Jahresrückblick Kohleausstieg Der Kampf um die Kohle ist noch nicht vorbei

21. Dezember 2019, 05:00 Uhr

Der UN-Klimagipfel in Madrid hat enttäuscht, ein "Green Deal" der EU ist angekündigt, der Ausstieg aus der Kohlenutzung in Deutschland wurde vereinbart. Das Jahr 2019 war voller grüner Forderungen und Absichten zur Rettung unseres Klimas. Doch damit beginnt erst ein langer und intensiver Veränderungsprozess. Eine Jahrhundert-Aufgabe, wollen Deutschland und Europa bis 2050 CO2-neutral werden.

Mitte Dezember erst ist der Madrider UN-Klimagipfel mehr enttäuschend als erfolgreich zu Ende gegangen. Die Erwartungen waren enorm, das Ergebnis mager. Trotz der Warnungen vieler Wissenschaftler weltweit konnten sich die Delegierten der 197 Vertragsstaaten nicht auf weiterführende Initiativen verständigen. Und die große Mehrheit der Länder, die vorangehen wollen, konnte sich auch nicht gegen die großen Klimabremser USA, Brasilien und Australien durchsetzen. Was als Richtschnur bleibt, sind die Pariser Klimaziele von 2015, nationale Pläne der Staaten selbst und die Erwartungen an die nächste Klimakonferenz im schottischen Glasgow 2020.

Kohlekommission vereinbart Kompromiss

Da ist Deutschland weiter. Hier gibt es seit Anfang 2019 so etwas wie einen Gesellschaftsvertrag. Den Ausstieg aus der Kohlenutzung. Nach einem langen, zähen Sitzungsmarathon schmiedete die Kohlekommission einen vielversprechenden Kompromiss.

Ende Januar vereinbarten Vertreter aller gesellschaftlich relevanten Gruppen wie Arbeitgeber, Gewerkschaften, Umweltverbände und Experten ein gemeinsames Ergebnis. Den stufenweisen Ausstieg aus der Kohlenutzung bis spätestens 2038. Ein Kompromiss, der den vielfältigen Interessen geschuldet ist, aber auch einen durchaus realistischen Zeitraum im Blick hat, den Veränderungen von solcher Tragweite brauchen.

Strukturwandel zügig voranbringen

Die für den Osten noch so wichtige Braunkohle bleibt damit zunächst als heimischer Energieträger erhalten und in Mitteldeutschland und der Lausitz auch als wichtiger Wirtschaftsfaktor. Kein anderes Land in Europa muss sich den Herausforderungen in dieser Weise stellen. Und der Osten Deutschlands ist ein Hauptaktionsfeld. In Sachen Kohleausstieg sind Mitteldeutschland und die Lausitz so etwas wie ein Labor für einen immensen Strukturwandel. Und dabei geht es neben einer sicheren Versorgung mit klimafreundlichen erneuerbaren Energien um die häufig beschworene Entwicklung des ländlichen Raumes. Politisch hat das hohe Priorität. Auch deshalb gibt es in Sachsen nun ein eigenes Strukturministerium.

Das von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) Ende August vorgelegte "Strukturstärkungsgesetz" soll mit vielen Steuermilliarden in eine neue Zukunft führen, die Entwicklung der Kohlereviere finanzieren. Neue Verkehrswege, verbesserte Infrastruktur, Unternehmensansiedlungen sollen zukunftsfeste Arbeitsplätze bringen, wenn die alten in der Kohlewirtschaft wegfallen.

Doch ist Eile geboten beim anstehenden Strukturwandel. Niemand weiß derzeit, wie lange die Braunkohlekraftwerke tatsächlich noch am Netz sind. Einige wenige Kraftwerksblöcke sind bereits abgeschaltet, dienen als stille Reserve. Und die immer teurer werdenden CO2-Emissionszertifikate machen manches Kraftwerk zeitweise unrentabel. Offen ist auch noch, welche Entschädigungen die Bundesregierung mit den Kraftwerksbetreibern vereinbart. Womöglich ein Anreiz, schon früher auszusteigen, früher als gedacht.

Milliardenzusagen an die Regionen einhalten

Da ist nur allzu verständlich, dass gerade die Ost-Ministerpräsidenten seit dem Sommer immer wieder verbindliche Finanzzusagen von der Bundesregierung einfordern. Schließlich geht es in Altmaiers Gesetz um viel Geld. Um versprochene 40 Milliarden Euro. Dabei geht es unter anderem um die Verteilung von bis zu 14 Milliarden Euro für besonders bedeutsame Investitionen in den Braunkohleregionen in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt, und auch in Nordrhein-Westfalen.

Noch sollen die Finanzhilfen über eine übliche Verwaltungsvereinbarung gewährt werden. Doch der Osten will eine Garantie. Damit auch künftige Regierungen gebunden sind. Ein Staatsvertrag soll die nötige Sicherheit bringen, so wie die Kohlekommission es empfohlen hat. Die Gelder sollen auch dann fließen, wenn die Bundeseinnahmen weniger üppig ausfallen. Doch noch ist das Geld an die Verabschiedung des Kohleausstiegsgesetzes gekoppelt. Bis zum Inkrafttreten dürfte es noch dauern. Schnell geht anders.

