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Inflation trifft kleinen GeldbeutelEntlastungen der Bundesregierung: Wie viel kommt davon bei Geringverdienern an?

11. August 2022, 17:11 Uhr

Unter den Preisexplosionen für Energie und Lebensmittel leiden vor allem Geringverdiener. Mit zahlreichen Hilfspaketen versucht Vater Staat die Belastungen zu lindern. Experten haben nun berechnet, wie damit der Preisanstieg aufgefangen wird.

von Frank Frenzel, MDR Wirtschaftsredaktion

Aktuelle Studie: Entlastungspakete wirken

Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos – so könnte man eine aktuelle Studie über die Wirkung der staatlichen Entlastungspakete umschreiben. Diese wirken tatsächlich und ziemlich zielgenau – bei Paaren mit zwei Kindern in Grundsicherung (HartzIV) dämpfen die staatlichen Hilfen den Preisanstieg um 91%, bei einem 2-Personen Durchschnittshaushalt sind es immerhin noch 64%. Verlierer sind hingegen alleinlebende Senioren mit geringer Rente (nur 10% Entlastung).

Das zur gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gehörende Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung ist der Frage nachgegangen, wie angesichts der hohen Inflation die staatlichen Entlastungspakete wirken. Dazu zählen das Steuerentlastungsgesetz 2022 mit verbessertem Grundfreibetrag, höherer Werbungskostenpauschale und höherer Entfernungspauschale, außerdem Kinderbonus, vorzeitige Abschaffung der EEG-Umlage, Heizkostenzuschuss für Wohngeldbeziehende, Energiepreispauschale, das 9-Euro-Ticket oder die Steuersenkungen bei Benzin und Diesel.

Wie diese Maßnahmen verschiedene Haushaltstypen entlasten, haben die Wissenschaftler Katja Rietzler, Silke Tober und Sebastian Dullien genau untersucht. Grundlage sind Haushaltstypen und Durchschnittseinkommen, wie sie in der amtlichen Statistik (Einkommens- und Verbrauchsstichprobe EVS) erfasst sind.  

Rekordinflation seit Wiedervereinigung

Offiziell lag die Inflation im Juli bei 7,5% im Vergleich zum Juli 2021. Im Monat Juni waren es 7,6%. Eine so hohe Inflation gab es seit der Wiedervereinigung nicht. Geringverdiener leiden überproportional unter steigenden Preisen, wenn sie lebensnotwendige Dinge betreffen, wie das bei Lebensmitteln und Energie der Fall ist.

So stiegen die Preise für Haushaltsenergie (Strom und Gas) um 38%, für Kraftstoffe (Benzin und Diesel) um 26% und für Nahrungsmittel um 10%. Bei ihren Berechnungen sind die Wissenschaftler von Jahresdurchschnittswerten bei Einkommen und Inflation ausgegangen. Für die Inflation legen sie eine Teuerung von 6,9% für das gesamte Jahr 2022 zugrunde.

Übersicht der Maßnahmen aus dem Entlastungspaket der Bundesregierung

Tabelle Quelle: Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung
ZeitpunktMaßnahmePotentielle Entlastungen
Rückwirkend zum 1. Januar 2022Grundfreibetrag: von 9.984 auf 10.347 Eurobis zu 77 Euro
Rückwirkend zum 1. Januar 2022Werbungskostenpauschale: von 1.000 auf 1.200 Eurobis zu 95 Euro
Rückwirkend zum 1. Januar 2022Entfernungspauschale: ab dem 21. km auf 38 ctbis zu 1,42 ct je km
Juni – August 2022Absenkung Energiesteuer auf Benzin und Diesel35 ct/l bzw. 17 ct/l
Juni – August 20229-Euro-Ticket im Nah- und Regionalverkehrdurchschn. 42 Euro*
Juni – August 2022Heizkostenzuschuss für Wohngeldbeziehende, Studierende, Azubis und SchülerInnen230 bis 560 Euro**
Juni – August 2022Vorzeitige Abschaffung der EEG-Umlagedurchschn. 63 Euro
Juni – August 2022Sofortzuschlag für von Armut betroffene Kinder20 Euro pro Monat
Juni – August 2022Zahlung innerhalb der Grundsicherung200 Euro
Juni – August 2022Kinderbonus0 bis 100 Euro
September 2022Energiepreispauschale158 bis 300 Euro

