Mann mit weißem Helm arbeitet in Fotovoltaikanlage bei Sonnenuntergang
Die ostdeutsche Wirtschaft entwickelt sich gut. Bildrechte: IMAGO / CHROMORANGE

Faktencheck Ostdeutsche Wirtschaft in Europa mindestens in oberer Hälfte

27. Juni 2024, 07:30 Uhr

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hat gesagt, dass die Wirtschaft der ostdeutschen Länder im oberen Drittel aller europäischen Staaten liegen würde. Die Frage lässt sich nicht einfach beantworten. Feststeht: Die Wirtschaft in Ostdeutschland hat sich sehr gut entwickelt.

Tatsächlich hat sich Ostdeutschland wirtschaftlich gut entwickelt. Auch im europäischen Vergleich. Das bestätigt Oliver Holtemöller, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Martin-Luther-Universität Halle und Leiter der Abteilung Makroökonomik am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Aber: "Mit dem oberen Drittel – das klappt nicht ganz. Aber es gibt auch verschiedene Berechnungsmethoden." In der oberen Hälfte würde Ostdeutschland sich aber auf jeden Fall befinden.

Der in der Wissenschaft akzeptierte Berechnungsweg ist folgender: Man nimmt das Bruttoinlandsprodukt, rechnet die Preisunterschiede zwischen den europäischen Ländern heraus und ermittelt dann die Kaufkraft pro Einwohner.

Arbeitsproduktivität stark gestiegen

Robert Lehmann, Konjunkturexperte beim ifo-Institut, kommt für Europa insgesamt zu einer etwas anderen Einschätzung: Bezöge man sich "auf Europa insgesamt" und nehme man auch die EU-Beitrittskandidaten dazu, "dann kann man der Aussage von Herrn Ramelow durchaus zustimmen".

Dieses Ranking berücksichtige allerdings nicht, wie viele Menschen in einer Region leben, gibt Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung zu bedenken: "Wenn man sich das gewichtet anschaut, dann liegt das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner in Thüringen und auch in den anderen ostdeutschen Bundesländern unter dem EU-Durchschnitt."

Ein Mann lehnt am Geländer eines Springbrunnens vor einem verglasten Gebäude. 44 min
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Man müsse also differenzieren. Wichtig sei zum Beispiel auch, die Veränderung über die Zeit zu betrachten, sagt Holtemöller: "Ostdeutschland ist 1990 bei etwa einem Drittel der Arbeitsproduktivität von Westdeutschland gestartet. Jetzt liegt man bei über 80 Prozent. Das ist eine Wahnsinns-Erfolgsgeschichte." Das habe es nirgendwo sonst auf der Welt gegeben.

Dennoch viel Unzufriedenheit

Warum aber sehen sich dann so viele Ostdeutsche als Verlierer, wie Bodo Ramelow es beklagt? Diese Frage treibt den Konjunkturexperten beim ifo-Institut Robert Lehmann auch selbst um: "Wir haben starke und gut funktionierende Sozialsysteme. Wir werden aufgefangen. Arbeit ist da. Die Arbeitslosigkeit im Osten ist so niedrig wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Deswegen ist es mir schleierhaft, warum die Wahrnehmung so viel schlechter ist, als was wir eigentlich erreicht haben."

Das eine sei die Wirtschaftskraft, das andere der subjektiv empfundene Wohlstand, sagt Oliver Holtemöller. Die Durchschnittszahlen je Einwohner seien zwar eindrucksvoll, aber das heiße nicht, dass jeder gewonnen habe. "Für das subjektive Wohlempfinden kommt hinzu, dass nicht nur ökonomische Faktoren eine Rolle spielen". Bei vielen älteren Menschen seien etwa die Kinder weggezogen. Das trage dazu bei, dass eine gewisse Unzufriedenheit herrsche.

Halten wir also fest: die ostdeutsche Wirtschaft liegt im europäischen Vergleich mindestens in der oberen Hälfte. Und übrigens: Wenn wir Ostdeutschland mit den ehemaligen Ostblockstaaten, die heute in der EU sind, vergleichen, liegt Ostdeutschland sogar im oberen Viertel.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 26. Juni 2024 | 06:50 Uhr

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