhaft sind die Informationspolitik der Europäischen Kommission und das Interesse der Medien.

von Matthias Toying, MDR-Wirtschaftsredaktion

Teilnahme bei Umfrage liegt derzeit bei 0,004 Prozent

Laut Eurostat haben die 27 EU-Nationen zusammen derzeit rund 447 Millionen Einwohner*. Aber nur etwas mehr als 16.100 Bürgerinnen und Bürger haben bislang in der bis zum 16. Juni laufenden Abstimmung ihre Meinung zum digitalen Euro abgegeben. Das sind etwa 0,004 Prozent. Die genaue Anzahl wird veröffentlicht und laufend aktualisiert.

Die Internetseiten der EU-Kommission erlauben es, in insgesamt 23 Landessprachen zu kommentieren. Es kann also nicht etwa an einer Sprachbarriere liegen, wenn so wenige sich beteiligen. Der Hauptgrund wird wohl ein anderer sein: Kaum jemand weiß, dass eine Teilnahme an weitreichenden Entscheidungen auf EU-Ebene überhaupt möglich ist.

Informationen gehen an Bevölkerung vorbei

"Wir werden nicht wahrgenommen", erklärt ein Pressesprecher der Europäischen Kommission in Deutschland gegenüber dem MDR. "Vor größeren Gesetzesinitiativen befragen wir stets die Bevölkerung. Wir veröffentlichen Pressemitteilungen und versenden Newsletter. Wir tun, was wir können, aber es scheint nicht zu reichen."

Ein Problem seien die nationalen Institutionen und Medien, die Informationen nicht ausreichend an ihre Bevölkerung weitergeben. Außerdem seien die Fragestellungen oft zu speziell, wie zum Beispiel über Chemikalien im Spielzeug. Dafür würden sich dann nur wenige Fachleute interessieren. Auf den Seiten der EU-Kommission werden zudem ständig mehrere Befragungen durchgeführt, nicht nur zum digitalen Euro.

Kein Geld – keine Informationen?

Allein die Seiten zu finden, auf denen sich EU-Bürger an Gesetzgebungsprozessen beteiligen können, ist bislang nicht einfach. Jeder Unternehmer beschäftigt sich inzwischen mit Maßnahmen, damit seine Webseite bei Suchmaschinen besser gefunden wird. Die EU wohl eher nicht. Im Falle der Konsultation zum digitalen Euro waren mehrere Anläufe mit unterschiedlichen Suchwort-Kombinationen nötig, um auf die richtige Spur zu kommen.

Da fragt man sich, warum die EU ihre Befragungen nicht durch entsprechende Kampagnen bewirbt, so dass jeder Bürger ausreichend informiert ist, sich beteiligen kann und ein wirklicher demokratischer Prozess möglich wird. Die Pressestelle der EU-Kommission verweist auf ihren geringen Etat. Das Budget für Verwaltungsaufgaben, von dem die Öffentlichkeitsarbeit nur ein Teil sei, würde lediglich neun Prozent des Gesamtbudgets der EU ausmachen. Es gibt auch andere Wortmeldungen dazu. Ich selbst war Augen- und Ohrenzeuge, als ein Presseverantwortlicher der EU-Kommission in Brüssel, unserer Delegation deutscher Journalisten gegenüber äußerte: "Warum sollen wir mehr informieren? Die Leute verstehen doch sowieso nicht, was wir hier machen."

Was ist der "digitale Euro" eigentlich?

"Ein digitaler Euro wäre eine digitale Form von Zentralbankgeld, konkret des Euro. Er könnte von der breiten Bevölkerung in ähnlicher Weise genutzt werden wie Bargeld – nur eben in virtueller Form." So erklärt es die Deutsche Bundesbank auf ihrer Internetseite und scheinbar ist damit alles gesagt. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht.

Bisher sind Euro-Scheine und Euro-Münzen alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel. Sie sind Eigentum der Europäischen Zentralbank (EZB). Ich darf sie besitzen, kann sie zum Einkauf von Waren und Dienstleistungen nutzen, aber sie gehören mir nicht. Welche Konsequenzen das für mich als Besitzer des Geldes hat, können all jene nachvollziehen, die jemals versehentlich Falschgeld besaßen und versucht haben, damit zu bezahlen. Weil ich nur Besitzer des Geldes, nicht aber sein Eigentümer bin, hat die EZB das Recht, den falschen Geldschein einziehen zu lassen, ohne den Nennwert ersetzen zu müssen. Nicht nur das Fälschen von Geld ist strafbar, auch das Vernichten, denn ich darf das Eigentum eines anderen natürlich nicht zerstören. Ein digitaler Euro wäre ebenso Eigentum der EZB. Auch dieses digitale Zentralbankgeld dürfte ich besitzen und ausgeben, aber es würde mir nicht gehören.

