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Inflations-Prognose 2023: Preisdruck sorgt für Gewinner und Verlierer in der deutschen Wirtschaft. Bildrechte: picture alliance / dpa | Patrick Pleul

PrognoseInflation sinkt – Effekte für die deutsche Wirtschaft 2023

05. Januar 2023, 05:00 Uhr

Die Inflationsrate sinkt nach einem Rekordhoch wieder. Ist das ein Grund zum Aufatmen für die deutsche Wirtschaft? Gibt es Inflationsgewinner und wer leidet besonders unter den hohen Preisen? Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Joachim Ragnitz von der ifo Niederlassung in Dresden im Interview zur Prognose für 2023.

von Anne-Kristiane Jensen, MDR-Wirtschaftsredaktion

Wie wird sich die Inflation in diesem Jahr entwickeln?

Prof. Dr. Joachim Ragnitz: Aktuellen Prognosen zufolge wird die Inflationsrate in diesem Jahr deutlich niedriger liegen als 2022, wo sie im Jahresdurchschnitt bei 7,9 Prozent lag. Das ifo Institut rechnet mit einem Anstieg der Verbraucherpreise um 6,4 Prozent. Andere Institute sind sogar noch etwas optimistischer.

Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Joachim Ragnitz ist stellvertretender Leiter der ifo Niederlassung in Dresden. Bildrechte: ifo Institut

Welche Faktoren wirken positiv und welche negativ auf die Inflation?

Prof. Dr. Joachim Ragnitz: Wesentlicher Treiber der hohen Preissteigerung im Jahr 2022 waren die gestiegenen Kosten insbesondere für Energie und andere Rohstoffe. Mit einem weiteren Preisanstieg ist hier aber nicht zu rechnen, auch weil inzwischen alternative Lieferquellen erschlossen werden konnten. Die Kosten für die Unternehmen werden zwar hoch bleiben, aber die Dynamik lässt eben deutlich nach, schon allein aus statistischen Gründen. Es gab ja einen Preissprung im März 2022, der ab März 2023 in den Inflationsraten nicht mehr sichtbar sein wird.

Auch Lieferkettenengpässe werden im kommenden Jahr wohl keine große Rolle mehr spielen. Ein gewisses Risiko sehe ich nur in den noch zu erwartenden Lohnsteigerungen, die wohl deutlich höher ausfallen werden als dieses Jahr – aber eben auch nicht so hoch, dass damit weiterer Inflationsdruck entsteht.

Welche Effekte haben dabei die Energiepreisbremsen?

Prof. Dr. Joachim Ragnitz: Die staatlichen Maßnahmen zur Senkung der Energiekostenbelastung der Endverbraucher - unter anderem die Abschaffung der EEG-Umlage, Absenkung des Mehrwertstteuersatzes auf Gas und Fernwärme, Gaspreisbremse, Strompreisbremse - dämpfen für sich genommen die Preissteigerungsrate im Jahr 2023 um ungefähr zwei Prozentpunkte. Das ist aber nur ein temporärer Effekt, der in den Folgejahren wieder verschwindet. Dennoch rechnen wir damit, dass ab 2024 die Inflationsrate wieder auf zwei bis drei Prozent zurückgehen wird.

(Anmerkung: Die Zahlen zu den Maßnahmeeffekten basieren auf dem Dezember-Monatsbericht der Bundesbank.)

Welche Branchen leiden besonders stark unter der hohen Inflation und warum?

Prof. Dr. Joachim Ragnitz: Leidtragende der hohen Inflation sind vor allem die Verbraucher, weil diese letzten Endes starke Realeinkommenseinbußen hinzunehmen haben. Kostenseitig betroffen sind aber natürlich all jene Wirtschaftszweige, die viel Energie verbrauchen und die die gestiegenen Energiepreise nicht an ihre jeweiligen Kunden weitergeben können.

Das sehen wir insbesondere in vielen Bereichen der Industrie wie unter anderem der Papierindustrie, der Chemie, der Metallbearbeitung, da diese auf ihren Absatzmärkten im Wettbewerb mit Anbietern aus Ländern stehen, die von den Energiepreissteigerungen nicht in gleichem Maße betroffen sind - insbesondere den USA und China.

Da die Energiepreise in Deutschland und Europa wohl nie wieder so niedrig sein werden wie vor dem Kriegsausbruch in der Ukraine, kann dies im Extremfall dazu führen, dass die Produktion derartiger Güter hier auch langfristig nicht mehr aufrechterhalten werden kann.

