Teller, Tassen und Schalen laufen in der Produktion einer Porzellanfabrik durch einen Ofen
Energieintensive Prozesse in Unternehmen (wie hier im Bild bei der Porzellanherstellung) verteuern die Produktionskosten durch die Energiekrise immens. Bildrechte: picture alliance/dpa/David Ebener

Umfrage des Zentralverbands des Deutschen Handwerks Wie geht es dem Handwerk in Mitteldeutschland?

19. September 2022, 10:55 Uhr

Kreishandwerkschaften oder einzelne Betriebe haben mehrfach in offenen Briefen von der Bundesregierung gefordert, die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland zu beenden, damit Rohstoffe und Energie wieder bezahlbar würden. Wie ist die Lage des Handwerks in Mitteldeutschland? Welche Branchen sind besonders gefährdet? Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hat Unternehmen nach ihrer aktuellen finanziellen Situation befragt.

Monatlicher Gasabschlag hat sich versechsfacht

Tom Thieme hat ein Textilpflegeunternehmen in Zwickau. Der Betrieb, der 1986 von seiner Mutter gegründet wurde, beschäftigt aktuell 16 Angestellte. Das Unternehmen kümmert sich täglich um eine Tonne Wäsche und hat dabei einen Gasverbrauch von 300 000 kWh. Zahlte er früher jährlich 15.000 Euro für sein Gas, wird er nun ca. 90.000 Euro dafür aufbringen müssen. Große Rücklagen konnte das Unternehmen in der Vergangenheit nicht bilden, die finanzielle Mehrbelastung muss deshalb an die Kunden weitergegeben werden. "Aktuell sind die Kunden bereit, die Preiserhöhungen mitzugehen. Aber ob das am Jahresende und einer gegebenenfalls weiteren Erhöhung immer noch der Fall sein wird, ist die große Frage bei uns", sagt der Unternehmer

Umfrage des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks zeigt: Kostensteigerung kann kaum an Kunden weitergegeben werden

Nicht jedes Handwerksunternehmen ist in der Lage, die Preise weiterzugeben. In einer Sonderumfrage des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) zu den Auswirkungen der andauernden geopolitischen Krisensituation antworteten zum Beispiel 79% der mitteldeutschen Betriebe aus den Gesundheitsgewerken, dass sie die gestiegenen Kosten nicht an die Kunden weitergeben können. Laut ZDH dürfte die Betroffenheit der Gesundheitsgewerke deswegen so hoch ausfallen, weil Absatzpreise für viele Gesundheitsprodukte vorab zwischen den Erbringern und den Krankenkassen festgelegt wurden und, falls möglich, nur mit zeitlichem Abstand angepasst werden können.

Fehlende Kaufkraft der privaten Haushalte

Neben der vertraglichen Bindung an feste Absatzpreise beklagen viele Betriebe die Kaufzurückhaltung der privaten Haushalte. Laut der aktuellen Ifo-Konjunkturpronose ist erst einmal keine Besserung in Sicht. Man gehe davon aus, dass die Energieversorger vor allem zum Jahresbeginn 2023 ihre Strom- und Gaspreise spürbar an die hohen Beschaffungskosten anpassen werden und die Inflationsrate somit im ersten Quartal 2023 mit etwa 11% voraussichtlich ihren Höhepunkt erreichen wird.

Damit würden die realen Haushaltseinkommen kräftig zurückgehen und die Kaufkraft weiter spürbar sinken. Eine Steigerung der realen Haushaltseinkommen wird erst für Mitte 2023 prognostiziert, eine Normalisierung der Wirtschaft wird aber noch länger dauern, wie Prof. Timo Wollmershäuser auf der Seite des Ifo-Instituts darlegt: "Die Kürzungen der Gaslieferungen aus Russland im Sommer und die dadurch ausgelösten drastischen Preissteigerungen verhageln die wirtschaftliche Erholung nach Corona. Erst 2024 erwarten wir eine Normalisierung mit 1,8% Wachstum und 2,4% Inflation."

