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Interview"Die Produktion von Stickstoffdünger ist systemrelevant"

18. September 2022, 05:38 Uhr

Landwirte kämpfen derzeit mit hohen Preisen für Stickstoff. Der Chef des Düngemittel-Händlers Agravis befürchtet spätestens im Frühjahr größere logistische Probleme.

MDR AKTUELL: Welche Folgen haben die Probleme bei der Stickstoff-Produktion für Sie als Düngemittel-Händler?

Dirk Köckler: Wir haben aktuell eine wirkliche Warenverknappung bei Stickstoffdüngern. Klassische Produkte wie Kalkammonsalpeter, Ammonsulfatsalpeter und Piamon sind nicht ausreichend verfügbar. Das heißt dann konkret, wir können Landwirten und Landwirtinnen keinen Preis und auch keinen Liefertermin nennen. Wir weichen aber für die Landwirtschaft auch auf Alternativprodukte mit Harnstoff aus, die wir aus Nordamerika, dem Nahen Osten bis Osteuropa importieren. Das ist aber nur mit einem höheren logistischen Aufwand machbar und bei Niedrigwasser von Rhein und Elbe auch schwierig.

Welche Rolle spielt dabei der Produktionsstopp bei SKW Piesteritz?

Das betrifft mehr als die Hälfte, wenn nicht sogar zwei Drittel der europäischen Düngerproduktion, die aktuell steht. Weil dort die Stickstoffsynthese mit Gas stattfindet. Wir haben einige wenige Werke, Verbundwerke wie die BASF in Ludwigshafen, wo auch einiges an Dünger produziert wird. Und es gibt Werke, die kaufen Ammoniak von den internationalen Märkten zu, wo noch produziert wird. Das ist aber der kleinere Anteil. Und das führt uns dann zu sehr großen logistischen Problemen im Frühjahr 2023, wenn unsere Kunden binnen kürzester Zeit den Mineraldünger benötigen. Der wird aber eben ganzjährig produziert und transportiert, um dann bei Bedarf im Frühjahr zur Verfügung zu stehen.

Viele Bauern besorgen sich jetzt den Dünger, den sie dann im Frühjahr einsetzen. Was raten Sie den Landwirten als Händler?

Agravis gibt eindeutig die Empfehlung, jetzt bis zu 50 Prozent Stickstoffdünger einzukaufen und anteilig Mengen an Getreide zu verkaufen, um kein unnötiges kaufmännisches Risiko einzugehen. Somit ist gesichert, dass die Menschen in der Landwirtschaft im nächsten Frühjahr Stickstoffdünger haben. Und natürlich haben wir die Hoffnung, dass die europäische Düngemittelproduktion mit der Stickstoffdüngerproduktion zeitnah beginnen kann. Also im Wesentlichen auch Piesteritz direkt vor unserer Haustür.

Stickstoff wird das ganze Jahr über produziert. Ein Produktionsstopp bedeutet dann aber auch: Es wird Stickstoffdünger fehlen. Können Sie die benötigten Mengen dann allen Bauern liefern?

Die zweite Hälfte des Stickstoffs im Frühjahr wird sehr schwer zu beschaffen sein. Den Dünger heute komplett zu kaufen, ohne beispielsweise Getreide vorzuverkaufen, das wäre unverantwortlich. Dann ist bei den gigantisch hohen Preisen das Preisrisiko, also das Risiko fallender Preise, für die Landwirte und Landwirtinnen unverantwortlich hoch. Daher unterstützen wir die Forderung der Stickstoffdünger-Industrie nach einer Befreiung von der Gasumlage und nach einer Deckelung des Gaspreises. Die Produktion von Stickstoffdünger ist systemrelevant. Fehlen 50 Prozent Stickstoff, führt das zu Mindererträgen in Menge und Qualität. Entsprechend gibt es dann auch Preissteigerungen im Regal der Verbraucher.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 12. September 2022 | 12:34 Uhr