Eigentum der EZB

Für die meisten von uns ist noch schwer vorstellbar, welche Konsequenzen die Einführung eines digitalen Euros hätte. Schließlich haben wir uns daran gewöhnt, Beträge auf unseren Bankkonten als "unser Eigentum" zu betrachten, es zu überweisen, am Geldautomaten abzuheben oder per Kartenzahlung damit einzukaufen. Daher glauben wir, längst mit "digitalem Geld" umzugehen. Der digitale Euro aber ist etwas anderes.

Nicht der Besitzer, also ich, sondern der Eigentümer, also die EZB, würde das Recht haben, die zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärten digitalen Euros in einer digitalen Geldbörse nach eigenem Ermessen bereitzustellen, mit Strafzinsen zu belegen oder einzuziehen und zu vernichten. In einer Grundsatzrede von Fabio Panetta, Mitglied des Direktoriums der EZB, findet sich ein Hinweis darauf. Er spricht von der "Fähigkeit privates Geld – wie Gelder in Bankeinlagen oder digitalen Geldbörsen – zum Nennwert in öffentliches Geld umzuwandeln", also in Banknoten, die – um es nochmals zu sagen – der EZB gehören. Auch der digitale Euro wird öffentliches Geld sein, also der EZB gehören.

Wie bekommt man den digitalen Euro?

Wie der digitale Euro geschaffen wird, ist bislang unklar. Einige Fachleute mutmaßen, digitale Euros könnten ähnlich wie Krypto-Vermögenswerte in Blockchain-Technologie entstehen, also durch computergenerierte Rechenprozesse. Andere bezweifeln das und kritisieren gleichzeitig den ungeheuren Energieaufwand, den solche Rechenprozesse beanspruchen.

Die digitale Brieftasche: Wallet

Jeder Bürger soll eine digitale Brieftasche erhalten, auch "Wallet" genannt. Sie soll über das Handy oder den PC erreichbar sein und einen Maximalbetrag speichern. Die Rede ist von 3.000 Euro. Damit kann man sowohl beim Einkauf im Geschäft, als auch im Internet bezahlen. Das solle angeblich auch offline funktionieren, also ohne Zugang zum Internet. Wie das technisch möglich sein kann, war bei der EU bis Redaktionsschluss nicht zu erfahren.

Zahlungen vom Staat an Privatpersonen und Abgaben an den Staat könnten zukünftig überwiegend oder ausschließlich über die digitale Geldbörse erfolgen. Höhere Beträge soll das Wallet nicht speichern können. Ein Grund: Da eine Zentralbank als Schöpferin des Geldes nicht insolvent werden kann, könnte es besonders attraktiv sein, dort Geld anzulegen. Damit würde die Zentralbank zur Konkurrentin der Geschäftsbanken, was keine von beiden Seiten möchte. Die Initiative digitaler Euro sei auch dazu da, die Unternehmen "im neuen Zeitalter der Industrie 4.0 zu unterstützen", erklärt die EU-Kommission in ihrer Aufforderung zur Stellungnahme und Folgenabschätzung. Wie eine solche kleine Geldbörse für die Wirtschaft interessant sein könnte, bei der Transaktionen mit erheblich höheren Beträgen die Regel sind, bleibt unklar.

Was bedeutet das für das Finanzsystem?

Weltweit sind Zentralbanken damit befasst, digitale Währungen zu planen. Einige Länder experimentieren bereits damit: China, Schweden, sogar die Bahamas, die bereits 2020 den "Sand Dollar" eingeführt haben. Die Europäische Zentralbank ist mit ihren Überlegungen also keineswegs ein Vorreiter.