Erläuterungen:
* Die tatsächliche Ersparnis kann insbesondere bei Benutzung des Regionalverkehrs vierstellig sein.
**560 Euro für einen 5-Personenhaushalt, 70 Euro mehr je zusätzlicher Person.

– Quellen: Deutscher Bundestag, Berechnungen des IMK –

Wer wird davon nun wie entlastet?

Hohe Entlastung bei Beziehern von Grundsicherung

"Gewinner" der Entlastungspakete sind eindeutig die Bezieher von Grundsicherung. Sie werden prozentual am meisten entlastet. Für diese Personengruppe haben die Wissenschaftler eine Entlastung von 91% für Paare mit zwei Kindern bzw. 90% für Alleinlebende errechnet. Dieser Betrag ist deshalb so hoch, weil diese Menschen nicht von Preissteigerungen für Haushaltsenergie wie Gas oder Wärme betroffen sind. Diese zahlt der Staat durch die Übernahme der Betriebskosten. Außerdem wirken staatliche Direktzahlungen wie Kinderbonus, "Zahlung innerhalb der Grundsicherung" oder Sofortzuschlag für von Armut betroffene Kinder.

So gut wie 91% oder 90% Entlastung auch klingen mögen, wissen muss man, dass auch die verbleibenden 10% für die Betroffenen eine hohe Belastung darstellen können. Denn diese Menschen können meist nicht auf Ersparnisse zurückgreifen oder ihre Mehrkosten anderweitig kompensieren.

Geringverdiener auch stark entlastet

Auch Geringverdiener profitieren besonders stark von den Entlastungspaketen. Diese kompensieren bei Alleinlebenden mit einem Monatsnettoeinkommen von unter 900 Euro die Preissteigerungen zu 75% und bei Paaren mit zwei Kindern und einem Nettoeinkommen von 2.000 bis 2.600 Euro zu 64%. Hier greifen sowohl Einmalzahlungen, wie z.B. die Energiepreispauschale oder der Kinderbonus als auch steuerliche Entlastungen. In absoluten Zahlen ist für diesen Haushaltstyp die Entlastung durch Steuern, Transferzahlungen und preislichen Entlastungen mit 1.060 Euro im Jahr absolut am höchsten. Diese Werte für ein Paar mit zwei Kindern gelten indes nur, sofern beide Erwachsenen erwerbstätig sind. Bei nur einem Verdiener reduziert sich dieser Betrag um 300 Euro, weil die Energiepreispauschale nur erwerbstätigen Personen zu Gute kommt.

Dass die Maßnahmen speziell bei Geringverdienern wirken, zeigt sich auch im Vergleich mit Alleinlebenden, die ein hohes Einkommen erzielen: Hier ist die Entlastung prozentual viel geringer. Wer über 5.000 Euro netto im Monat verdient, kann die Preissteigerungen nur zu 38% dämpfen.

Blick auf den Durchschnittshaushalt

Auch für den statistischen Durchschnittshaushalt haben die Wissenschaftler die prozentuale Entlastung errechnet. Dieser Haushaltstyp besteht aus zwei Personen, hat ein Jahresbruttoeinkommen von 63.727 Euro und kommt auf eine Entlastung von immerhin 60%.