Leidtragende der hohen Inflation sind vor allem die Verbraucher, weil diese letzten Endes starke Realeinkommenseinbußen hinzunehmen haben.

Prof. Dr. Joachim Ragnitz, ifo-Ökonom

Welche Branchen profitieren davon?

Prof. Dr. Joachim Ragnitz: Als "Inflationsgewinner" sind wohl jene Bereiche anzusehen, die trotz nur gering steigender Kosten höhere Absatzpreise realisieren können, zum Beispiel weil diese am Weltmarkt festgelegt werden. Wir haben das im vergangenen Jahr recht deutlich in der Landwirtschaft sehen können: So sind die Getreidepreise weltweit stark angestiegen, weil die Ukraine als Lieferant weitgehend ausfiel, davon profitierten dann natürlich die heimischen Getreidebauern.

Das sind aber nur temporäre Effekte. Längerfristig steigen hier ja auch die Preise für Saatgut und Düngemittel, und damit werden die Gewinne hier auch wieder zurückgehen. Eigentlich ist eine Inflation gesamtwirtschaftlich immer schädlich, auch weil damit die Lenkungswirkung des Marktes beeinträchtigt wird.

Inwiefern nutzen Unternehmen in einigen Wirtschaftszweigen die Preissteigerungen dazu, ihre Gewinne auszuweiten und welche Bereiche betrifft das?

Prof. Dr. Joachim Ragnitz: Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass insbesondere im Handel die Preise stärker gestiegen sind, als es allein durch Kostensteigerungen bei Vorprodukten gerechtfertigt gewesen wäre. Da haben einige Unternehmen wohl versucht, ihre Gewinnmargen zu steigern. Auch weil die Verbraucher ja schlecht einschätzen können, wie der Preis für ein bestimmtes Produkt zustandekommt. Aber meine Erwartung ist, dass der Wettbewerbsdruck auch hier dazu führen wird, dass derartige Gewinnsteigerungen nur ein kurzzeitiger Effekt sind.

Mehr zur ifo-Studie: "Gewinninflation und Inflationsgewinner"

Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass insbesondere im Handel die Preise stärker gestiegen sind, als es allein durch Kostensteigerungen bei Vorprodukten gerechtfertigt gewesen wäre.

Prof. Dr. Joachim Ragnitz, ifo-Ökonom

Wie ist die Inflation bei unseren europäischen Nachbarn und welche Effekte hat das für die hiesige Wirtschaft?

Prof. Dr. Joachim Ragnitz: Die geringste Inflationsrate weist derzeit die Schweiz auf, mit nur 2,9 Prozent.

In den übrigen europäischen Ländern liegen die Preissteigerungsraten hingegen in etwa auf dem deutschen Niveau: Etwas günstiger stehen Länder wie Spanien oder Frankreich da, die nur wenig Erdgas oder andere Energieträger aus Russland beziehen. Deutlich ungünstiger hingegen viele osteuropäische Länder insbesondere jene des Baltikums, wo die Inflationsrate um die 20% liegt.

Relevant für Deutschland ist dies aber nur, wenn wir auch viele Produkte aus diesen Ländern beziehen. Die wichtigsten Handelspartner Deutschlands in Europa weisen aber in etwa ähnliche Preissteigerungsraten auf. Insoweit sind die Auswirkungen für die heimische Wirtschaft derzeit noch überschaubar.

Wie sollte die Politik jetzt reagieren?

Prof. Dr. Joachim Ragnitz: Inflationsbekämpfung ist primär Aufgabe der Geldpolitik, also der Europäischen Zentralbank. Da diese aber den Euroraum als ganzes im Blick hat, ist ihre Politik für einige Länder dann immer noch zu expansiv - wahrscheinlich auch für Deutschland. Für andere hingegen ist sie zu restriktiv - für Spanien und Frankreich. Und da die hohe Inflation primär kostenseitig verursacht ist, sind nachfragedämpfende Maßnahmen zur Eindämmung des Preisauftriebs auch riskant, weil damit die Gefahr einer Rezession steigt – die berüchtigte "Stagflation“.

Insoweit kann die Politik eigentlich gar nicht so viel tun, außer vielleicht die negativen Verteilungswirkungen für die besonders betroffenen einkommensschwachen Haushalte abzumildern. Aber eben dann auch nur für jene – was die Bundesregierung vorhat, ist hingegen wenig zielgenau und deswegen so eigentlich nicht zu befürworten.

Quelle: MDR-Wirtschaftsredaktion

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Umschau | 10. Januar 2023 | 20:15 Uhr