Präzise Landwirtschaft Digitale Technologien auch auf dem Acker

24. August 2022, 05:00 Uhr

Schon seit längerem sind digitale Strukturen auch bei unseren Landwirten nicht mehr wegzudenken und weitestgehend akzeptiert. Dennoch steckt die sogenannte Präzisionslandwirtschaft noch in ihren Kinderschuhen. Mitteldeutsche Landwirte jedoch sind beim Einsatz neuer digitaler Technologien ganz vorn mit dabei.

Roboter im Stall

Wir blicken in einen Kuhstall im thüringischen Kauern. Hier dürfen sich die Kühe nicht nur frei bewegen, sie bekommen auch Massagen. Alles vollautomatisch, versteht sich. Doch damit nicht genug: Hier fahren auch Roboter, die die Gülle regelrecht aufsaugen. Das schont die Klauen und es bleibt sauber im Stall.

Die Gülle wiederum wird genutzt, um über eine Biogasanlage Wärme im Stall zu erzeugen. Ein weiterer Roboter schiebt den Kühen ihr Futter immer wieder in Position – Tag und Nacht.

Software und Videokameras geben Überblick

Anstelle von Glocken tragen Kühe Halsbänder, die durch eine Sensorik sämtliche Vitaldaten der Kuh übertragen. Das eingebaute Mikrofon gibt beispielsweise Auskunft über die Wiederkäuaktivität der Kuh. Käut sie nicht wieder, hat sie keinen Hunger oder ist eventuell sogar krank. Lediglich eine Person ist zur Überprüfung der Daten nötig und verantwortlich für rund 570 Tiere.

Uwe Schmidt, Geschäftsführer Rinderhof-Kauern, ist von der Technik überzeugt. Man könne sich, zeitnah und dezentral, einen Überblick über den Zustand der Tiere verschaffen – ohne vor Ort sein zu müssen. Ein Vorteil, sagt er: "Wir haben auch eine Software, die uns entsprechend dabei unterstützt."

Früher untersuchte alle zwölf Stunden ein Mitarbeiter die Kühe. Heute erledigt das Technik autark. Wurden damals Entscheidungen sehr individuell getroffen, analysiert die Technik heute alles und macht die Daten auch auf dem Handy verfügbar. Zusätzliche Sicherheit geben Videokameras in den Kalbeboxen.

Maschinen ersetzen menschliche Arbeitskraft

Vier vollautomatische Melkroboter erleichtern die Kühe von ihrer Milch. Bis zu fünf Mal am Tag gehen sie freiwillig hin, angelockt mit individuell auf die Kuh abgestimmtem Futter, erklärt Klaus-Jürgen Plötner, Vorsitzender der Agrargenossenschaft Kauern.

Durch den Einsatz der Maschinen konnten die Arbeitskräfte im Stall um gut die Hälfte reduziert werden. Die verbliebenen übernehmen nun eine Kontrollfunktion oder widmen sich Aufgaben, die sonst zu kurz kamen. Die Kuh bedankt sich mit höherer Milchleistung. Auf lange Sicht haben die Roboter aber vor allem einen positiven wirtschaftlichen Effekt, sagt Klaus-Jürgen Plötner. Erst ab dem Alter von zwei Jahren gebe ein Kuh überhaupt Milch: "Und erst dann habe ich einen Ertrag davon. Diese Maßnahmen, die wir alle machen, zielen immer wieder darauf, frühzeitig Probleme einer Kuh zu erkennen. Sie zu pflegen, zu hegen, um sie möglichst lange bei uns zu behalten."

Vorbild für Schweinezuchtanlagen

Ähnlich beispielhaft wie die Viehzucht in Kauern könnte auch Schweinezucht ablaufen, zeigt ein Forschungsprojekt in Niedersachsen. Durch Sensorik und Kameras wird nicht nur der Zustand des Schweins erfasst, sondern auch die Luft- und Gaszufuhr im Stall geregelt. Entsteht zu viel Ammoniak, reizt das beispielsweise die Augen. Wird ein Schwein krank, kann das die Wärmebildkamera in der Tränke übertragen. Die Folge: Nicht alle, sondern nur ein Schwein muss dann eventuell mit Antibiotika behandelt werden.