Verlierer sind die Rentner

Bei den Entlastungspaketen gibt es auch Verlierer, also Menschen, die kaum davon profitieren. Und das sind Senioren mit geringen Renten. Alleinstehende Ruheständler, die z.B. von knapp 900 Euro netto im Monat leben müssen und keinen Anspruch auf Wohngeld haben, kommen nur auf eine Entlastung von 10 %. Das liegt vor allem daran, dass diese Rentner keine Steuern zahlen und demzufolge auch nicht von steuerlichen Entlastungen profitieren können. Das größte Problem ist jedoch, dass die Ruheständler keine Energiepreispauschale bekommen. "Hier zeigt sich eine klare Lücke in dem Entlastungspaket", so die Autoren der Studie. Sie sehen dringenden Nachholbedarf seitens der Politik, auch diese Personengruppe stärker zu entlasten.

Immerhin: Sofern ein Wohngeldanspruch besteht und daher der Heizkostenzuschuss in Höhe von 270 Euro in Anspruch genommen werden kann, erhöht sich die Entlastung für Ruheständler mit geringem Einkommen auf 46%.

Große Unbekannte in der Rechnung: Kosten für Verkehrswege

Bei ihren Untersuchungen sind die Wissenschaftler von Durchschnittswerten ausgegangen, z.B. wie viel Einkommen einem bestimmten Haushaltstyp monatlich zur Verfügung steht oder welchen Anteil z.B. Lebensmittel am statistischen Warenkorb dieses Haushaltstyp ausmachen. Die große Unbekannte ist dabei die Nutzung der Verkehrsmittel. Zwar gibt es dafür auch Durchschnittswerte, diese sagen aber nur aus, wie viel ein Haushalt prozentual für Verkehr (Anteil an den Gesamtausgaben) ausgibt. Dabei wird nicht unterschieden, ob die Kosten für öffentliche Verkehrsmittel oder für den private PKW anfallen. Wer als Arbeitnehmer drei Monate lang günstig mit dem 9-Euro-Ticket zur Arbeit gelangen kann, weil es das Verkehrsangebot zulässt, spart wesentlich mehr als jemand, der trotz Benzinpreisbonus jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit pendeln muss.

Trotz Entlastung – die Lage bleibt ernst

"Im Großen und Ganzen bewirken die staatlichen Maßnahmen eine umfangreiche und sozial weitgehend ausgewogene Entlastung der privaten Haushalte", so das Fazit der Autoren der Studie vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung zur Wirksamkeit der Entlastungspakete.

Doch auch wenn die staatlichen Hilfen wirken, so bleibt für Geringverdiener die Lage ernst. Denn auch die verbleibenden Belastungen machen Geringverdiener schwer zu schaffen. Wer wenig Einkommen hat, verfügt in der Regel über wenig Ersparnisse und kann Preissteigerungen, unvorhergesehene Reparaturen, Anschaffungen oder auch Nebenkostennachzahlungen nicht oder nur schlecht kompensieren. Oft erfolgen dann Ausweicheffekte, d.h., die Betroffenen kaufen billigere, sprich minderwertigere Lebensmittel, gesunde Ernährung ist nur mit Einschränkungen möglich. Generell sind für diese Einkommensbezieher die Ausgaben für Gesundheitsfürsorge gering, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wie Kunst, Kultur, aber auch Urlaub und Reisen kaum noch möglich. Eine hohe Inflation verstärkt diesen Effekt.

Ausblick: Es wird nicht besser

Die Wissenschaftler geben in ihrer Studie auch einen Ausblick auf das kommende Jahr. Sie gehen davon aus, dass die Inflationsrate von jetzt ca. 7% auf unter 3% sinken könnte. Dennoch bedeutet das keine Entwarnung – denn die 3% kommen auf die jetzt hohen Preise hinzu. Ohne nennenswerte Einkommenszuwächse ist das nicht zu kompensieren. Der Staat wird Geringverdiener wohl auch 2023 entlasten müssen.   

MDR Wirtschaftsredaktion

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 11. August 2022 | 10:55 Uhr