Verschiedene Sorten Brot liegen übereinander
Auch aufgrund steigender Preise gehen mmer weniger Menschen zur Bäckerei nebenan. Bildrechte: Colourbox.de

Energiekrise Viele Handwerksbäcker vor dem Aus?

20. September 2022, 19:22 Uhr

Die Preise für Brot und Brötchen sind bereits gestiegen, denn die Energiekrise verteuert die Produktion. Personalmangel, Inflation und steigende Rohstoffpreise verschärfen die wirtschaftliche Lage von Bäckereien noch.

Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks warnt vor Bäckerei-Sterben

Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks schlägt Alarm. Viele Unternehmen würden die gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise an den Rand des Ruins treiben, wenn die Politik jetzt nicht schnell handelt. Doch es sind nicht nur die Energiepreise, die für die Handwerksbäcker wirtschaftlich toxisch sind. Es ist ein ganzer Mix von Problemen, der gerade auf die Branche einstürzt. Welche wirken sich wie aus?

Probelem 1: hohe Energiepreise – kaum Sparpotential

Früher waren Energiepreise noch kein Thema in der Bäcker-Branche. Laut Statistischem Bundesamt umfassen mit ca. 31% die Personalkosten den größten Kostenblock einer Handwerksbäckerei, gefolgt von den Kosten für Rohstoffe wie Mehl, Butter oder auch das Material wie Öfen und Förderbänder (ca. 28%). Die Energiekosten lagen hingegen nur bei 3,3 %. Viele Betriebe befürchten, dass sich dieser Anteil auf bis zu 15% erhöhen könnte.

"Teilweise haben sich die Energiepreise verdrei- oder vierfacht, Tendenz steigend. Diese enorme Steigerung birgt Gefahren und viele Betriebe wissen nicht, wie sie dies stemmen sollen. Für sie steht ein Insolvenzrisiko im Raum", so Meike Bennewitz, Pressereferentin beim Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks e.V. Besonders betroffen sind Gaskunden. 70% aller Bäckereien betreiben ihre Öfen mit Gas.

Im Gegensatz zu anderen Branchen und Privathaushalten könne das Bäckerhandwerk kaum Energie sparen. Außerdem ist die Umstellung auf andere Energieträger sehr kostenintensiv und für viele Bäcker in der jetzigen Wettbewerbssituation schlichtweg nicht zu stemmen. Die gestiegenen Kosten treiben Unternehmer kurzfristig in existenzbedrohende Schwierigkeiten. Wenn nicht schnell und unbürokratisch geholfen wird, sind tausende Betriebe und Arbeitsplätze bereits im September gefährdet, so der Verband, und die Versorgung der Bevölkerung vor allem im ländlichen Raum drohe zusammenzubrechen.

Bäckermeister Wolfgang Süpke aus Sömmerda, Vorstand der Bäckerinnung Mittelthüringen, hat da noch Glück, er zahlt aktuell "nur" 130 Prozent mehr für Öl, mit dem seine Öfen betrieben werden. Dabei hat er schon viel investiert, um Energie zu sparen. Weitere Neuanschaffungen, sprich neue Öfen, sind geplant, müssen wegen der aktuellen Situation aber erstmal verschoben werden. Dabei geht es Wolfgang Süpkes Unternehmen noch vergleichsweise gut, er betreibt 14 Filialen mit 66 Angestellten und 40 Aushilfen.

Problem 2: hohe Rohstoffpreise

Schon seit Monaten machen den Bäckern die gestiegenen Rohstoffpreise zu schaffen, insbesondere für Weizen (plus 70% seit Kriegsbeginn), aber auch für Butter oder Pflanzenöl. Der Weizenpreis explodierte weltweit mit Beginn des Ukrainekrieges und war nur mittelbar Folge der russischen Blockade ukrainischer Häfen. Er war vielmehr Folge massiver Börsenspekulationen durch Agrarfonds, die den Preis nach oben trieben. Aktuell sinken zwar die Weltmarktpreise, sind aber noch weit vom Vorkriegsniveau entfernt. Wegen der gestiegenen Rohstoffpreise hat Bäckermeister Süpke aus Sömmerda in diesem Jahr schon zweimal die Preise erhöhen müssen. Doch er merkt, dass die Akzeptanz bei den Kunden nachlässt. 

Problem 3: steigende Personalkosten und Personalmangel

Mit fast 30% Anteil an den Gesamtkosten sind die Aufwendungen fürs Personal der größte Kostenblock eines Handwerksbäckers. Der dürfte demnächst noch steigen, denn ab 1. Oktober steigt der Mindestlohn von jetzt 10,45 Euro auf dann zwölf Euro pro Stunde. Diese Erhöhung dürfte für viele Bäcker, die oft Aushilfen beschäftigen, zusätzlich belasten. Zudem leidet die Branche unter akutem Personalmangel.