Kritiker digitaler Währungen verweisen auf die Gefahr, private Unternehmen könnten zunehmend versuchen, eigene digitale Währungen zu kreieren. Genau das hatte Mark Zuckerberg, Gründer und Vorstandsvorsitzender des Unternehmens "Meta Platforms" (ehemals "Facebook"), im Herbst 2019 angekündigt. Auch wenn das Projekt bislang nicht realisiert wurde, andere Unternehmen sind damit bereits erfolgreich. Das Bezahlsystem "Alipay" habe in der Volksrepublik China bereits einen Marktanteil von 50 Prozent, berichtet die FAZ.

Verdrängung nationaler Währungen?

Auch in der Eurozone könnten sich Parallelwährungen entwickeln und staatliche Währungen verdrängen. Damit drohe eine Destabilisierung des Finanzsystems. Als Beispiel wird sogar die DDR angeführt, in der neben einer offiziellen Währung, der Mark der DDR, auch die D-Mark als inoffizielles Zahlungsmittel gehandelt wurde. Andere blicken weit zurück in die Geschichte. Im Mittelalter hätte jedes kleine Fürstentum seine eigenen Münzen gehabt.

Ähnliches könnte drohen, wenn die Abwicklung des Zahlungsverkehrs über private Plattformen so attraktiv werde, dass sie nationale Währungen verdränge. Nüchtern betrachtet, lassen sich alle Argumente auf einen Punkt zusammenfassen: Die Zentralbanken fürchten, ihren Einfluss zu verlieren, wenn parallele digitale Zahlsysteme zunehmend an Attraktivität gewinnen. Die EU-Kommission befürchtet darüber hinaus einen politischen Machtverlust der Europäischen Union.

Nur vermeintliche Vorteile?

In den bislang veröffentlichten Reden, Analysen und Kommentaren werden zahlreiche Vorteile genannt, die wir Verbraucher durch einen digitalen Euro hätten. Vor allem sei es bequem, überall und jederzeit elektronisch bezahlen zu können. Immer mehr Kunden würden gern auf Bargeld verzichten wollen, das habe man während der Corona-Krise sehen können, heißt es immer wieder. Dabei wird vergessen, dass wir Kunden an nahezu jeder Ladenkasse dringend dazu aufgefordert wurden, möglichst kontaktlos zu bezahlen. Und das, obwohl Bargeld auf Grund seiner Beschaffenheit gerade nicht als Überträger von Krankheitserregern gilt.

Der Blick nach Schweden

EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta schwärmt geradezu von digitalen Zahlungssystemen und nennt als Beispiel Schweden. Dort wurde bereits 2012 "Swish" eingeführt, "das zunächst sofortige P2P-Überweisungen [von Person zu Person; Anm.d.Red.] anbot. Anschließend wurde der Service auf Online- und Point-of-Sale-Zahlungen ausgeweitet und werde "mittlerweile von 80 Prozent der dortigen Bevölkerung genutzt". Was er zu sagen vergisst: Gerade in Schweden gibt es kaum noch eine Alternative zum elektronischen Bezahlen. Ich kann mancherorts nicht mal eine Tüte Bonbons bar bezahlen, geschweige denn die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen.

EZB: digitaler Euro als Ergänzung zu Bargeld

Es scheint tatsächlich großes Interesse daran zu geben, die Nutzung von Bargeld einzuschränken. Ob die treibende Kraft wirklich die Verbraucher sind, darf angezweifelt werden, angesichts der Wortmeldungen auf den Seiten der EU-Kommission. Wer die Kommentare liest, wird Mühe haben, eine Wortmeldung zu finden, die sich eindeutig für die Einführung des digitalen Euro ausspricht. Die meisten beziehen sich auf die praktische und ideelle Bedeutung von Bargeld und sie fürchten, es könne langfristig abgeschafft werden. Dabei versichert die Europäische Zentralbank (EZB) immer wieder: "Ein digitaler Euro würde das Bargeld ergänzen, nicht ersetzen."

Schnelleres Bezahlen

Dass Bezahlvorgänge quasi automatisch stattfinden könnten und zwar auch von Maschine zu Maschine, sei ein weiterer Vorteil: "Es entsteht eine neue Art von Geld, das auf virtuellen Werteinheiten basiert, die sich über das Internet bewegen", fassten die Wissenschaftler Brunnermeier und Landau in ihrer Studie für das Europäische Parlament zusammen.

