
Interview Osten beim Homeoffice-Trend hintendran - warum ist das so?
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30. Juli 2023, 06:00 Uhr
Homeoffice ist begehrt - über die Hälfte der Deutschen wünscht sich die Möglichkeit des Arbeitens von Zuhause aus. Doch der Trend ist nicht automatisch positiv, meint die Soziologin Bettina Kohlrausch. Neben offensichtlicher Vorzüge wie dem kürzesten aller Arbeitswege "Bett-Schreibtisch", birgt es einige persönliche Risiken, befindet die Professorin von der Uni Paderborn. Und: Auch für ganze Regionen mit vielen kleineren Unternehmen - wie zum Beispiel Sachsen und der gesamte Osten - könnten sich Nachteile ergeben.
2020 war das Homeoffice zunächst eine Einschränkung – heute ist es ein Standortvorteil für Firmen, die es ihren Beschäftigten anbieten. Wie kam es zur Trendwende?
Professor Bettina Kohlrausch: Vor der Corona-Krise war es den Meisten nicht klar, dass Homeoffice in dem Umfang überhaupt funktionieren kann. Man konnte es sich nicht richtig vorstellen, dass "die Arbeit gemacht wird" – das war auch für die Arbeitgeber eine positive Erfahrung.
Viele haben das Homeoffice zu schätzen gelernt, weil es flexibler ist, Arbeitswege entfallen und familiäre Aufgaben teils niedrigschwelliger und spontaner erledigt werden können. Doch damit Homeoffice gut wird für alle Beteiligte – Chefs und Angestellte – braucht es bestimmte Regeln.
Damit Homeoffice für beide Seiten funktioniert, müssen gewisse Voraussetzungen stimmen und Vereinbarungen, am besten Betriebsvereinbarungen, getroffen werden.
Die da wären?
Man sollte feste Arbeitszeiten vereinbaren und erfassen. Dazu gehört es auch, "Zeiten der Unerreichbarkeit" festzulegen. Sonst vermischt sich das Private mit dem Job zu sehr. Ich empfehle, solche Dinge in den Betriebsvereinbarungen festzuhalten.
Auch Tage in Präsenz, also in der Firma, sind ratsam. Da bieten sich Tage an, an denen gemeinsam an Ideen gearbeitet wird oder besonders viele Absprachen getroffen werden. Außerdem sind Wissenstransfers sowie die Einarbeitung neuer Kollegen in Präsenz am besten möglich. Niemand ersetzt die erfahrene Kollegin am Nebenschreibtisch, wenn man ein Problem mit einem Programm oder einem Vorgang hat. In diesem Punkt gibt es aber keine Patentlösungen, jedes Unternehmen muss seinen Weg finden, wie viele Präsenztage sinnvoll sind pro Woche oder Monat.
Eins ist aber klar: Wenn Mitarbeiter sich zu sehr daheim abkapseln, schwächt das nicht nur, wie schon oft beschrieben, die Kreativität. Der Zusammenhalt im Team kann darunter leiden und das wichtige Networken findet einfach nicht mehr so statt. Als in der Corona-Zeit nämlich vermehrt Frauen von Zuhause aus gearbeitet haben, wurden die auch weniger von ihren Chefinnen und Chefs gesehen. Im Zweifel ging dann die Beförderung an einen männlichen Kollegen, der nebenan im Büro saß.
Was ist von dem Vorwurf zu halten, Homeoffice verführe zu Faulheit?
Daraus spricht dieses etwas veraltete Denken von Führung und Kontrolle. Ich würde mal behaupten: Wer faul ist, ist das auch im Büro. Vielleicht sogar noch mehr. Zudem zeigen Studien, dass die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, die Motivation und Einsatzbereitschaft eher erhöht.
Fehlende Mitarbeiter-Motivation ist keine Frage des Arbeitsortes. Das ist eine Führungsaufgabe.
Es gibt übrigens Untersuchungen, wonach im Homeoffice mehr und länger gearbeitet wird. Was ich in meiner Führungsrolle auch feststellen konnte: Tendenziell meldet sich weniger krank, wer im Homeoffice arbeitet. Da ist die Denke verbreitet: "Na, bis zum Schreibtisch schaffe ich es noch." Hier muss man Beschäftigte eher davor schützen, krank zu arbeiten.
Trotz dieser Gefahren wünschen sich weit mehr als die Hälfte der Deutschen Homeoffice. Das können aber ostdeutsche Arbeitgeber viel seltener bieten. Denn der Arbeitsmarkt hier ist viel stärker von kleinen und mittleren Betrieben geprägt; das Handwerk spielt vor allem in Sachsen eine große Rolle. Werden da nicht Branchen und Regionen in Deutschland benachteiligt sein?
