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Nach LeitzinserhöhungWas die Zinswende für Verbraucher bedeutet

14. Juni 2022, 15:52 Uhr

Die Europäische Zentralbank erhöht den Leitzins auf 0,25 Prozent und verabschiedet sich damit von ihrer Nullzinspolitik in den letzten Jahren. Was bedeutet dieser Schritt für Konsumenten, Sparer und Häuslebauer in Deutschland und im Euro-Raum?

Was ist eine Zinswende?

Der Begriff Zinswende bezieht sich auf die Änderung des Leitzinses der Zentralnotenbanken. Je nach fiskalpolitischer Ausgangslage kann es sich dabei entweder um eine Anhebung oder eine Senkung des aktuellen Leitzinses handeln.

Nachdem der Leitzins in den letzten 20 Jahren Stück für Stück sank und zuletzt jahrelang bei 0 Prozent lag, erwarten Experten im Juli erstmals wieder einen Anstieg, wenn auch nur auf 0,25 Prozent. Diesen Wechsel in die andere Richtung nennt man Zinswende. 

Was bedeutet sie für Sparer?

Zunächst werden mit der Zinswende die Negativzinsen verschwinden – das ist die gute Nachricht. Noch verlangen viele Banken sogenannte Verwahrentgelte, d.h. für das Geld auf der Bank bekommt der Kunde keine Zinsen, sondern muss Geld bezahlen, auch Negativzins oder Strafzins genannt.  

Hier eine Auflistung von Geldinstituten, die Negativzinsen kassieren beziehungsweise Banken ohne Strafzins.

Auch steigende Sparzinsen dürften bald wieder möglich sein. Vor 20 Jahren, also 2002, gab es noch 4,1 Prozent Zinsen auf ein Tagesgeldkonto. Aktuell zahlt man bei 50.000 Euro über dem Freibetrag mitunter minus 0,5 Prozent, also Strafzinsen: In diesem Fall 250 Euro pro Jahr. Schon eine Zinserhöhung auf ein Prozent würden 500 Euro Zinsen im Jahr abwerfen. Würde der Wert wie vor 20 Jahren auf 4,1 Prozent steigen, so wären es sogar 2.050 Euro Zinsen pro Jahr.  Aber daran ist aktuell nicht zu denken.

Und noch etwas muss man beachten: Wegen der zurzeit hohen Inflation bleibt den Sparern real gerechnet noch weniger Ertrag als früher. Selbst wenn z.B. die Sparzinsen auf 2 Prozent stiegen, so bliebe bei einer Inflation von 7 Prozent ein realer Verlust von 5 Prozent. Das ist mehr, als würden bei einer Inflation von 3 Prozent wie in den letzten Jahren, die Zinsen bei 0 Prozent verharren – mit einem realen Verlust von "nur" 3 Prozent.

Was bedeutet die Zinswende für Häuslebauer?

Nichts Gutes! Die Bauzinsen sollten steigen, sagt Hermann-Josef Tenhagen von finanztip. Ohnehin seien sie schon im vergangenen halben Jahr von einem Prozent auf drei Prozent für einen Standard-Baukredit geklettert.

Wer z.B. einen Immobilienkredit von 300.000 Euro noch vor einem Jahr zu einem Zinssatz von einem Prozent abschließen konnte, zahlte dafür – ohne Tilgung – 3.000 Euro im Jahr oder 250 Euro im Monat. Bei 3 Prozent Zinsen erhöht sich die Belastung im Jahr auf 9.000 Euro, also 750 Euro im Monat. Bei solchen Steigerungen könnten viele Immobilieninteressenten ihre Kaufabsichten begraben.

Wer eine Baufinanzierung sucht, sollte sich daher beeilen, denn der Trend wird sich fortsetzen, wenngleich nicht so rasant wie in den letzten Monaten. Wer schon eine Immobilie finanziert, bei der die Zinsbindung demnächst ausläuft, der könnte sich mit einem sogenannten Fowarddarlehen noch vergleichsweise günstige Konditionen sichern, um sich vor noch höheren Zinsen zu schützen.

Ob höhere Bauzinsen für sinkende Immobilienpreise sorgen, weil sich viele einen Kauf nicht mehr leisten können, halten viele Experten für wenig realistisch. Zwar sind jetzt schon viele Käufer nicht mehr bereit, sich auf die hohen Immobilienpreise einzulassen. Dennoch gibt es mehrere gegenläufige Trends, die dafür sorgen, dass die Preise auf hohem Niveau bleiben. Selbst wenn Immobilienkäufer angesichts steigender Zinsen noch schnell zuschlagen wollen, so treffen sie auf ein begrenztes Angebot. Wegen der hohen Inflation bieten derzeit weniger Eigentümer ihre Immobilien zum Verkauf an. Außerdem bremsen hohe Baustoffpreise und Lieferengpässe den Neubau aus.

Gibt es neben Sparern noch andere Gewinner? 

Ja, aber nur indirekt – wegen der hohen Inflation. Wer heute einen noch günstigen Kredit abzahlt, egal ob Ratenkredit für ein Auto, für andere Anschaffungen oder gar ein Immobiliendarlehen, für den dürfte die Belastung sinken, sofern infolge der Inflation auch die Einkommen, also Löhne und Gehälter, steigen. Das dürfte sich besonders bei günstigen Immobiliendarlehen mit langen Laufzeiten auszahlen. Denn die Tilgungsrate bleibt gleich, während das Einkommen steigt und so im Verhältnis zum (nun höheren) Einkommen weniger bezahlt werden muss.

Wie ist die Zinswende zu bewerten?

Für die EZB ist die Zinswende ein Balanceakt. Sie muss die Zinsen anheben, um auf die Inflation zu reagieren und darf zugleich aber die Wirtschaft nicht abwürgen. Erschwerend kommt hinzu, dass sie die südlichen Euro-Länder im Blick behalten muss, damit diese bei steigenden Zinsen nicht von ihrer Schuldenlast erdrückt werden.

Viele Ökonomen werfen der EZB auch nach der Ankündigung einer ersten Zinserhöhung im Juli vor, zu zögerlich zu handeln. Sie kritisieren das Vorgehen als zu spät und als unzureichend. Aus der deutschen Wirtschaft und von Ökonomen kommt Kritik am Tempo der Europäischen Zentralbank (EZB) bei den geplanten Zinserhöhungen. So bewertet der Präsident des Münchener ifo-Instituts, Clemens Fuest, das Signal zwar als "einen richtigen Schritt, der aber zu spät kommt". Es sei nicht akzeptabel, dass die Notenbank bei einer Inflation von acht Prozent bis heute an Negativzinsen und Anleihekäufen festgehalten habe.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 09. Juni 2022 | 15:00 Uhr

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