Wladimir Putin
Kostet die Diskussionen um die Energiesicherheit in Europa aus: Wladimir Putin. Bildrechte: IMAGO/ITAR-TASS

Kommentar Gas-Debatte um Nord Stream 1 hat nur Putin genutzt

21. Juli 2022, 22:28 Uhr

Russisches Gas fließt wieder durch Nord Stream 1, wenn auch weniger als früher. Doch während der Wartung der Pipeline war Deutschland im Ausnahmezustand. Der Alarmismus der Politik und Verantwortlichen hat nur Wladimir Putin genutzt. Wiederholt fehlte es der Regierung in einer Krise an einer klaren Linie, Weitsicht und Besonnenheit.

Sollte sich Wladimir Putin in den letzten zwei Wochen deutsche Talkshows zu Gemüte geführt haben, wird er sich prächtig amüsiert haben. Die planmäßige Wartung der Gaspipeline North Stream 1 versetzte die deutsche Politik und Wirtschaft in Panik. Jeden Tag wurden neue Hiobsbotschaften über den Bildschirm gejagt, von uns Medien gerade in der Saure-Gurken-Sommerzeit dankbar aufgenommen. Besonders der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hat sich hervorgetan.

Mal sollten die Zahlungen der privaten Gaskunden ums Dreifache im nächsten Jahr steigen. Ein paar Tage später verkündete er die Stabilisierung der Gaspreise. Ja was denn nun? Preisexplosion oder Entwarnung?

Der sonst recht besonnene Wirtschaftsminister Robert Habeck spekulierte laut über eine Umverteilung eines möglichen Gasmangels. Nun doch vielleicht zuerst Industrie und Gewerbe und erst dann die Privathaushalte. Die EU-Kommission verkündete gestern wieder das Gegenteil. Eine klare Linie oder Strategie: Fehlanzeige.

Deutschland kann nicht mehr Krisenbewältigung 

Der Alarmismus übertrug sich auf die Bevölkerung. In den Baumärkten lehren sich immer schneller die Regale mit den Ölradiatoren. Manche lassen sich jetzt noch schnell einen Ofen in die Wohnung oder das Haus einbauen. Wer jetzt noch Brennholz bestellen will, kann schon zu spät dran sein.

Nun fließt das Gas erst einmal wieder. Nicht im vollen Umfang, aber immerhin. Trotzdem zeigte sich in den letzten zehn Tagen wie schon zuvor in der Corona-Krise, Deutschland kann nicht mehr Krise. 2008 in der Finanzkrise war das noch anders. Innerhalb weniger Tage hatten Kanzlerin und Finanzminister die Lage und vor allem die Bevölkerung wieder beruhigt. Natürlich sind Geld und Schulden eine einfachere Ressource als Erdgas. Aber es ging damals vor allem auch darum, den Menschen die Angst um ihre Sparkonten zu nehmen.

Jetzt geht es darum, dass die Wohnungen warm bleiben und die Unternehmen genügend Energie, auch Gas haben. Aber auch da gibt es eigentlich nur eine Lösung. Wir müssen Gas sparen, damit es für beides genügend Gas gibt. Das müssen wir zu einer nationalen Aufgabe machen. Statt Vielstimmigkeit braucht es da eine klare Ansprache des Kanzlers über den Ernst der Lage, wie wir sie in den Griff bekommen und auch, dass es uns wehtun wird. Wir werden unseren Lebensstil so nicht fortsetzen können.

Gebot der Stunde: Gas sparen

Andere Länder machen es vor. Finnland hat seinen Gasverbrauch in diesem Jahr bereits um 54 Prozent gesenkt, wir erst um 6 bis 10 Prozent. Statt eine wirkliche Kampagne und konzertierte Aktion zum Sparen von Gas auf den Weg zu bringen, geht die Debatte meist nur um die finanzielle Abfederung der Belastungen durch die höheren Gaspreise. Nur hilft uns das kaum, wenn es weniger Gas gibt.

Vielmehr wäre es doch eher umgekehrt logisch: Wer weniger Gas verbraucht, zahlt auch weniger. In der energiearmen DDR, aus der ich noch Stromsperren und kalte Schulen im Winter kenne, wurde man jeden Abend im Fernsehen mit Spots zu Energiespartipps zur besten Sendezeit konfrontiert. "Gewusst wie, spart Energie", hießen die Einspieler.

Man kann das leicht als Propaganda abtun, aber brauchen wir nicht so etwas wieder? Kurz vor der Tagesschau, in den sozialen Medien. Wozu hat das Bundespresseamt 500 Mitarbeiter, wenn diese keine vernünftige und bitte auch originelle PR-Kampagne auf die Beine stellen können, um die Menschen auf den Spartrip zu bringen?

