Energiekrise Biogas: Gesetze verhindern Entlastung auf dem Gasmarkt

09. September 2022, 16:42 Uhr

Die Regierung ist fieberhaft auf der Suche nach einem Ausweg aus der Energiekrise. Von neuen Erdgasterminals ist oft die Rede, der Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken oder einer Fortführung der Kohleverbrennung. Die umweltfreundliche Energieform Biogas spielt bei den Überlegungen nur eine Nebenrolle. Dabei schlummert genau da großes Potential, sagen Branchenvertreter.

Biogas der unterschätzte Energieträger

Strom, Gas oder Kraftstoff aus Biomasse gibt es schon seit Jahrzehnten. Doch jetzt könnte dieser Energieform eine viel größere Bedeutung als bisher zukommen. "Die Gasimporte aus Russland lassen sich mit Biogas mittelfristig um bis zu 30 % und langfristig um bis zu 40 % ersetzen", ist sich Manuel Maciejczyk, der Geschäftsführer vom bundesweiten Fachverband Biogas e.V., sicher. Doch dafür müssten schnell neue Anlagen errichtet und die bestehenden Kapazitäten erhöht werden.

Manuel Maciejczyk, Geschäftsführer vom bundesweiten Fachverband Biogas e.V.
Manuel Maciejczyk ist Geschäftsführer vom Fachverband Biogas e.V. Bildrechte: Fachverband Biogas e.V.

Die Gasimporte aus Russland lassen sich mit Biogas mittelfristig um bis zu 30 % und langfristig um bis zu 40 % ersetzen.

Manuel Maciejczyk, Geschäftsführer Fachverband Biogas e.V.

Am schnellsten wäre eine Leistungserhöhung der schon bestehenden Biogasanlagen umsetzbar, sagt Maciejczyk. Ganz kurzfristig und ohne große technische Umrüstungen könnten sie ihre Produktion um 20% erhöhen. Rein rechnerisch könnte diese Leistungsanhebung die bundesdeutschen Speicherstände auf einen Schlag um 4% anheben – und das mit umweltfreundlichem, nichtfossilen Gas.

Was ist Biogas? Biogas ist ein energiereiches Gasgemisch, das bei der natürlichen Zersetzung von organischem Material (Gülle, Bioabfälle oder Energiepflanzen) unter Luftabschluss entsteht. Die Materialien werden in luftdicht abgeschlossenen Gärbehältern – den so genannten Fermentern –vergoren. Das so entstandene Biogas kann zu Strom, Wärme, Nutzgas oder Treibstoff umgewandelt werden. Zurück bleibt mit dem Gärprodukt ein hochwertiges Düngemittel, reich an humusbildenden Stoffen und Nährstoffen. Sie werden flüssig oder getrocknet in der Landwirtschaft, im Landschafts- und Gartenbau sowie in Privatgärten als organischer Dünger oder Bodenverbesserer eingesetzt. Quelle: Fachverband Biogas e.V.

Gesetzliche Schranken reduzieren die Leistung

Bisher ist es gesetzlich verboten, die Biogasanlagen mehr Energie produzieren zu lassen. Es existiert eine Höchstbemessungsleistung, die mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz 2014 eingeführt wurde. Damals wollte die Regierung sicherstellen, dass mehr Pflanzen zur Nahrungsmittelproduktion geerntet werden, als zur finanziell lukrativen Energiegewinnung. Doch nun steckt Deutschland in einer Energiekrise und die Biogas-Branche fordert, dass diese Bestimmungen gelockert werden sollen.

"Die aktuelle Situation zeigt anschaulich, wie dringend Deutschland auf den Beitrag von Biogas angewiesen ist", sagte Alfons Himmelstoß gegenüber der MDR Wirtschaftsredaktion. Himmelstoß ist geschäftsführender Gesellschafter einer Dresdener Firma, die sich seit 1996 mit der Herstellung von Biogas-Anlagen beschäftigt. "Damit sich die Branche weiterentwickeln kann, braucht sie stabile Rahmenbedingungen und nicht jedesmal wieder neue Diskussionen, ob Biogas benötigt wird, wenn die Zeiten mal etwas ruhiger sind", fordert er.

Alfons Himmelstoß, geschäftsführender Gesellschafter AEV Energy GmbH
Alfons Himmelstoß ist geschäftsführender Gesellschafter der AEV Energy GmbH. Bildrechte: AEV Energy GmbH

Damit sich die Branche weiterentwickeln kann, braucht sie stabile Rahmenbedingungen und nicht jedesmal wieder neue Diskussionen, ob Biogas benötigt wird, wenn die Zeiten mal etwas ruhiger sind.

Alfons Himmelstoß, geschäftsführender Gesellschafter AEV Energy GmbH

Erste Reaktionen der Bundesregierung

Die Forderungen der Biogas-Branche finden ein offenes Ohr beim Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen). Schon am 21. Juli hat er angekündigt, dass neben weiteren Maßnahmen auch eine kurzfristige Ausweitung der Biogasproduktion zu den Plänen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz gehört, um den Bedarf an russischem Erdgas kurzfristig zu reduzieren. Das sagte er zumindest in einem digitalen Pressestatement zur aktuellen Gaslage.

Leistungssteigerung rein technisch kein Problem

Bis heute dürfen die Biogas-Anlagen weiterhin ihre Leistung nicht erhöhen, obwohl das technisch in der meisten Fällen überhaupt kein Problem wäre. Hersteller wie Alfons Himmelstoß haben in den letzten zehn Jahren ihre Anlagen so gebaut, dass sie mehr Energie produzieren können, als sie dürfen. Dieses Plus wäre ganz kurzfristig – sozusagen auf Knopfdruck – abrufbar.

"Damit die Biogas-Branche noch den gewünschten Beitrag leisten kann, sollte die Bundesregierung nun zeitnah Ergebnisse präsentieren", fordert Himmelstoß. Prompt ist Anfang September vom Wirtschaftsministerium ein Vorschlag an die anderen Ministerien verschickt worden, die Möglichkeiten zur Stromerzeugung aus Biogas auszuweiten. Dazu sollen mehrere Gesetze geändert werden. Doch wann das umgesetzt wird, ist unklar und auch, ob dadurch die Höchstbemessungsleistung fällt.

Potential von neuen Biogasanlagen

Großes Potential sieht Manuel Maciejczyk auch in der Errichtung von ganz neuen Biogasanlagen. Doch fordert er Maßnahmen der Regierung, damit sich die Energieerzeugung aus Biogas auch noch rentiert: "Der Bau und Betrieb einer Biogasanlage ist in den letzten Jahren so kompliziert, aufwändig und damit auch teuer geworden, dass es sich kaum noch lohnt. Hier muss wieder mehr Augenmaß kommen." Biogas ist seiner Meinung nach ein wichtiger Baustein zum Gelingen der Energiewende.

MDR Wirtschaftsredaktion

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 09. September 2022 | 21:45 Uhr

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