Präzise Landwirtschaft dank guter Datenlage

Mit einer solchen digitalen Datenanalyse kann sowohl in der Viehzucht als auch im Pflanzenbau präziser gearbeitet werden. Man spricht deshalb auch von präziser Landwirtschaft. Peer Leithold, Geschäftsführer der Agricon GmbH, beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit genau diesem Thema. Die bessere Datenlage führe "zwangsläufig zu einer höheren Effizienz und zu einer Leistungssteigerung", sagt er.

Die immer größeren Flächen heutiger Landwirte sind kaum noch zu bewirtschaften. Es mangelt an Arbeitskräften, hinzu kommt stetiger Preisdruck. Moderne Technologien ermöglichen es, effizient, zeitsparend und sogar nachhaltig zu arbeiten.

Drohnen und Kugelwerfer im Kampf gegen Schädlinge

Drohnen erleichtern auch den Garten- und Landschaftsbau. Durch verschiedene Kamerasysteme und deren Daten können später präzise Aussagen zum Wachstum, Trockenstress und Krankheits- oder Unkrautbefall getroffen werden. Im Ackerbau wird die Drohne zum Beispiel eingesetzt, um Schlupfwespen zu verteilen. Diese helfen den Maiszünsler zu bekämpfen, das ist ein Schädling.

Dennoch sind manche Ackerbauflächen in Mitteldeutschland zu groß für diese Methode. Ein Betrieb bei Magdeburg hat deshalb eine eigene technische Lösung dafür entwickelt: Kugelwerfer, deren Kugeln mit jeweils 1.600 Schlupfwespenlarven befüllt sind und auf 26 Meter ausgeworfen werden können. Mit dieser Technik könne eine Fläche von 40 Hektar in nur zwei Stunden abgearbeitet werden, berichtet Helge Witt, Fachberater für Agrar und Umwelt bei der Blunk Lalendorf GmbH. Der Kugelwerfer muss sich aber noch beweisen. Er ist erst seit Juli im Einsatz und funktioniert noch nicht ganz so, wie er soll. "Die Maschine schaltet teilweise alleine ab, wenn sie in Bereiche kommt, die sie schon bearbeitet hat", erklärt Helge Witt. Deswegen ist hier aktuell noch ein zweiter Mitarbeiter im Einsatz, der das mit im Blick hat.

Mitteldeutschland als Vorreiter für präzise Landwirtschaft

Präzise Landwirtschaft ist besonders in Mitteldeutschland auf dem Vormarsch. Deutschlandweit gibt es hier die meisten Betriebe, die neuen Technologien aufgeschlossen gegenüberstehen, sagt Peer Leithold von der Agricon GmbH. Zum einen liege das an der guten Forschungslandschaft Ostdeutschlands. Andererseits aber auch an den großen Betrieben: "Wir haben den größeren Markt. Also war hier auch zuerst die Entfaltungsmöglichkeit gegeben, und das schafft eine größere Dynamik."

Und so wundert es nicht, dass im Osten nun auch erste Roboter auf dem Feld unterwegs sind. Ein Beispiel ist der Naio Oz, ein kleiner Hackroboter, der nach Programmierung eigenständig seine Bahnen zieht und die Felder unter anderem von Unkraut befreit. Auf Forschungsfeldern wie dem des Leibniz Instituts in Müncheberg ist er bereits unterwegs. Ein 70 Hektar großes Feld wurde dafür in viele kleine Felder unterteilt.

Feldroboter: Mehr Vielfalt und Artenschutz?

Kathrin Grahmann vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. ist Expertin auf dem Gebiet. "Die Feldroboter geben uns die Möglichkeit, unsere Felder wieder vielfältiger zu gestalten", sagt sie – vor allem auch im Hinblick auf den Schutz von Insekten.

Positiv auch: Der Roboter passt sich dem Bodentyp an und schlägt so entsprechende Wege im Feld ein. Höhen und Tiefen kann er dabei problemlos überwinden. Er spart also nicht nur Zeit und Arbeitskraft, sondern schafft komplett neue Feldstrukturen. Durch das geringe Gewicht sorgen sie außerdem für deutlich weniger Bodenverdichtung.

Technik wie diese wird die Landwirtschaft verändern. Durch präzises Arbeiten wird bestensfalls auch die Herstellung von Produkten transparenter und nachvollziehbarer.

MDR Wirtschaftsredaktion

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 23. August 2022 | 20:15 Uhr

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