Beschaffungskosten senken Betriebsumsatz

Textilreinigungsunternehmen wie das von Tom Thieme nutzen hauptsächlich Erdgas für die Prozesswärme in den Produktionsabläufen. Insgesamt gaben circa. 20,7% der mitteldeutschen Unternehmen an, Erdgas zu nutzen. Der Anteil der Beschaffungskosten im Vergleich zum Betriebsumsatz nimmt dadurch zu. War der Anteil im Kfz-Handwerk 2021 noch bei 8.3%, gaben die an der ZDH-Umfrage teilnehmenden Kfz-Unternehmen an, dass dieser aktuell bei 12,3% liegt. Auch nach der Möglichkeit eines Wechsels zu anderen Energiequellen wurden die Unternehmen befragt: 7,4 % von ihnen setzen bereits auf alternative Energiequellen, weitere 10,8% hätten das geplant. Auch Textilpflege-Unternehmer Tom Thieme ist in Gesprächen über alternative Energiequellen: "Mir wurde Strom vorgeschlagen, sprich die Trockner sollen mit Strom beheizt werden. Doch dann hört man, dass auch der Strompreis steigen soll. Dann ist die Frage: Was ist dann wieder besser?"

Energiekosten und Lieferausfälle bedrohen Handwerk

Das Unternehmen von Tim Thieme ist derzeit nach eigener Aussage nicht in seiner Existenz bedroht. 68,5% der mitteldeutschen Handwerksunternehmen (74% deutschlandweit) geben an, dass sie sich ebenfalls nicht in Liquiditätsschwierigkeiten befinden. 23,1% der Unternehmen (18% deutschlandweit) sehen sich durch die Energiekosten in ihrer Existenz bedroht. Diese Zahl steht im Verhältnis zu den Unternehmen, welche hauptsächlich Erdgas für ihre Prozesswärme nutzen. "Diese Betriebe gehen unter, wenn ihnen nicht schnell ein Rettungsring aus direkten und unbürokratischen Härtefallhilfen zugeworfen wird", so der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks Hans Peter Wollseifer. "Um eine Insolvenzwelle im Handwerk zu verhindern, muss die Unterstützung jetzt kommen", sagt er. Neben den Kostensteigerungen für Energie geben 16,9% der mitteldeutschen Unternehmen (14% deutschlandweit) Lieferengpässe als Grund für Liquiditätsschwierigkeiten an.

Drohende Insolvenzwelle erstmal nicht in Sicht

Steffen Müller, Leiter der IWH-Abteilung Strukturwandel und Produktivität und der dort angesiedelten Insolvenzforschung, sieht keine Insolvenzwelle bevorstehen: "Von einer drohenden Insolvenzwelle kann trotz steigender Zahlen derzeit nicht gesprochen werden." Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle erwartet in seinem Insolvenztrend für den Oktober aber dennoch deutlich höhere Insolvenzzahlen, die etwa ein Drittel über denen von Oktober 2021 liegen werden. Neben den gestiegenen Energiekosten und den Lieferengpässen wird laut IWH die von der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgerufene Zinswende die Refinanzierungskosten der Unternehmen erhöhen. Die Mindestlohnerhöhung ab Oktober sowie hohe Lohnforderungen der Gewerkschaften würden die Lohnkosten weiter in die Höhe treiben.

Habeck will Handwerk schützen

Beim dritten digitalen Mittelstandsgipfel diese Woche wurde beschlossen, das Energiekostendämpfungsprogramm auszuweiten. Nun können auch das Handwerk und die Dienstleistungswirtschaft davon profitieren, wenn sie es nur mitbekommen. 74,2% der an der ZDH-Umfrage teilnehmenden Handwerksbetriebe haben nämlich angegeben, das Energiekostendämpfungsprogramm nicht zu kennen. Lediglich 0,2 % hatten zum Ende der Umfrage (7.9.2022) einen Antrag gestellt. Diese Zahl wird sehr wahrscheinlich steigen, denn 22,6% gaben in der Umfrage an, keinen Antrag gestellt zu haben, da ihr Betrieb (bisher) nicht berechtigt sei.

MDR Wirtschaftsredaktion

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR aktuell | 15. September 2022 | 17:45 Uhr

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