Seit Jahren schon schrumpft die Branche, die Zahl der Handwerksbäckereien in Deutschland sinken. Waren vor zehn Jahren noch über 14.000 Bäckereien in der Handwerksrolle eingetragen, waren es schon im vergangenen Jahr nur noch 9.965. Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks schätzt, dass allein in den vergangenen vier Jahren die Zahl der Beschäftigen um rund 30.000 Menschen auf 240.800 gesunken ist.

Viele Betriebe haben zudem große Schwierigkeiten, geeigneten Nachwuchs zu finden. In den letzten zehn Jahren sank die Zahl der Auszubildenden um über 40%. Und wegen Personalmangels haben viele Bäcker bereits ihre Öffnungszeiten reduziert oder ihr Angebot einschränkt. Oder sie geben ihre Betriebe frühzeitig auf, sagt Bäcker Wolfgang Süpke: "Es gibt viele der sogenannten Baby-Boomer, die noch ein paar Jahre bis zur Rente hätten, keinen Nachfolger haben und jetzt hinwerfen, weil sie die Krise nicht durchstehen können oder wollen."

Problem 4: hohe Inflation

Die hohe Inflation von fast 8% dürfte die wirtschaftliche Lage der Bäckereien noch verschärfen, zumal auch im nächsten Jahr mit einer ähnlich hohen Inflation zu rechnen sei, so mehrere deutsche Wirtschaftsforschungsinstitute. Da viele Verbraucher selbst unter den steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen leiden, scheint ein Ausweichen auf preiswerte Discounterwaren oder Brot und Brötchen vom Industriebäcker logisch. Wenn die Handwerksbäcker ihre Preise weiter anheben, könnten sie noch mehr Kunden verlieren.

Längst kaufen viele Verbraucher ihre Brötchen nicht mehr so häufig beim Handwerksbäcker. Diese machen nur noch rund 32 Prozent des Umsatzes mit Brot und Backwaren aus, so Daten der GfK. Zwischen Januar und Mai ging damit der Verkauf der Bäckereien sogar um zehn Prozent zurück.

Branche spricht von "Kosten-Tsunami"

Insgesamt sieht sich das deutsche Bäckerhandwerk mit einem "Kosten-Tsunami konfrontiert, der ohne staatliche Hilfe kaum bewältigt werden kann“, so der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks. Dieser fordert unter anderem einen finanziellen Rettungsschirm, die Vergünstigung von Strom und Gas, sowie die Abmilderung des Insolvenzrechts.  

Kredite seien dabei keine Option, denn sie würden die Kostenlast nur verschieben und brächten keine langfristige Entlastung mit sich. Außerdem gäbe es bei Lebensmitteln – anders als z.B. bei langlebigen Konsumgütern – keinen sogenannten "Nachholeffekt". Das nicht gekaufte Brot würde nach der Krise nicht zweimal gekauft. "Sollte es keine Entlastung geben, kann dies zu einer Pleitewelle führen", so Meike Bennewitz.

Vorübergehende Betriebsstilllegung keine Lösung

Den jüngsten Vorschlag des Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in einem TV-Interview, die Bäckereien könnten, um eine Pleite abzuwenden, doch vorübergehend ihren Betrieb stilllegen und einfach nicht mehr produzieren, betrachtet die Branche als absolut realitätsfern. "Eine Bäckerei, die einmal zumacht, die macht nie wieder auf“, sagt Wolfgang Süpke, Bäcker aus Sömmerda. Der Aufwand für sämtliche Genehmigungen, die ein Lebensmittel verarbeitender Betriebe brächte, wäre einfach zu hoch.

Immerhin: Bäckermeister Oliver Schieke aus Dessau macht genau das, was der Minister empfohlen hat: Seine vom Großvater gegründete Bäckerei mit inzwischen zwei Filialen und elf Mitarbeitern legt er zum 1. Oktober still. Allerdings für immer. Es lohnt sich schlichtweg nicht mehr.

"Ich könnte bei der Investitionsbank wegen der hohen Energiekosten Hilfe beantragen. Aber die muss ich ja wieder zurückzahlen. Großen Unternehmen wird das Geld fast hinterhergeschmissen und wir sollen das mit unseren Ersparnissen bezahlen. Da muss die Regierung handeln", sagt er. Bis zum Ende des Jahres wird Oliver Schieke noch Großkunden beliefern. Dann sei endgültig Schluss.  

MDR Wirtschaftsredaktion

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 20. September 2022 | 20:15 Uhr

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