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34 Prozent der Hartz-IV-Bezieherinnen sind alleinerziehende Mütter. Gerade für sie wären 50 Euro mehr Bürgergeld ein wichtiger Inflationsausgleich. Bildrechte: imago images/Cavan Images

Nach Kritik vom HandwerksverbandExperten halten Bürgergeld von 502 Euro für angemessen

14. September 2022, 09:19 Uhr

Dem Zentralverband des Deutschen Handwerks ist das geplante Bürgergeld von 502 Euro ab kommendem Jahr ein Dorn im Auge. Damit setze der Staat falsche Impulse, und Arbeit werde gerade für Geringverdiener "unattraktiv" gemacht. Sozialverbände und Wirtschaftsforscher weisen das zurück. Man müsse sich genau anschauen, wer eigentlich Hartz IV bekomme. 34 Prozent seien alleinerziehende Mütter und es gebe eine große Gruppe Aufstockende, die wegen ihres sehr geringen Lohns zusätzlich Hartz IV bekommen.

Warum früh um sieben Uhr schon arbeiten, wenn man mit dem Bürgergeld am Ende aufs gleiche Geld kommt? So hatte es Handwerkspräsident Hans-Peter Wollseifer im Interview mit der "Rheinischen Post" formuliert.

Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Erfurt, Thomas Malcherek, teilt die Kritik und sagte MDR AKTUELL: "Der Wegfall von Sanktionen, die deutliche Anhebung des Regelsatzes und die komplette Übernahme der Heizkosten, das sind falsche Impulse. Das führt in die falsche Richtung, denn Arbeit und Leistung muss sich lohnen. Und die Arbeit wird unattraktiv gemacht."

Malcherek rechnet vor: "Wenn jetzt zwei Personen im Handwerk oder im Handel arbeiten, haben sie vielleicht ein Netto-Einkommen, Kindergeld lassen wir jetzt mal weg, von 2.500 Euro netto. Und wenn jetzt Bürgergeld-Bezieher vielleicht 2.000 oder 2.200 Euro haben – ich will gar nicht noch von mehr reden – dann ist das Lohnabstandsniveau nicht gewahrt."

Sozialverband verteidigt Bürgergeld

Doch haut diese Rechnung hin? Nein, meint Philipp Stielow vom Sozialverband Hessen-Thüringen. Zwei Personen, die im Handwerk oder Handel tätig sind, müssten mit deutlich mehr als 2.500 Euro netto herauskommen. Der Abstand zum Bürgergeld sei größer als behauptet.

Zudem müsse man sich genau anschauen, wer eigentlich Hartz IV bekommt, meint Stielow. 34 Prozent seien alleinerziehende Mütter, eine große Gruppe Aufstockende, die aufgrund ihres sehr geringen Lohns zusätzlich Hartz IV bekommen. Als drittes zählt Stielow Menschen auf, die derzeit in Weiterbildungsmaßnahmen seien. "Also ich glaube nicht, dass wenn wir diesen Menschen noch weniger Geld geben oder die Heizung nicht bezahlen, dass dann fürs Handwerk auf einmal eine fitte Arbeitskraft nach der anderen um die Ecke kommt."

DIW: Handwerksverband stigmatisiert

502 Euro im Monat – das sind 50 Euro mehr als der bisherige Hartz-IV-Satz. Jürgen Schupp vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält das für angemessen. Das Bürgergeld sei lediglich ein Inflationsausgleich, sagt er. Die Kritik vom Handwerksverband ist für ihn eine Stigmatisierung der Betroffenen: "Unsere Studie bei Langzeitarbeitslosen bestätigt auch, dass sie keineswegs einfach jeden Morgen zufrieden im Bett liegen bleiben, sondern sich 42 Prozent schämen, überhaupt Hartz IV zu beziehen. Über 50 Prozent haben gesundheitliche Probleme. Also diese ohnehin sehr vulnerable Gruppe, die unserer Unterstützung bedarf, jetzt wieder zu stigmatisieren, halte ich für nicht angemessen und wird der Lebenswirklichkeit der Betroffenen nicht gerecht."

Der Gesetzesentwurf zur Einführung des Bürgergelds soll am Dienstag vom Kabinett verabschiedet werden.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 13. September 2022 | 06:00 Uhr