Das ist so. Kleinere Firmen sind da erstmal benachteiligt. Sie können weniger in digitale Infrastruktur wie Kommunikationsplattformen investieren oder auch die Ausrüstung für die Heimarbeit stellen. Dennoch können sie bei den Arbeitszeiten punkten: Es gibt auch andere Möglichkeiten, mehr Arbeitszeitsouveränität für Beschäftigte zu schaffen. Die Vier-Tage-Woche kann ein gutes Modell sein, auch für Handwerksunternehmen.
Noch mal nachgehakt: In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen arbeiten nur etwa halb so viele Menschen im Homeoffice als im bundesweiten Schnitt. Das kommt aber kaum vor in Analysen und in der Berichterstattung. Im Zweifel wandern da noch weitere Arbeitskräfte ab. Soziale Gefälle verstärken sich.
Hier muss eine kluge Arbeitsmarktpolitik gegensteuern. Sonst vergrößern sich Unterschiede, auch das Ost-West-Gefälle. Aber auch innerhalb von Unternehmen sehe ich dahingehend Gefahren. Politik kann gewisse Strukturen schaffen – mehr in Kinderbetreuung investieren, mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten fördern. Einen Weg zurück für alle in die volle Präsenz wird es nämlich nicht geben.
Ja, Homeoffice droht zum Privileg zu werden. Zum Privileg für besser Qualifizierte und besser Bezahlte.
Zahlen und Fakten
Homeoffice - Bundestrend ganz anders
Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, arbeiteten auch nach dem Ende der Pandemie im vergangenen Jahr 24,2 Prozent aller Erwerbstätigen zumindest gelegentlich von zu Hause. Im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit habe sich der Anteil der Menschen im Homeoffice nahezu verdoppelt. 2019 hätten diese Möglichkeit 12,8 Prozent genutzt.
In den drei mitteldeutschen Bundesländern arbeiten deutlich weniger Erwerbstätige im Homeoffice als im bundesweiten Schnitt. So arbeiteten in Sachsen im vergangenen Jahr gut 16 Prozent der Erwerbstätigen täglich oder gelegentlich von zu Hause aus. In Sachsen-Anhalt waren es im vergangen Jahr zwölf Prozent, in Thüringen 14 Prozent.
Sachsen ist kein Homeoffice-Land
Das sagt die Bundesagentur für Arbeit: Dass in Sachsen vergleichsweise weniger Homeofficearbeitsplätze angeboten werden, liegt an der Wirtschaftsstruktur. Einerseits ist Sachsen geprägt von kleinen und mittelständischen Unternehmen, andererseits lassen beispielsweise die Tätigkeiten in der Industrie oder im Handwerk kein Homeoffice zu. Zusätzlich bedarf die Arbeit im Homeoffice auch eine technische Infrastruktur (IT-System und technische Ausstattung, wie Laptop), die bei Kleinst- und Kleinunternehmen oft noch nicht vorgehalten werden kann.
Das ifo Institut fand heraus: Während Homeoffice bei Betrieben ab 500 Mitarbeitern ausgebaut wird, geht es bei kleinen Firmen bis 49 Mitarbeitern deutlich zurück, wie eine Umfrage des Münchner Ifo-Instituts ergab.
In Sachsen gibt es 82.846 Kleinstunternehmen mit bis zu neun Beschäftigten. Zum Vergleich: Große Unternehmen gibt es nur 748. Kleine und Kleinstunternehmen machen damit 94 Prozent aller sächsischen Betriebe aus. (Stand Juli 2022)
Sachsen ist Handwerker-Hochburg Deutschlands
Jeder 7. Sachse arbeitet im Handwerk. Damit liegt der Freistaat bundesweit an der Spitze. Am meisten Handwerker gibt es im Erzgebirgskreis, gefolgt von Leipzig und Mittelsachsen. Im Erzgebirge leben 19,6 Prozent der Erwerbstätigen vom Handwerk, in Leipzig 18,3 und in Mittelsachsen 17,8. (Quelle: Bundesagentur für Arbeit/Regionaldirektion Sachsen)
Standortfaktor Homeoffice
Homeoffice gehört immer häufiger zu den wichtigen Kriterien, die für Arbeits- und Fachkräfte erfüllt werden müssen. Die Möglichkeit – zeitweise im Homeoffice zu arbeiten – kann die Attraktivität des Betriebs erhöhen. Flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit, zeitweise im Homeoffice zu arbeiten, erhöht die Chance für Unternehmen, dringend gesuchte Fachkräfte zu finden und dauerhaft an den Betrieb zu binden. (Quelle: Bundesagentur für Arbeit/Regionaldirektion Sachsen)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 11. Juli 2023 | 09:30 Uhr