Ein Einkauf liegt in einem Einkaufswagen in einem Supermarkt
Teurer Einkauf: Die Lebensmittelpreise haben zuletzt deutlich angezogen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Fabian Sommer

Studie von Erfurter Hochschule Gefühlte Inflation liegt weit über tatsächlicher

16. Oktober 2022, 16:19 Uhr

Die Teuerungsrate in Deutschland liegt derzeit auf einem Rekordhoch von zehn Prozent. Doch für die Verbraucher fühlt sich die Inflation noch deutlich höher an: Einer Studie zufolge lag die gefühlte Preisentwicklung im September bei plus 34 Prozent.

Den Wert hat die private Internationalen Hochschule mit Sitz in Erfurt bei einer repräsentativen Befragung ermittelt. Die Differenz erklärt Betriebswirtschaftslehre-Professor Johannes Treu so: Die Preise für alltägliche Dinge wie Strom, Tanken oder Lebensmittel seien den Menschen viel bewusster als Kosten für Waren und Dienstleistungen, die nicht täglich konsumiert werden, wie etwa ein Auto, ein Fernseher oder ein Computer.

Die amtliche Inflation wird über einen breit aufgestellten Warenkorb gemessen. Darin sind zwölf Warengruppen mit über 600 Produkten enthalten. Nicht nur Miete, Lebensmittel und Energiekosten werden somit erfasst, sondern auch die Preise etwa für eine HiFi-Anlage, ein Surfbrett oder eine Eintrittskarte für das Opernhaus. Professor Johannes Treu sagt, jede Konsumentscheidung sei eine individuelle Kaufentscheidung. Jeder Verbraucher hätte seinen eigenen Warenkorb im Kopf.

Zur Studie Im Rahmen der Kurzstudie "Die aktuelle Inflation“ befragte die IU Internationale Hochschule von Mitte August bis Mitte September 1.200 Personen zwischen 16 und 65 Jahren, repräsentativ nach Alter und Geschlecht.

Die Studie zur Inflation überrascht

Treu sagt, die hohe Diskrepanz zwischen der gefühlten und der amtlich gemessenen Inflation habe ihn allerdings überrascht. Er sieht eine gefährliche Dynamik, denn Inflationserwartungen könnten eine selbsterfüllende Prophezeiung in Gang setzen. "Wenn ich das Gefühl habe, die Inflation ist hoch, dann erwarte ich automatisch, dass es noch teurer wird", erläutert Treu. In der Folge würden Unternehmen die Preise weiter erhöhen und Gewerkschaften höhere Tarife fordern. Die Erwartungshaltung befeuere somit die Preisentwicklung.

Laut Studie bereiten die steigenden Preise 91,9 Prozent der Befragten Sorgen. Mehr als die Hälfte der Verbraucher, 54 Prozent, machen sich sogar große Sorgen. 84 Prozent der Befragten gaben an, dass die Preise für Waren und Dienstleistungen im Oktober "viel höher" oder "höher" liegen als im September.

Was gegen die Inflation unternehmen?

"Ich werde oft gefragt, was man dagegen tun kann", sagt Treu. Sein Rat lautet: "Ruhe bewahren! Abstand gewinnen!" Die Inflation oder die Inflationsbekämpfung sei ein makroökonomisches Phänomen. Dieses werde sich nicht in einem, nicht in zwei Monaten und auch nicht in drei Monaten lösen lassen. Er gehe von einem Zeitraum von ein bis zwei Jahren aus.

"Wenn ich als Konsument weiß, dass es so lange dauert, dann kann ich meine Erwartungshaltung in die Zukunft anpassen." So könnten Verbraucher ihr Haushaltsbuch prüfen und sich fragen, wie sich ihr Konsum verändern lässt. Ein teures Markenprodukt bei Lebensmitteln beispielsweise ließe sich vielleicht durch eine günstigere Handelsmarke ersetzen.

Geld Familie Symbolbild
Die Inflation macht Dinge des alltäglichen Lebens deutlich teurer. Laut einer Studie klafft eine Lücke zwischen tatsächlicher und gefühlter Inflation. Bildrechte: PantherMedia / Andriy Popov

Verbraucher könnten sich fragen: Kann ich statt mit dem Auto auch mit dem Fahrrad oder der Bahn zur Arbeit fahren? Oder muss ich mehrmals im Jahr in den Urlaub fliegen? Kann ich meinen Konsum für gewisse Dinge in die Zukunft schieben, damit ich mehr Geld frei habe für die Dinge des täglichen Bedarfs, die jetzt so teuer geworden sind und die ich dringend brauche? Laut Betriebswirt Treu ist eine langfristige Perspektive auf die Inflation die bessere Wahl, als mit Angst und Panik zu reagieren.

Bei ihrer Befragung klopfte die Internationale Hochschule außerdem ab, in welchen Bereichen die Deutschen sparen wollen. Über 80 Prozent schränken sich bei Energie und Wasser ein, 76,5 Prozent bei der Anschaffung neuer Haushaltsgegenstände sowie 73 Prozent beim Reisen. Am wenigsten wollen die Befragten bei der Bildung sparen.

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MDR (sar)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 16. Oktober 2022 | 19:00 Uhr

81 Kommentare

nasowasaberauch am 18.10.2022

Für eine echte Bewertung der Inflation müßte sowohl der Warenkorbinhalt als auch die Intervalle zur Berechnung in der Krisensituation verkürzt und dem Kaufverhalten schwerpunktmäßig angepasst werden. So wie es jetzt gehandhabt wird ist es Schönrechnerei. Preise für Energie und die des täglichen Bedarfs haben sich teilweise verdoppelt und das ist nicht gefühlt, das ist real.

Tschingis1 am 18.10.2022

@Haller
Sie möchten also alles vorgesetzt bekommen, obwohl der Artikel das Stichwort liefert?

Und sie möchten auch den gesamten Warenkorb hier abgebildet haben?

Was möchten Sie sonst noch?

Funkwerker am 17.10.2022

@Tischingis1: Ihre Abneigung gegenüber Populisten teile ich.

Ich darf also davon ausgehen, dass Sie den Verbraucherpreisindex kennen.
Geht man von dem Nettoeinkommen eines Haushaltes aus, so entfallen - ohne Besitz an Wohneigentum - mindestens 32% hiervon auf Miete und Nebenkosten (meines Erachtens verfälscht, da auch Haushalte mit Wohneigentum hier einbezogen werden und diese keine klassische Kaltmiete zahlen). Unter Abzug weiterer "Fixkosten" verbleiben laut Index ca. 10% für Nahrungsmittel und AFG. Wenn diese Lebensmittel um 20% steigen (aktuell eher mehr) und die anderen Ausgaben (wie bspw. Miete etc.) nicht bei der Beurteilung der Inflationshöhe berücksichtigt werden dann ist die "gefühlte" Inflation 20%. Dass "Otto Normalverbraucher" so empfindet sollte gerade ein Akademiker wissen und berücksichtigen. Mein Anspruchsdenken gegenüber BWL-ern und VWL-ern ist halt aus beruflichen Gründen höher.
Wenn man (wie Prof. Treu) "einfache Leute" vor den Kopf stösst, dann ... .

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