Man könnte das den Menschen gerade jetzt als Beitrag zur Solidarität mit der Ukraine gut verkaufen, wo das Mitgefühl noch nicht der Gewöhnung an den Krieg gewichen ist. Außerdem wäre es ein Beitrag für den Klimaschutz. Aber schon in der Corona-Krise und bei der Impfkampagne war dieses Amt eher ein Totalausfall, um die Anliegen der Regierung an Frau und Mann zu bringen.

Man hätte Russlands Reaktion auf die Sanktionen voraussehen müssen

Das andere Problem ist die politische Weitsicht. Da bin ich wieder bei der Bundesnetzagentur. Klaus Müller kann man für die Versäumnisse der Vergangenheit kaum einen Vorwurf machen, da er erst seit Anfang des Jahres Präsident der Behörde ist. Aber wie kann es sein, dass man die niedrigen Füllstände der Gasspeicher in den letzten Jahren offenbar einfach ignoriert hat? Und wie kann es jetzt sein, dass aus diesen Gasspeichern offenbar immer noch und weit mehr als früher Gas abfließt, um es zu verstromen? Warum kommt erst heute Habeck mit einem Energiesparpaket um die Ecke, bei der statt Gas wieder mehr Braunkohle verstromt werden soll?

Und es darf auch durchaus die Frage erlaubt sein, ob der Grundsatz noch gilt, dass wir mit den Sanktionen gegen Russland nicht uns selbst schaden wollen. Was haben wir und vor allem die Regierung denn erwartet, wenn man in diesem Umfang der Sanktionen die Wirtschaftsbeziehungen nach Russland unterbricht? Jetzt zu beklagen, dass Russland sein Drohpotential Öl und besonders Gas im Gegenzug als Waffe benutzt, scheint mir unredlich. Denn wir setzen die Sanktionen auch ganz bewusst als ökonomische Waffe zur Unterstützung der Ukraine ein.

Was haben wir und vor allem die Regierung denn erwartet, wenn man in diesem Umfang der Sanktionen die Wirtschaftsbeziehungen nach Russland unterbricht?

Diese Gegenwehr Putins hätte man beim Beschluss der Sanktionen durchaus voraussehen können. Es wäre klüger gewesen, sich erst auf diese mögliche Notlage, besonders bei den Gaslieferungen einzustellen und dann die Sanktionsschraube anzuziehen. Da diese Weitsicht im Februar gerade in Brüssel, aber auch bei den europäischen Regierungen gefehlt hat und überlegtes Handeln zugunsten von Schnelligkeit und Rache für den Überfall auf die Ukraine zurückgestellt wurde, kann Russland diese Ventile an den Pipelines sehr bewusst benutzen, um die europäische Solidarität zu zermürben.

Jetzt bleibt nur eines: Wir müssen Putin mit einer massiven Einsparung an Gas durch uns alle, egal ob privat oder in der Wirtschaft, die Möglichkeit nehmen, uns mit jedem Auf und Zu an den Ventilen der Gas-Pipelines erneut ins Bockshorn zu jagen.   

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 21. Juli 2022 | 19:30 Uhr

93 Kommentare

Bernd1951 am 23.07.2022

Hallo Wessi,
was verstehen Sie bitte unter "ob die Ukraine den Krieg gewinnen kann" ?
Und ich bin mir sicher, was den Druck betrifft, da sitzt Putin auf jeden Fall am längeren Hebel. Und die Worte von T. Herden "Was haben wir und vor allem die Regierung denn erwartet, wenn man in diesem Umfang der Sanktionen die Wirtschaftsbeziehungen nach Russland unterbricht?" sagt eigentlich alles über unsere Situation aus. Die politisch Verantwortlichen in Deutschland der letzten Jahre haben sich m. E. sehenden Auges in diese Gefahr begeben. Bei geplanten Übernahmen deutscher Unternehmen durch chinesische Unternehmen hat das Bundeskartellamt die Möglichkeit, dies zu unterbinden. Aber die Gasspeicher in Deutschland in "fremde" Hände zu geben, das ist "ungefährlich". Wandel durch Annäherung ist m. E. richtig, aber immer mit der gebotenen Umsicht, dass daraus keine einseitige Abhängigkeit wird. Und was die Sanktionen betrifft, vielleicht sucht sich Putin jetzt andere Partner (China, Indien, etc.).

Germinator aus dem schoenen Erzgebirge am 23.07.2022

"Die Sanktionen wirken, zwar langsam, aber sie wirken. "

Vor allem wirken die bei uns in Deutschland. Die wirken so gut, dass man Wärmestuben bauen will.

Germinator aus dem schoenen Erzgebirge am 23.07.2022

"denn Putin scheint nur Eines zu verstehen:DRUCK!"

Dieser Druck, wie sie das meinen, sind Sanktionen, die jetzt in erster Linie Deutschland treffen, das Deutschland, das sie so lieben.

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