Die Einführung digitaler Währungen macht also den Weg frei für das Internet der Dinge, verbunden mit einem Verlust an Kontrolle über die eigenen Finanzen. Schließlich seien internationale Geldtransfers mit digitalen Geldbörsen schneller und billiger. Doch längst haben Plattformen wie zum Beispiel "Azimo" diese Aufgabe übernommen, bieten Überweisungen erheblich schneller und einfacher an, als die Geschäftsbanken das bislang tun.  

Nachteil: Anonym Bezahlen nicht möglich

Während wir mit Bargeld weitgehend anonym bezahlen können, wird das mit digitalem Geld nicht mehr möglich sein. "Das Recht des Einzelnen auf Schutz der Privatsphäre [muss] gegen die Notwendigkeit abgewogen werden, Schaden durch rechtswidrige Handlungen von der Gesellschaft abzuwenden", schreibt die Europäische Zentralbank in ihrer Analyse einer öffentlichen Befragung, die sie bereits im Winter 2020/21 unter Fachleuten und der Bevölkerung durchgeführt hatte. Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und Steuerhinterziehung seien demnach die Gründe, weshalb das Bezahlen mit Digitalgeld nicht anonym sein könne.

Allerdings gehen die Vorstellungen der Befragten über den Datenschutz offenbar sehr weit auseinander. Ein Zehntel der Fachleute, vorwiegend aus der Bankbranche, ist für "volle Transparenz, was bedeutet, dass alle Zahlungsdaten an alle am Zahlungsprozess Beteiligten übermittelt werden". Ein Zehntel der Befragten spricht sich für einen vollständigen Schutz der Privatsphäre aus. Das bedeutet, dass "besagte Beteiligte unabhängig von der Art der Transaktion keine Zahlungsdaten erhalten". Ohne "Fußabdruck" dürfte ein elektronischer Zahlvorgang allerdings kaum möglich sein.

Viel spreche dafür, dass es um mehr gehe, als um die Bekämpfung von Kriminalität, schreibt die Neue Zürcher Zeitung am 5. März 2021, in einem Kommentar. Kriminalität sei letztlich "eine logische Konsequenz aus der immer extremeren Geldpolitik. In einer nächsten Phase der ungelösten Schuldenkrise könnte ein verstärkter Zugriff auf private Vermögen zum Thema werden". Auch die Abhängigkeit elektronischer Systeme von der Energieversorgung dürfte ein deutliches Risiko sein. Womit bezahlen wir, wenn der Strom ausfällt und Bargeld immer seltener verfügbar ist?

Kommt der digitale Euro?

Vermutlich wird es ähnlich ablaufen wie 2018. Damals durften die EU-Bürger abstimmen, ob sie für oder gegen die jährliche Zeitumstellung sind. Eine deutliche Mehrheit hatte sich dafür ausgesprochen, die Zeitumstellung abzuschaffen und stattdessen dauerhaft die Sommerzeit beizubehalten. Heute, vier Jahre später, wird noch immer zweimal pro Jahr die Zeit umgestellt. Trotz Bürgerbeteiligung hat sich nichts geändert. Selbst wenn eine Mehrheit der Bevölkerung gegen die Einführung des digitalen Euros wäre, was vermutlich nicht der Fall ist, würden EU-Kommission und EZB wohl an ihren Plänen festhalten. Beschlossen ist eine mehrjährige Testphase.

Einige Stichproben aus den Kommentaren:

"Bargeld ist unmittelbar, geht ohne Strom, ist inkognito [und] kann nicht von Regierungskräften unterbunden werden, wenn ihnen die Haltung des Bürgers missfällt."

"Wir sollten das Bargeld auf keinen Fall abschaffen, weil Bargeld Freiheit schafft."

"Damit hat man den Bürger in der Hand und kann sogar steuern wo und was er erwerben darf! Wir sind freie Bürger und keine Sklaven der EU!"

"Ich habe keine Lust 100% á la China überwacht zu werden."

"Warum sollten wir zu einer digitalen Währung wechseln, wenn es viele Sicherheitsbedenken gibt?"

"Das Argument, dass so Geldwäsche etc. bekämpft würde, greift nicht, da jedes digitale System für Kriminalität angreifbar ist."

*(Die exakte Zahl lautet 447.207489 / Stand 1.1.2022)

MDR-Wirtschaftsredaktion

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 10. Juni 2022 | 11:00 Uhr

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