Bricht der Kohlekompromiss?

Und das lässt Zeit für Zweifel. Die Fragen, wann welches Kraftwerk abgeschaltet wird, wo welche Kohlekapazitäten in welcher Reihenfolge stillgelegt werden, bergen politischen Zündstoff. Obwohl das allen Beteiligten klar ist, hat die Lunte bereits angefangen, zu brennen.

Erste Stimmen sehen den Kohlekompromiss bereits in Gefahr. Jetzt vor Weihnachten hat der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), der nachdrücklich die Interessen des Ostens verteidigt, die Einhaltung des bisherigen Kohlekompromisses gefordert. Er kritisiert Pläne Nordrhein-Westfalens, in Datteln ein neues, lange fertiggestelltes Steinkohlekraftwerk doch noch in Betrieb zu nehmen. Und möglicherweise das Braunkohlekraftwerk in Schkopau früher abzuschalten. Auf Kosten Sachsen-Anhalts, wie er befürchtet. Haseloff fordert daher vehement, zuerst ältere Kohlekraftwerke vom Netz zu nehmen, und die stünden zum Teil auch im Westen.

Absprachewidrig wäre es, wie Haseloff es sieht, wenn moderne Kraftwerke mit hohem Wirkungsgrad und starker Verbindung in die regionale Wertschöpfung wie Schkopau abgeschaltet würden. Das liefe zudem dem Ansatz entgegen, erst Arbeitsplätze zu schaffen und dann Kraftwerke abzuschalten. Ersatzarbeitsplätze zu schaffen, brauche Zeit. Und vor dem Hintergrund noch fehlender Strukturfördergesetze und  langwieriger Planungsverfahren sei das unmöglich. Es drohe gar ein Bruch des Kohlekompromisses. Weiterer Streit ist vorprogrammiert.

Klimapaket und Klimaprotest

Kurz vor dem Ende des Jahres 2019 nimmt die Klimapolitik in Deutschland dennoch noch einmal Fahrt auf. Bundestag und Bundesrat wollen den Ausstoß von Kohlendioxid deutlicher verteuern. Eine Tonne CO2 soll ab 2021 dann 25 Euro kosten. In Stufen soll es dann noch teurer werden. Autofahren mit Benzin und Diesel und Heizen mit Öl werden also teurer. Kompensiert werden soll das für die Bürger in Form einer höheren Pendlerpauschale und eines niedrigeren Strompreises. Ein Klimapaket zum Fest.

Mehr als 100.000 Menschen sind am Freitag 20.09.2019 in Berlin dem Aufruf von Fridays for Future zum Klimastreik gefolgt.
Ende September beteiligten sich in Deutschland mehr als eine Million Menschen an Klimaprotesten. Bildrechte: imago images/epd

Gleichzeitig sieht die wichtigste deutsche Umweltbehörde die Politik der Bundesregierung kritisch. Das Umweltbundesamt hält es für notwendig, die nationalen Treibhausgasemissionen bereits bis 2030 gegenüber 1990 um mindestens 70 Prozent zu mindern. In der Konsequenz sollte ein Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 erfolgen. Da ist das Amt sehr nah an den Forderungen von "Fridays for Future". Die Proteste, nicht nur der jungen Generation, werden weitergehen. Das haben nicht zuletzt die Klimastreiks mit hunderttausenden Teilnehmern in deutschen Großstädten im Herbst gezeigt.

Zeit als politischer Faktor

Die Zeit wird zu einem immer wichtigeren politischen Faktor. Es braucht Zeit, neue wirtschaftliche Strukturen zu entwickeln und neue Arbeitsplätze zu schaffen, um dem Tempo der weiteren Veränderungen in der Energiewirtschaft standzuhalten. Alle großen Energiekonzerne setzen seit langem auf Erneuerbare. Große Investoren haben sich längst aus dem Geschäft mit fossilen Brennstoffen verabschiedet.

Gesellschaftlicher Konsens nötig

Doch zum notwendigen wirtschaftlichen Strukturwandel gehört auch ein gesellschaftlicher Kulturwandel. Ein Konsens: Gemeinwohl vor Einzelinteressen. Gesellschaftspolitisch bleibt die Klimafrage ganz oben auf der Agenda. Weil es gilt, die internationalen Verpflichtungen einzuhalten und Milliardenstrafen zu umgehen. Aber besonders um jenseits abstrakter Daten, der immer stärker wahrnehmbaren Klimakrise entgegenzutreten.

Sehr lange hat die Politik gezögert, sich den Erkenntnissen der Wissenschaft zu stellen. Die Verschleppung im Klimaschutz hat heute auch Folgen für die Kohlepolitik und den Strukturwandel, auch bei uns in Mitteldeutschland. Nun haben insbesondere die Regierungen die Aufgabe, notwendige Veränderungen zu erklären und zu initiieren. Soll die Klimawende gelingen, braucht es mehr gesellschaftlichen Konsens. Gemeinwohl vor Eigeninteresse. Sonst wird das nichts.

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